Die Songs von deutschen Girl Groups der 00er-Jahre, die im Rahmen der “Popstars”-Castingshow entstanden waren, sind jetzt nach langem Rechtsstreit auf Streaming-Plattformen wie Spotify verfügbar – in den sozialen Netzwerken löste das einen regelrechten Hype aus, obwohl Gruppen wie die No Angels und Monrose doch lange belächelt wurden. Woher kommt diese Faszination?
Als die Spice Girls im Jahr 2000 (zumindest vorläufig) von der Pop-Bühne abtraten, war da ein Vakuum, plötzlich ganz viel Platz für weitere Girl Groups, die auf den Prototyp, die Blaupause für dieses Konzept der Pop-Kultur folgen sollten. Genau wie die Spice Girls kamen viele von ihnen aus dem Vereinigten Königreich, etwa die Sugababes, Girls Aloud oder Atomic Kitten. Auf der anderen Seite des Atalantiks, in den USA, nahm das Phänomen Anfang der 00er-Jahre nicht unbedingt neu Fahrt auf – schließlich hatte es dort parallel die Tradition der weiblich besetzen R’n’B-Gruppen schon intensiv in den 90er-Jahren gegeben, allen voran mit dem Paradebeispiel Destiny’s Child.
In Deutschland hatten es in den Nineties Tic Tac Toe geschafft, zu der Girl-Band der 90er-Jahre zu werden. Aber das Trio war anders als die Girl-Groups der 00er-Jahren, die auf sie folgten: Sie waren provokanter, echter, mutiger, – und damit, trotz ihres Erfolges, irgendwo weniger verträglich für den deutschen Markt, für die deutsche Pop-Kultur, die dann doch immer viel mehr auf sichere Nummern setzte, meist angelehnt an Vorbilder aus anderen Ländern. Im Falle der 00er-Jahre übernahmen Casting-Show-Bands die damals noch bedeutungsvollen Charts. Die erfolgreichsten von ihnen hießen: No Angels und Monrose.
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Es ist ein seltsames Licht, in dem diese Girl Groups rückblickend betrachtet stehen – deutsche Pop-Kultur tut sich traditionell schwer mit der Verbindung von Kunst und Kommerz. Häufig wurden die MusikerInnen belächelt, vielleicht, weil die Zeit ihres großen Erfolges noch zu nah war, vielleicht, weil immer der Vorwurf im Raum stand, doch nur britische oder US-amerikanische Girl Groups nachzuahmen. In den letzten Jahren hat sich der Blick auf die (deutsche) Pop-Kultur der 00er-Jahre aber gewandelt. Instagram-Accounts wie beispielsweise @galerie.arschgeweih feiern die Stars dieser Ära mit hunderttausenden FollowerInnen. Als wir die MacherInnen von @galerie.arschgeweih vor einem Jahr im Interview fragten, wer der 00er-Pop-Stars in ihren Augen stilistisch am prägendsten gewesen waren, sagten sie: “Die No Angels hatten für eine deutsche Popband schon eine sehr starke visuelle Identität”.
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Dieses “für eine deutsche Popband” drückt die ganze Crux deutscher Pop-MusikerInnen aus. Aber waren die gecasteten Girl Groups vielleicht (stilistisch) doch besser als ihr Ruf? Und können ihre früheren Fans, die vor rund 10 bis 20 Jahren noch Kinder oder Teenager waren, das jetzt viel differenzierter sehen? Jedenfalls war der Hype in den sozialen Netzwerken Ende November groß, als bekannt gegeben wurde dass die Songs aller Gruppen, die in der TV-Show “Popstars” in den 00er-Jahren entstanden, jetzt auf Spotify und Co. verfügbar seien. Darunter – natürlich – auch die von den No Angels und Monrose. „MÄUSE WE DID IT!! ALLE alten songs von ALLEN popstars-bands gibt es AB SOFORT auf ALLEN streaming-plattformendies ist keine übung!!! ab jetzt wird wieder 24/7 hot summer gepumpt! PAM PAM PAM!!!“, hieß es in der Caption zum Post von @galerie.arschgeweih für deren fast halbe Millionen FollowerInnen. Typisch humorvoll, natürlich.
