Freund*innenschaften mussten in den vergangenen zwölf Monaten so einiges aushalten. Da wurde sich gemeldet, dann wieder nicht. Verabredet und gleich wieder abgesagt. Es wurde gezoomt und es herrschte Stillstand. Jetzt aber hat es ein neuer Diskussionspunkt auf meine Agenda geschafft: Denn so wie im vorvergangenen März der erste Lockdown eingeläutet wurde, so jährt sich auch bald die nächste Urlaubssaison, die durchsetzt ist mit lockeren Stornierungsbedingungen, hochgezogenen Augenbrauen und dem Bedürfnis nach diesem „endlich mal Rauskommen“. Eins ist sicher: Urlaubsreif sind wir längst alle. Die Frage aber bleibt, wer sich Reisen in die Ferne noch leisten kann — oder will.
Quarantänepflicht in den Niederlanden, Ausgangssperre in Frankreich, Einschränkung des öffentlichen Lebens in Italien. Lust auf Urlaub unter strengen Regeln, die einem schon zu Hause den letzten Nerv rauben? Muss man mögen. Corona Urlaub 2021 − ich war dabei − oder auch nicht. Glaubt man nämlich Instagram oder den eigenen Ohren, können sich einen Urlaub im Lockdown nur Ausgewählte erlauben. Was es braucht, ist nicht nur ein gefüllter Geldbeutel nach einem Jahr Pandemie, sondern auch eine ordentliche Portion Liberalismus, oder?
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„Ich brauche jetzt echt ’ne Pause!“, „Mir ging es so schlecht!“, „Ich muss unbedingt rauskommen!“ -I feel you. Ja, ich fühle es richtig, so wie die meisten hier, die während der vergangenen Monate vielleicht mehr als nur die eigene Existenz verloren haben. Lasse ich den Sicherheitsaspekt außen vor, kommt mir gerade wenig absurder vor als wenige Wochen nach dem Trauergedenken der 80.000 Deutschen Corona-Opfer in den Flieger zu steigen, um einen Urlaub zu verleben.
Auf Instagram tummeln sich derweil Influencer*innen und Hobby-Fotograf*innen auf den Malediven oder Madeira. Malle, Ibiza, den Kanaren. Alles ist möglich. Für viele ein starkes Stück und Anlass zur Empörung. Erst kürzlich durfte ich Zeugin werden, wie in meiner Instagram-Bubble mehrere Leute via „Enge Freunde“-Funktion eine ausgelassene Grillparty mit mindestens zehn Menschen teilten und mir auch an anderer Stelle eine südeuropäische Urlaubsdestination samt Schaumwein, Pool und Dachterrasse nicht vorenthielten. So nach dem Motto: „Ich schäme mich zwar, aber angeben möchte ich trotzdem“, machten besagte Personen ihren Glücksmoment eben nur für ein paar Auserwählten zugänglich. Das schlechtes Gewissen in der Profilierung? Ob beides in Kombination so ein gutes Paar ist?
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„Ich darf reisen, also reise ich“ müssen sich richtig viele denken. Das Ersparte aus dem letzten Jahr oder die Stornierung aus dem Sommer 2020 wollen schließlich ausgegeben werden. Und dabei ist es nicht so, als hätte ich nicht selber extrem großes Interesse Berlin, Deutschlands Pandemie-Moloch, endlich hinter mir zu lassen. Nur fühle ich mich leider schon schlecht, wenn ich eine unnötige Reise zur Familie plane, meine beste Freundin und ich nach unserer Impfung einen Besuch aushecken oder ich mich auf einer Fahrradtour zu dritt in Brandenburg befinde. Dies ist keine neue Runde Flugscham. Dies ist ein Appell an den gesunden Menschenverstand, den guten Willen und die Solidarität mit denen, für die ein Urlaub aus diversen Gründen aktuell nicht drin ist. Dass es diese sozialen Unterschiede auch sonst gibt, sollte uns sowieso schon länger sorgen.
Was aber führt dazu, dass ich mir im Geheimen ansehen muss, wie sich beschämte DINKs („Double Income No Kids“-Paare) in der Sonne aalen und mit dieser Absurdität nicht einmal hinterm Berg halten können?
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Meine beste Freundin fragte mich letztens am Telefon, wann ich glaube, selbst einzubrechen. In welcher Situation ich schon gedacht hätte „Scheiß drauf − ich lad jetzt die neun Leute ein“, „Ich flieg jetzt schnell nach Malle“ oder „ab ins Häuschen in der Uckermark mit der Freundesfamilie“. Und auch wenn meine Antwort kurz auf sich warten ließ, musste ich lachen, als mir einfiel, dass mir aktuell nichts ferner liegt, als mein Geld in die Hand zu nehmen und über alle Berge zu düsen. „Ich könnte das ja niemandem erzählen“, habe ich dann entgegnet. „Was sollte ich denn dir, meiner Mutter oder meinen anderen Freund*innen sagen?“. Mein moralischer Kompass, auch gesetzt durch mein engstes soziales Umfeld, wäre mindestens genau so irritiert, wie ich es heute bin. Ich könnte schlichtweg niemandem richtig erzählen, wohin es mich spontan getrieben hat, noch erklären, warum genau ich gerade jetzt die langersehnte Auszeit verdiene, auch wenn alle durchaus über psychischen Status quo, Stresslevel und Mehrfachbelastung Bescheid wissen.
Ich sehe so viele individuelle Schicksale und Gefühlslagen, während ich dies schreibe. Und ich habe es so lange mit Verständnis und Nachsehen für alle versucht. Bei diesen individuellen Entscheidungen, wo vielleicht nicht vermisste Verwandte, gesundheitliche Beschwerden oder anderweitige Probleme eine Auslandsreise veranlassen, werde ich schlichtweg stutzig bis wütend. Weil ich mir wünschen würde, dass wir noch durchhaltend zusammenstehen und Gefahren eindämmen, so lange wir eben müssen. Auch fürs Gemeinschaftsgefühl.