Vor ein paar Jahren sprach ich mit einer Frauenzeitschrift über das Thema Feminismus. Das war durchaus etwas Besonderes, denn damals berichteten deutsche Medien noch nicht so selbstverständlich und breitgefächert über dieses Thema, wie sie es heute tun. Im gedruckten Magazin waren meine Zitate eingebettet in einen Text über das feministische Engagement von Stars, insbesondere von Angelina Jolie und Emma Watson. Letztere hatte gerade ihre Rede vor der UNO gehalten und dazu aufgerufen, dass auch Männer sich für Gleichberechtigung einsetzen sollten – was die Frauenzeitschrift, in der ich erschien, zu der Frage veranlasste, ob Emma Watson nun Angelina Jolie vom „Feminismus-Thron“ stürzen würde. Ich las die Schlagzeile und rätselte, wo genau dieser Thron steht und wer bestimmt, wer darauf sitzen darf.
Sie hat es versucht
Heute hat sich an dem – medialen – Umgang mit Feminismus einiges geändert. Fast nichts geändert hat sich hingegen an der Besessenheit mit prominenten Feminist*innen. Aktuelles Beispiel: Karlie Kloss. Das Model ist mit Joshua Kushner verheiratet, der wiederum Jared Kushners Bruder ist, der wiederum mit Ivanka Trump verheiratet ist – eine Verwandtschaft, die eine Frau wie Karlie Kloss, die über sich selbst sagt, sie sei Feministin und Demokratin, sich so nicht schlimmer wünschen könnte. Mit offener Kritik an der Trump-Sippe hielt sie sich in den letzten Jahren dennoch zurück. Bis Trump-Anhänger*innen Anfang Januar das Washingtoner Kapitol stürmten. Auf Twitter schrieb Kloss: „Die Ergebnisse einer rechtmäßigen und demokratischen Wahl zu akzeptieren ist patriotisch. Sich zu weigern, es zu tun und zu Gewalt anzustacheln, ist anti-amerikanisch.“ Als daraufhin eine Twitter-Userin antwortete, Kloss solle das mal ihrem Schwager und ihrer Schwägerin sagen, reagierte diese mit einem schlappen: „Ich habe es versucht.“
Wie genau dieser Versuch aussah, ist nicht bekannt. Nichtsdestotrotz bekam Kloss in den sozialen Medien und darüber hinaus viel Zuspruch: Zumindest hatte sie überhaupt etwas gesagt! Das scheint generell der Minimalkonsens zu sein, wenn es um das feministische oder politische Engagement prominenter Frauen geht. Mittlerweile reicht es, sich in irgendeinem Interview oder auf dem roten Teppich vage pro Gleichberechtigung oder Demokratie geäußert zu haben, um in den (sozialen) Medien als Über-Feministin oder -Aktivistin gefeiert zu werden. Bei prominenten Männern liegt die Latte selbstverständlich noch tiefer: Hier reicht es, Frauen gegenüber einen höflichen Abstand zu halten oder sich enthusiastisch über Superheldinnen zu äußern, um als progressiver Poster-Boy zu gelten.
Accepting the results of a legitimate democratic election is patriotic. Refusing to do so and inciting violence is anti-American.
— Karlie Kloss (@karliekloss) January 7, 2021
Weisheiten aus dem Female-Empowerment-Katalog
Immerhin: Dass politischer und feministischer Aktivismus mehr bedeutet, als in teurer Designermode für Magazine zu posieren und ein paar „empowernde“ Zitate zu liefern, haben mittlerweile auch viele prominente Frauen gemerkt – unter anderem Taylor Swift. Prominente weiße Frauen wie sie haben nicht nur Geld, sondern über ihre Plattformen auch einen riesigen Einfluss. Damit geht, ob sie nun wollen oder nicht, eine Verantwortung einher.
Umso frustrierender ist es, wenn ihr sogenanntes „Engagement“ über Lippenbekenntnisse und Weisheiten aus dem Female-Empowerment-Katalog nicht hinausgeht. Und das trotzdem reicht, damit sie von Fans und Medien zu gesellschaftspolitischen und feministischen Vorbildern erklärt werden. Nach Karlie Kloss‘ Tweet zum Kapitol-Sturm titelte Jezebel (laut Selbstauskunft eine „angeblich feministische Webseite“) enthusiastisch: „Karlie Kloss, willkommen im Widerstand“. So, als ob Kloss à la Leia Organa laserschwertschwingend gegen das Imperium kämpfen würde – und nicht bloß einen kritischen Tweet abgesetzt hätte.
