Die Sache mit den verlorenen Prinzipien.

30.09.2011 Leben, Allgemein


Zweifel schmerzen in deinen angespannten Schultern, zerknautschen deine Stirn und zerfetzen das Hirn. Immer dann, wenn dein Leben nach Sicherheit riecht, nach Ankommen und süßem Selbstbewusstsein. Wenn die Straße dir zulächelt, statt dir ins Gesicht zu schlagen. Sorgen aus, Kopf an. Und dann kommt alles anders. Statt wie üblich zu verdrängen, suchst du nach dem Riss in der Fassade, nach dem Haken, weil du Zeit hast. Du atmest ein und atmest aus, alles ist gut, solange du du bist. Aber was bist du? Bist du gut oder böse?

Als du klein warst, hast du sie verabscheut. Die großen Leuten mit ihren noch größeren Köpfen, mit den bösen Worten und überflüssigen Floskeln. Heute bist du einer von ihnen, redest mehr als gesund ist und weniger als du solltest, zu viel Unwichtiges, zu wenig Wichtiges. Deine Stimme quietscht, wenn du mit Kindern redest, so als stünde ein Hundewelpen vor dir. Als seien sie dumm, diese kleinen Geschöpfe. Dabei verstehen sie oft viel mehr vom Leben als du.
Früher, da hattest du noch Prinzipien, heute tust du bloß noch so. Weil Existieren anstrengend ist, weil Zeit Geld und Bequemlichkeit so verlockend ist.

Als du sechs warst hast du mal ein Nummernschild aufgeschrieben von dem alten Mann, der im Auto vor euch fuhr. Er hatte Müll aus dem Fenster geworfen und eine Zigarette. Du hattest Angst, dass der Wald anfängt zu brennen. Heute kaufst du Dosenbier und Knicklichter um im Park zu tanzen, du rauchst Kette, wirfst die Glut auf die Blätter und Papier auf den Boden. Es ist dir egal, denn irgendwer räumt morgen schon auf.

 

 

Früher hat dich der schöne Schein nicht täuschen können, Labels waren dir egal und schöne Schnitte sowieso. Was teuer war, hast du verabscheut, weil du es nicht dreckig machen durftest, weil es dich eingeengt hat wie die Zwangsjacken aus Comics. Du hast gelacht über all die Zicken mit ihren hässlichen Taschen und darüber, dass sie der Illusion erlagen, etwas besseres zu sein, weil sie teureres tragen. Heute fühlst du dich fad, wenn bloß ein H&M Teil in deinem Beutel landet, du kaufst Marken, weil du dich größer fühlst, schmückst dich mit teuren Etiketten und schreist, wenn deine Schwester Eis auf deine Bluse spuckt.

Vor ein paar Jahren fandest du Liese doof, weil sie so eingebildet war, so durchaus überzeugt von sich und ihren Freunden, weil sie unhöflich war zu Johannes und all den anderen uncoolen in der Schule, die nicht so schöne Schuhe hatten wie sie. Heute läufst du über die Straße und schmeißt mit verwerflichen Blicken um dich, fühlst dich überlegen und irgendwie gestört von all dem schlechten Geschmack. Deine Freunde sehen aus wie du, weil das die beste Entscheidung ist und ihr genießt die neidischen Blicke. Letztens noch hast du an Anne gedacht, aber sie ist längst nicht mehr deine Freundin. Das letzte Mal, als du sie sahst, trug sie schreckliche Jeans, ausgewaschen, aber nicht gut ausgewaschen, sondern schlimm ausgewaschen. Du hast deine Sonnenbrille aufgesetzt, weil sie dir peinlich war.

 


Vor ein paar Jahren hast du dich dazu entschieden, keine toten Tiere mehr zu essen, Spenden zu sammeln und Kühe zu streicheln, statt sie auf dein Brot zu schmieren. Du hast mit Eiern auf Pelzträger geschmissen und mit deiner Oma gestritten wegen der Bärenmütze aus Russland. Heute bist du dir zu gut für kratzige, synthetische Stoffe, fettest deine Lieblingsschuhe ganz sorgsam ein, die schönen aus echtem, zarten Babyschaf-Leder. Im Supermarkt kaufst du Billigmilch, weil das Geld sonst nicht mehr für Weißwein reicht, für den guten, den aus Übersee. Und auf dem Kopf trägst du Haarspray. Weil Laborratten so oder so zu hässlich sind für diese Welt.

Als Kind fandest du die Welt ungerecht, konntest nie verstehen, warum die Erwachsenen mit ihren großen Häusern dachten, sie seien klüger als die armen und irgendwie netter. Du hast nie begriffen, wieso ein Mensch mehr wert ist, wenn er mehr im Kopf hat, warum man über andere lacht und schimpft, bloß weil sie nicht wissen, wie man unsere Sprache richtig benutzt. Vorgestern saßt du im Cafe, deine Nase zeigte irgendwo gen Himmel, du hast gelacht, fast Tränen geweint, weil sie so niedlich naiv und strohdumm sind. Die Idioten im Fernsehn, diese lächerlichen, asozialen Kreaturen, die noch nicht einmal merken, dass sie alles falsch machen im Leben, dass sie ein Leben leben, das wertlos ist. Die sind nur glücklich weil sie nicht denken können, sagst und du lachst immer lauter.

Plötzlich wird es ganz still, deine Augen sind rot und nass und dick. Ich hoffe, du wirst an deinem Kotzbrocken ersticken.

Menschen sind scheiße. Ich bin einer von ihnen.

Alle Bilder gefunden bei pearl widsom.

7 Kommentare

  1. Cloudy

    …und das schlimme ist, dass wir nicht mal merken, dass wir selbst eine der Kreaturen sind, die wir als so erbärmlich erachten. Weil wir urteilen und mit dem Finger auf andere zeigen, anstatt uns damit an die eigene Nase zu fassen. Aber das schaffen wir gar nicht mehr, weil wir bei der angebliche geilsten Party der Stadt zu tief ins Champagnerglas geschaut haben. Wir schauen den Schein an, denn Schein ist immer noch mehr als Sein und reflektieren nicht mehr unser inneres Selbst. Wenn das gegen den Strom laufen zum angesagten Strom wird, dann stellt sich die Frage, ob wir nicht alle einfach in einem sumpfigen Tümpel stecken.

    Wahre Worte Nike, danke dafür! Cloudy x

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