5 Dinge, die ich 2020 gelernt habe

17.12.2020 Leben, box3

Liebes Jahr 2020, du hast uns ganz schön viel abverlangt. Aber auch gelehrt. Über die Bedeutung von Herkunft, über kaputte Systeme und gesunden Menschenverstand, über Rassismus, Klassismus, Privilegien und Polizeigewalt, über Zusammenhalt. Im Großen wie im Kleinen. Wir mussten der Gesellschaft, die uns prägt, entgegenblicken, aber auch uns selbst hinterfragen. Lauter werden. Uns reflektieren und korrigieren. 


Gestern Abend hatte ich zum ersten Mal das Bedürfnis, mich bei diesem Scheißjahr zu bedanken. Für alles, was ich in den vergangenen Monaten über andere, aber auch über mich selbst gelernt habe.

Was habe ich persönlich gelernt, oder besser: geschafft? Fünf Dinge ganz besonders:

 
 
 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von im gegenteil | Liebe oder was? (@imgegenteil)

 1. „Nein“ sagen ist nicht schlimm.

Mir fällt ein kleiner Stein vom Herzen. Weil ich wieder „nein“ gesagt habe. Das musste ich nämlich erst mal lernen. Was habe ich stets all jene bewundert, die ganz unbekümmert „Nein, danke“ sagen konnten, oder „Neieeeen“ oder sogar „Nein, auf keinen Fall, niemals“. Ich selbst bin daran fast mein ganzes Leben lang gescheitert. Gedacht habe ich es sicher mehr als einhundert Mal, aber ausgesprochen? Nur sehr, sehr selten. Oft will man ja sogar. Nur geht es manchmal nicht, weil man einfach nicht (mehr) kann. Und so verschlang ich mich irgendwann selbst, wie eine Würgeschlange, die nach ihrem Schwanz schnappt, vergaß, wo mein Anfang ist und wo mein Ende, sagte immerzu „Ja, na klar“ und war am Ende in ungefähr 30 Teile verstreut. Was etwa eine Präsenz von 3,3 Prozent pro Ja ausmacht. Kann ja gar nicht gut gehen. Wirklich alles gleichzeitig haben und machen können, das ist erstens großer, kräftezehrender Quatsch und zweitens bis heute ein komischer Mythos. Es geht bloß Schritt für Schritt, den eigenen Kräften entsprechend. Nein sagen, freundlich aber bestimmt, ist meine persönliche Revolution 2020. Und in vielerlei Hinsicht ein unglaublich befreiender Akt. Nein, nein, nein! Es tut so gut. Genau wie: Ich schaffe das nicht. Probiert es mal. Viel häufiger. 

2. Verreisen.

Ich habe in diesem Jahr gelernt zu verreisen, nicht physisch, sondern Kraft meiner Gedanken. Unterschiedliche Menschen schaffen das auf unterschiedliche Weise, die einen durch Traumreisen, Autogenes Training oder Meditation (Tipp: „I am here now“ von Alexandra Frey), andere durch Unerhörteres. Bevor ihr jetzt über Eso-Kram schimpft: Nichts davon ist ein Muss, aber eine Möglichkeit. Das eigene Ego auflösen, Zusammenhänge begreifen, über die Welt staunen, sich selbst besser verstehen, Ruhe finden – das hatte ich so bisher noch nicht erlebt. Ich kann nicht behaupten, dass es nicht jede Menge Arbeit war und mitunter auch anstrengend und schon gar nicht, dass diese Art der Selbstfindung etwas für alle ist, nein gar nicht, bitte passt auf eure Hirne auf. Für mich aber waren diese Momente so kostbar und veränderlich (ein wunderbares Wort, das mein Kind gern benutzt), dass ich wünschte, ich könnte allen, die mir wichtig sind, ein Stückchen davon abgeben. Als nächstes möchte ich übrigens mehr über meine Hormone und meinen Körper lernen, herausfinden, wie ich meinen (bisher verhassten) Zyklus besser für mich nutzen kann. Das Buch, das zu diesem Zweck gerade auf dem Nachttisch liegt, heißt: „Period Power“ – von Maisie Hill. 

