Vor ein paar Wochen fragte mich Silka, ob sie diesen Text für euch schreiben dürfe. Damit diejenigen ihre Worte lesen können, die Ähnliches durchmachen. Weil nicht allein sein, gerade jetzt, so wichtig ist. Aber auch, weil sie hofft, uns daran zu erinnern, dass Vorsoge Leben rettet.
„Aber ich bin keine Journalistin!“, schickte Silka noch hinterher. „Ich schreibe aus dem Gefühl heraus!“. Überhaupt nicht schlimm, finde ich. Und danke Silka, die ich nur durch unseren Mail-Austausch kenne, von Herzen.
*Triggerwarnung, Erkrankungen an der Gebärmutter, Kinderlosigkeit
Als vor einigen Wochen das Thema „Sternenkinder“ präsenter zu werden schien und auch die Fehlgeburt wie ein Sturm der Offenheit durch das Internet wirbelte, hütete ich schon lange ein anderes dumpfes Geheimnis.
In mir kam ein Gefühl der Unruhe auf. Auch, weil ich sicher war, dass viele der Themen, die mit Verlust in Verbindung stehen, ohnehin zu wenig Gehör finden. Dass diese Geschichten in unserer Gesellschaft kaum präsent sind. Die, bei denen nicht alles glatt läuft. Dass viel zu selten darüber geredet wird. Auch über mein Geheimnis. Obwohl doch jede zweite bis fünfte Frau im gebärfähigen Alter einmal in ihrem Leben davon betroffen ist.
Vielleicht nicht in dem Ausmaß, welches ich nun erfahren muss. Aber eben dennoch.
Ich habe ein Myom an der Gebärmutter.
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Aber was ist das überhaupt? Es ist eine meist gutartige Geschwulst, die zum Beispiel durch einen Östrogenüberschuss entstehen kann. Leider kann die Medizin immer noch nicht genau sagen, welche Faktoren das Wachstum eines Myoms begünstigen.
Bei mir fing alles vor acht Jahren an. Mein Gynäkologe entdeckte das Geschwür während meiner halbjährlichen Kontrolluntersuchung, versicherte mir aber schnell, dass es nichts Schlimmeres sei. Seither bekam ich bei jeder Untersuchung auch ein Ultraschall. Und damit die Gewissheit, dass das Myom in etwa 0,5 bis einen Zentimeter pro Jahr wuchs.
Ich versuchte alles, um dagegen zu halten. Das ganze Programm. Ernährungsumstellung und Zuckerverzicht. Doch es wuchs weiter.
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Nach einigen Jahren war es fünf Zentimeter groß und mein Körper zeigte erste Reaktionen, die immer heftiger wurden. Ich fühlte meinen Eisprung so stark, dass ich regelmäßig vor Schmerzen durch die Wohnung lief, ganze Nächte lang. Bei Eintritt der Regelblutung wusste ich mittlerweile: In den kommenden zehn Tagen werde ich das Haus nicht mehr ohne Tampons verlassen. Das liegt daran, dass die Gebärmutter das Blut nicht mehr richtig und regelmäßig freigeben kann, da sie sich nicht mehr entsprechend zusammenzieht und öffnet. So meine ich jedenfalls, die Erklärung meines Frauenarztes verstanden zu haben. Vielleicht hätte ich mehr Zeit gebraucht. Für Erklärungen. Aber oft blieb ich sogar selbst ganz stumm. Und wie gerne hätte ich mal eine Menstruationstasse ausprobiert! Auch, wenn mir dieser Wunsch mittlerweile fast lächerlich naiv erscheint.
Dann, im letzten Jahr: „Frau S., Ihre Gebärmutter muss entfernt werden. Keine Chance. Das Myom ist nun 13 cm groß. Bis dahin müssen Sie bitte die Minipille nehmen, vielleicht hält sie das Wachstum immerhin noch auf.“
Habe ich als Frau versagt?
Warum macht mein Körper nicht mit?
Werde ich auch ohne (leibliche) Kinder zufrieden sein? Glücklich?
Welche Alternativen gibt?
Kommen sie überhaupt für mich infrage?
Bin ich für Männer noch attraktiv?
Komme ich jetzt in die Wechseljahre?
Kann das Myom doch bösartig sein?
So viel Trauer war und ist in mir. Über etwas, das ich verlieren werde. Und über das, was ich nie hatte und jetzt ganz sicher nie bekommen werde. Es ist die Endgültigkeit, die kaum zu ertragen ist.
Früher hörte man immer blöde Floskeln wie „untenrum aufräumen“, wenn irgendwas mit dem Uterus nicht stimmte. Aber das war für mich immer ein Thema für Omas. Für alte Leute eben. Dabei stimmt das so gar nicht. Bin ich, wie so viele, noch lange nicht. Alt, meine ich. Und Oma schon gar nicht. Trotzdem werden mir die Gebärmutter und die Eileiter entfernt. Der Gebärmutterhals und die Eierstöcke hingegen bleiben erhalten – damit die Hormone noch etwas bleiben und ich nicht sofort in die Wechseljahre komme.
Es ist 2020 und ich habe Angst, allein im Krankenhaus liegen zu müssen. Vielleicht, weil das, was passieren wird, sich auch ein bisschen wie eine Konfrontation mit meiner Geburt anfühlt – da lag ich auch alleine im Krankenhaus, im Inkubator und von meiner Mutter getrennt, die in einem anderen Krankenhaus bleiben musste. Wie sie sich gefühlt haben muss? Ich werde es wohl nicht erfahren. Nicht so jedenfalls. Weil ich keine leiblichen Kinder bekommen werde. Nicht, weil ich nicht will, sondern weil ich nicht kann. Mein Leben gegen ihres.
Anfang Januar 2021 werde ich operiert und darf keinen Besuch empfangen, während ich meiner Vergangenheit und gleichzeitig all den Fragen und meiner größten Sorge ins Gesicht blicke. Ich habe Angst. Aber ich werde mich ihr stellen. Mal gucken, ob sie antwortet.
Das, was mir gerade am meisten hilft, ist mein Umfeld, das so liebevoll und offen reagiert. Ich weiß nämlich erst jetzt: Ich bin nicht allein.
Nach ihrer OP schickt Silka mir eine Nachricht: „Es geht mir soweit gut. Außer, dass ich manchmal Angst habe, dass es nicht richtig heilt. Es zwickt noch am Bauchnabel. Aber vielleicht gehört das zur Heilung. Mir ist bewusst, was ich für ein Glück hatte – dass alles gutartig war.“ |