Auf Spotify haben die Songs von Monrose und den No Angels in wenigen Wochen erstaunliche Klickzahlen eingefahren. “Hot Summer” von Monrose wurde mittlerweile fast zwei Millionen Mal abgespielt. “Daylight” von den No Angels knapp über eine Millionen Mal in den letzten zwei Wochen. Die derzeitig trostlose Pandemie-Lage befeuert offenbar die Nostalgie der Generation Y, die mit diesen Songs aufwuch (und die Begeisterung der Generation Z für eine Zeit, die sie gar nicht miterlebt haben) –eine ferne Erinnerung an unbeschwerte Zeiten. Das ist eine Tendenz, die es auch schon vorher gab, Ausdrucks eines gewissen Wachstumsschmerzes, ein finales Coming-of-Age sozusagen. Vollends erwachsen werden im Rückblick, und sich darin in Erinnerungen verlieren.
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In der Mode sind die 00er-Jahre mittlerweile seit einigen Jahren als Inspiration kaum noch wegzudenken. Die Pop-Kultur ist in einem ewigen Rewind-Moment, scheint es, der neue Erfolg der “Popstars”-Bands ist nur eines von vielen Beispielen dafür. Was aber machte sie eigentlich modisch aus? Sowohl bei den No Angels als auch bei Monrose vor allem eine ästhetische Dynamik zwischen den Band-Mitgliedern. Das war, wie auch der Sound der Gruppen, US-amerikanischen und britischen Girl Groups nachempfunden. Vor allem bei den No Angels wurde das deutlich: Was bei den Spice Girls Posh Spice, Baby Spice & Co. waren, waren bei der deutschen Gruppe „Feuer“, „Eis“, „Erde“, „Luft“ – jede Sängerin sollte ein Element darstellen.
Natürlich kamen in ihren Looks typische 00er-Trends vor – allen voran tief sitzende Hüfthosen, gerne aus Satin oder glänzendem, silbernem oder goldenem Leder, bauchfreie Tops, entweder als Halterneck- oder Tube-Tops, spitze Stiefel und Pumps, Corsagen-Oberteile, enge Schlagjeans, dünne Schals und Tücher, Lingerie-Kleider Glitzer, Glitzer, Bling, Bling. Ganz bewusst wurden bei Auftritten, auf der Bühne oder dem Roten Teppich, die Looks der Band-Mitglieder untereinander kombiniert. Manchmal hatten beispielsweise jeweils zwei ein sehr ähnliches, aber farblich unterschiedliches Outfit an. Mal waren aber auch gleich ganze Outfits gleich, beispielsweise beim Cover des “Now…Us!”-Albums, als alle Sängerinnen geschlitzte Anzugshosen zu weit aufgeknöpften weißen Blusen trugen. Oder einzelne Kleidungsstücke: 2003 etwa trugen die No Angels geschlossen bei einer Preisverleihung Shirts mit “No War”-Aufschrift.
Was für die frühen 00er-Jahre die No Angels waren, waren für die späten 00er-Jahre Monrose. Noch mehr als bei den No Angels zeichnete sich bei der dreiköpfigen Gruppe eine gewisse Dynamik und Rollenverteilung im Styling ab, obwohl diese nicht wie bei den No Angels offiziell ausgesprochen wurden, sondern subtil umgesetzt wurden. Während Mandy Capristo scheinbar die sexy-elegante Rolle einnehmen sollte, sollte Bahar Kizil die verspielt-niedliche sein, Senna Gammour die cool-sportliche.
Wie aber blickt Senna Gammour, die nächstes Jahr als Solokünstlerin ein neues Album veröffentlicht und aktuell unter anderem regelmäßig einen Podcast veröffentlicht, heute, mehr als zehn Jahre später, auf diese Zeit? “Ich hatte nie das Gefühl eine Rolle annehmen zu müssen”, erklärt sie. „Meine damalige Stylistin bei ‘Popstars’, Sessie Viatli, konnte mich einfach lesen und wusste wer ich bin, und was mir steht.“
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VOGUE COMMUNITY – Dieser Text von Hella Schneider wurde zuerst bei Vogue Germany veröffentlicht. Hier könnt ihr den Beitrag weiterlesen – |
Startbild: © Getty Images