3. Es ist okay, nicht gemocht zu werden.

Ich werde schon mein halbes Leben lang nicht gemocht, von irgendwem wegen irgendwas, ihr kennt das bestimmt. Früher war es mein stinkendes Käsebrot im Biounterricht (womit ich im Vergleich noch großes Glück hatte, das weiß ich sehr wohl), heute ist es meine Meinung. Meistens. Allein bin ich damit nicht. Denn vor allem als weiblich gelesener Mensch kann man es ja sowieso kaum richtig und auch niemandem recht machen. Zu laut, zu leise, zu schön, zu hässlich, zu schlau, zu dumm, zu ehrlich, zu verstellt, zu alles, je nachdem. Mir wurde das eigentlich erst bewusst, als ich mein wohliges Nest verlassen hatte und plötzlich nicht mehr permanent umgeben war von den treusten Freunden der Erde, sondern auch vom Internet und denen, die da so mitmachen und mitverfolgen und zuweilen eben auch schimpfen und fluchen, am liebsten anonym.

Zehn Jahre geht das jetzt so. Zehn Jahre, in denen ich mal mehr gewappnet war gegen dieses „Außen“ und mal weniger. Irgendwann eher weniger. Weil es doller wurde, auch das #Toxicmalenet. Weil sich das unterschiedlicher Meinung sein zunehmend schwieriger gestaltet(e). Und vielleicht auch, weil ich nie gelernt hatte, mit Hass umzugehen. Mein Privatleben gibt so etwas einfach nicht her. Hat es noch nie. Naja, bis auf das Käsebrot.

Auf Gegenwehr reagierte ich also mit heimlicher Wut, Stille und bunten Bildern. Die Kolumnen wurden etwas gediegener und weniger und auch als Kindsmörderin wollte ich mich eine Weile nicht mehr beschimpfen lassen, obwohl damit eigentlich nur gemeint war, dass ich finde, legale und sichere Abtreibungen müssten ein Menschenrecht sein. Irgendwann in in diesem Jahr bin ich dann aber fast implodiert. Ich fragte mich, ob ich a) aufhören oder b) „Scheiß drauf“ zu meinem Mantra machen sollte (es ist b geworden). Ich erinnerte mich an „The Power of Female Anger“ von Soraya Chemaly und daran, warum ich das hier eigentlich mache und in gewisser Weise auch auf mich nehme. Schluss jetzt mit der geduckten Haltung. Plötzlich wurde mir nämlich klar, dass es anders gar nicht funktioniert. Also ohne andere hin und wieder sauer zu machen. Dass ich überhaupt nichts schreiben kann, wenn ich dabei permanent versuche, jeden Mitlesenden glücklich zu machen. Dass das ohnehin unmöglich ist. Ich kapierte also, dass ich nicht nur nicht von allen gemocht werden muss, sondern auch gar nicht von allen gemocht werden will. Klingt einleuchtend, aber darüber hatte ich vor lauter Arschlecken bis dato viel zu selten nachgedacht. Mir fiel sogar auf: Ich mag ja auch überhaupt nicht alle. Zum Glück. Sonst wäre ich mir selber nicht ganz geheuer.

 

 
 
 
 
 
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4. Endlich angekommen.

Eine Weile hatte ich auch aufgrund von Punkt drei Sorge, von meinem Überglücklichsein zu erzählen und davon, dass ich nun vermutlich wirklich angekommen bin, in einer mindestens so gesunden wie irre unbeschreiblichen, gleichberechtigten Beziehung (nach etlichen Gesprächen über Mental Load ist sogar dieses Thema eines, das immer weniger Raum einnimmt, wer glaubt denn sowas). Und zwar auch entgegen all meiner Erwartungen. Hatte ich mich doch eigentlich immer sehr wohl gefühlt inmitten meiner Dramen, mal als Single, mal als Freundin oder irgendwas dazwischen. Im Grunde wundere ich mich also jeden Tag, über so viel Liebe, lautes Lachen und keine Katastrophen, weshalb ich natürlicherweise lange skeptisch blieb, aber das ist jetzt vorüber.

Nicht, weil ich plötzlich naiv oder plemmplemm geworden wäre, sondern weil ich, zumindest diesen Lebensbereich betreffend, gelernt habe, dass Sorgen und apokalyptische Gedanken, die sich mehr aus dem eigenen Trauma nähren als aus dem Sein des Gegenübers, viel kaputt machen und wenig kitten. Dass es sich eben doch mordsmäßig lohnen kann, zu vertrauen. Was mir dabei hilft, ist übrigens auch mein neu gewonnenes Vertrauen in mein eigenes Urteilsvermögen, mein Bauchgefühl und in mich selbst, das ich unter anderem auf einer Schwimmnudel erlangte, nachdem man mir im letzten Jahr einen Knoten aus der Wirbelsäule entfernt hatte. Ich gehe seither außerdem erstens keine Kompromisse mehr ein und muss deshalb auch so gut wie nie an meiner Beziehung zweifeln, weil ich sie andernfalls gar nicht führen würde. Zweiten mache ich mir erst Sorgen, wenn es wirklich so weit ist – was auch immer. Das wiederum gilt nämlich für beinahe jeden Bereich meines Lebens. Hat ja auch bloß 32 Lebensjahre gedauert, das Erlangen dieser wohltuenden Gelassenheit.