Tavi Gevinson, Schauspielerin und ehemalige Chefredakteurin von Rookie, beeindruckte Kloss‘ „Widerstand“ hingegen kein bisschen. In einer Instagram-Story nannte sie Kloss eine „Widerstands-Barbie“ und führte das in einem Interview weiter aus: „Es ist einfach nicht genug zu behaupten, dass du hinter den Kulissen Konversationen führst, in denen du versuchst, diese Menschen zu beeinflussen. Ich kann mir nicht vorstellen, die politische Macht zu haben, die sie hat, und diese nicht nutzen zu wollen, um wirklich zu vermitteln, was für eine Bedrohung diese Menschen sind, und wie verantwortlich sie für so viele grausame politische Maßnahmen sind, und für so viel Gewalt.“ Letztendlich, so Gevinson, gehe es Kloss wohl eher um ihr Vermögen und ihren Status.
Feminismus mit Promi-Branding
Die Krux liegt darin, dass feministische und andere gesellschaftspolitische Anliegen durchaus von dem Glanz und Glamour prominenter Frauen profitieren können. Weil sie große Plattformen haben und ein großes Publikum haben. Weil man ihnen zuhört. Doch gleichzeitig haben Promi-Aktivist*innen dazu beigetragen, gerade Feminismus marktfähig zu machen. Der lässt sich mit ihren Gesichtern drauf nämlich so viel besser verkaufen als mit denen der feministischen Aktivist*innen, die beispielsweise für mehr Frauen in den Vorständen kämpfen oder gegen häusliche Gewalt. Prominente Frauen können also nützliche Partnerinnen für den Feminismus sein – wenn sie denn bereit sind, ihren Einfluss tatsächlich zu nutzen, also feministische Themen und Anliegen Aufmerksamkeit zu verschaffen. Simone de Beauvoir, die sich mit über 60 Jahren der feministischen Bewegung der 1970er anschloss, sagte damals, sie stände – mit ihrer Prominenz, ihrem Namen – der Bewegung „zur Verfügung“. Heute hingegen hat man oft den Eindruck, Feminismus sei etwas, das Promis zur Verfügung stehe, das von ihnen genutzt wird. Und nicht andersherum.
Kein Wunder, dass Feminismus heute so oft als „Brand“ in Erscheinung tritt, bei der es weniger darum geht, die gesellschaftspolitische Realität nachhaltig und radikal zu verändern – und mehr um persönliches Empowerment, um ein apolitisches „You go girl!“. Als die dazu passenden Vorbilder gelten allzu oft prominente weiße Frauen, die schön und erfolgreich sind und zwar irgendwie feministisch sind, aber auch nicht zu sehr, denn das würde dann doch verschrecken. Es handelt sich also eher um einen Feminismus mit Promi-Branding als um den Feminismus, dem es tatsächlich um strukturelle und systemische Veränderungen geht.
Echtes Engagement
Den eingangs erwähnten „Feminismus-Thron“ gibt es selbstverständlich nicht. Er existiert nur in den Köpfen derjenigen, für die Feminismus eine Art Wettbewerb zwischen glamourösen, berühmten Frauen ist. Keine Frage: Ich freue mich über prominente Frauen, die ihre Berühmtheit und den damit verbundenen Einfluss nutzen, um mal nicht über den Designer ihres Oscar-Kleides zu sprechen, sondern über den Gender Pay Gap, Rassismus, stereotype Geschlechterrollen und so weiter. Und ich glaube, sie können dabei helfen, bestimmten Themen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Aber mich ärgert, dass bloße Lippenbekenntnisse à la Karlie Kloss mit Engagement gleichgesetzt werden. Wie Andi Zeisler in Wir waren doch mal Feministinnen richtig schreibt: „Medien und Popkultur müssen mithelfen, ein Narrativ zu verändern, in dem die Behauptung feministischer Identität die echte Arbeit im Dienst der Gleichstellung ersetzt hat.“
Startbild: Dior SS17 via Vogue Runway