 

5. Entfolgen, entfolgen, entfolgen.

Ich frage mich nicht selten, welchen Eindruck die Leute haben, wenn sie mein Instagram-Profil betrachten (und will es eigentlich auch gar nicht wissen). Meistens frage ich mich das, wenn ich mein erfülltestes Selbst bin, laut selbst erfundene Lieder trällernd, wie eine Anemone durch de Bude tanzend oder irgendwelche Alten Sachen wieder zusammen flickend, mit meiner großen Liebe, dem bunten Klebeband. Wenn meine beste Freundin abends fragt, ob ich immer noch im Schlafanzug bin oder mein Bauch richtig weh tut, aber nicht vom Sport, sondern weil ich mich den halben Tag beeiert habe, über dies und das und Ananas, aber am meisten über @animalsdoingthings. Es ist nicht so, als hätte ich das Gefühl, auf meinem Profil jemand anderes zu sein, aber ich klebe ja auch nicht die beschissensten Fotos ins Familienalbum. Und außerdem fehlt da natürlich ganz schön viel. Dieses Instagram, das vergessen wir ja so gern, ist in den allermeisten Fällen eben nicht mehr als ein minikleines, kuratiertes Guckloch. Und weil ich dort ja selbst unterwegs bin, weiß ich, welche Bandbreite an dumpfen oder dummen Gefühlen schon ein einziges Bild zu hinterlassen in der Lage ist.

Noch bis vor Kurzem habe ich mich von diesem Unwohlsein nicht großartig beirren lassen, stattdessen wählte ich ohne zu zögern den Weg der Selbstgeißelung, auf viele verschiedene Weisen. Mal, weil das Gesehene dieses elende Gefühl befeuerte, niemals genug sein zu können. Dann wieder, weil ich kurz darauf das Bedürfnis verspürte, mich von meinem gesamten Interieur zu trennen. Gelegentlich, weil ich richtig wütend über unbegreiflich leichtsinnige Aussagen aus der Kategorie „Hochtoxisch“ wurde, oder ganz einfach, weil ich komplett bescheuert, verletzend, dämlich oder egal fand, was ich da präsentiert bekam. Regelmäßig gab ich mir die volle Breitseite. Bis ich den „Unfollow“ Button endlich wieder für mich entdeckte.

Nicht nach ein, zwei oder sieben Inhalten, die mir aufgrund unterschiedlicher Meinungen missfielen, sondern dann, wenn irgendetwas im Grundsatz nicht stimmte. Ich meine das Entfolgen den Entfolgten gegenüber noch nicht einmal böse, ich meine es nur gut mit meiner Seele. Seit mein Feed kein Unfall mehr ist, bei dem man einfach nicht wegsehen kann, erkenne ich sogar wieder die Power von Schwesternschaft in diesem Sozialen Netzwerk – und bin noch dazu viel nachsichtiger mit mir und allen anderen, die ab und zu auch mal daneben liegen.  

 
 
 
 
 
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Erst jetzt merke ich, dass mich 2020 wohl vor allem zwei Dinge gelehrt hat:

Freier zu sein einerseits. Oder besser: Mich aktiv zu befreien von vielem, das mich immer wieder ohnmächtig zurück ließ.

Und, dass beharrliches Dazulernen genau so wichtig bleibt, wie das stetige, bewusste Verlernen. An jedem einzelnen Tag.

“The last few years have taught me to suspend my desire for a conclusion, to assume that nothing is static and that renegotiation will be perpetual, to hope primarily that little truths will keep emerging in time.”

― Jia Tolentino, Trick Mirror

 
 
 
 
 
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2 Kommentare

  1. Frauke

    Ach Nike, du bist und bleibst toll! Mein neues Lieblingszitat (und ich denke mit 41 das erste Mal im Leben über eine Tätowierung nach) kommt allerdings nicht aus deinem klugen Jahresrückblick, sondern aus deinem (und Sarahs) letztem Podcast: „No shame – für gar nix!“ Yeah!

    Antworten

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