Baerbock & Habeck: Die grüne Kanzlerkandidatin & der feministische „Superheld“

28.04.2021 box1, Feminismus, Politik

Die Grünen haben geschafft, wovon CDU und CSU nur träumen können, nämlich: sich geräuschlos und ohne großes Tamtam auf die Person geeinigt, die die Partei im anstehenden Bundestagswahlkampf als Kanzlerkandidat*in vertreten soll. Wo die Herren Laschet und Söder sich öffentlich bekriegten und mal kleine, mal größere Spitzen in Richtung des anderen schickten, machten Annalena Baerbock und Robert Habeck die Kandidatur unter sich aus, hinter verschlossenen Türen. Also genau so, wie sie es schon vor Monaten angekündigt hatten. Am Ende dieses unaufgeregten Prozesses wurde Baerbock als Kanzlerkandidatin verkündet, und zwar von Habeck.

Enttäuschter Habeck

Seitdem prasselt Lob auf den Politiker nieder. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit galt Habeck als der „natürliche“ Kandidat fürs Kanzleramt, schließlich hatte er in Schleswig-Holstein als Minister bereits Regierungserfahrung gesammelt, machte sich in Talkshows gut und ist, nun ja, ein Mann. Und Mannsein wird – nicht nur in der Politik – immer noch mit Kompetenz gleichgesetzt, Frausein hingegen mit Risiko. Dass Habeck nun großmütig seiner Kollegin „den Vortritt gelassen“ hat, wie es in diversen Medien heißt, wird nun als Heldentat gefeiert: Seht her, es gibt ihn, den Typus Mann, der kein Problem damit hat, zugunsten einer Frau beruflich zurückzustecken.

Doch schon die Formulierung, Habeck habe Baerbock die Kandidatur „überlassen“, ist ärgerlich. Denn sie klingt so, als habe Habeck auf etwas verzichtet, was ihm zustand – und was Baerbock nicht wirklich verdient. Hinzu kommt: Während Annalena Baerbock seit ihrer Kür damit beschäftigt ist, zu erklären, warum sie trotz Frausein (Wie will sie Kanzlerinnenschaft und Familie vereinbaren?!) und nicht vorhandener Regierungserfahrung (Wie will sie die kompensieren?!) eine geeignete Kanzlerkandidatin ist, redet Robert Habeck ausführlich darüber, wie sehr es ihn schmerzt, dass nicht er der Grünen-Kanzlerkandidat geworden ist. „Bitter“ sei das: „Die Entscheidung nach außen vertreten und daraus, obwohl sie für mich eine persönliche Niederlage ist, einen politischen Sieg machen.“ Die Süddeutsche Zeitung findet das „ungewöhnlich und mutig“, der Rheinische Merkur titelt mitfühlend: „,Der schmerzhafteste Tag – nichts wollte ich mehr‘: Habeck nach Baerbock-Entscheidung zutiefst enttäuscht“.

 
 
 
 
 
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Ein Beitrag geteilt von ZEIT (@zeit)

Ein neuer feministischer Superheld

Armer Robert, so lautet zusammengefasst das Credo. Und gleichzeitig: So aufopferungsvoll! So vorbildhaft! Diese Reaktionen zeigen mal wieder, dass für Männer – im Allgemeinen, wie in der Politik – die Messlatte für das, was in Sachen Gleichberechtigung als „vorbildhaftes“ Verhalten gilt, unfassbar tief liegt. Robert Habeck hat sich mit seiner Kollegin darauf geeinigt, dass sie die Grünen-Kandidatin wird, und schon gilt er als feministischer Superheld.

Die Frage lautet aber: Wie feministisch ist es tatsächlich, wenn der „versetzte Mann“ (ntv) in den Tagen nach der Kür vor allem über sich und sein angekratztes Ego spricht, wo die Aufmerksamkeit doch eigentlich Kanzlerinnenkandidatin Baerbock gebühren sollte? Im Zeit-Interview klingt Habeck nicht wie ein großmütiger Verlierer, sondern wie ein Mann, dem Unrecht getan wurde, und der mitnichten so freiwillig und selbstlos auf die Grünen-Kandidatur verzichtet hat, wie ihm bisher unterstellt, beziehungsweise es von den Grünen dargestellt wurde. 

Das sieht man auch daran, dass er explizit darauf verweist, Baerbocks Geschlecht, also die Tatsache, dass sie eine Frau in einem von Männern dominierten Wahlkampf ist, sei „ein zentrales Kriterium“ dafür gewesen, dass sie die Kandidatur bekommen hätte. Es ist natürlich nicht falsch, darauf zu verweisen, und natürlich wird Baerbocks Geschlecht eine Rolle bei der Entscheidungsfindung gespielt haben. Allerdings lässt Habeck die Aussage im Interview einfach so stehen – und es so klingen, als sei das Geschlecht das einzige entscheidende Kriterium. Es klingt danach, als würde Habeck sagen: Ich wäre der bessere Kandidat gewesen, doch ich habe das falsche Geschlecht.

Große Ego-Show

Habecks Frust ist verständlich. Er wollte die Kandidatur, er hat sie nicht bekommen. Das schmerzt. Aber die Art, wie er mit dieser Niederlage umgeht, ist unangemessen. Nicht, weil Habeck sich, wie an einigen Stellen hämisch gefordert wurde, mehr wie „ein echter Kerl“ und weniger wie „eine Heulsuse“ verhalten sollte (denn, Achtung Newsflash: Auch Männer dürfen Gefühle zeigen und verletzlich sein). Sondern, weil seine Ego-Show von der Person ablenkt, die jetzt im Mittelpunkt stehen sollte. Und es in einem Augenblick, in dem eine Frau triumphiert, mal wieder nur um männliche Befindlichkeiten geht.

13 Kommentare

  1. Jula

    Liebe Julia, danke für den Artikel. Mich hat das Interview mit Habeck in der Zeit irritiert zurückgelassen, vor allem das Zitat zum weiblichen Geschlecht. Es hat nicht viel von der vielbeachteten Geschlossenheit hinter der Entscheidung spüren lassen und ich habe es als sehr selbstzentriert aufgenommen. Ob das der richtige Weg ist, die Kanzlerkandidatin der eigenen Partei zu unterstützen, vor allem wenn man selber ein Ministeramt anstrebt???

    Antworten
  2. Anna

    Puh, ich tu‘ mich wirklich schwer mit diesem Artikel.
    „Große Ego-Show“ – bitte was? Wo?
    Nicht mindestens ein Interview zu geben und darin nicht über seine „Empfindlichkeiten“ (?) zu reden wäre meiner Meinung nach unglaubwürdig.
    Wo ist jetzt das Problem? Liegt es jetzt an RH und an seiner „Show“ oder doch daran wie das ganze natürlich medial ausgeschlachtet wird.

    Ist RH jetzt der „Anti-feministische-Superheld“? Oder lassen sich da nicht noch andere finden, deren „Ego-Show“ noch ein bisschen größer ist?

    Ich bin so freudig aufgeregt und kann es kaum erwarten, dass sich nun endlich HOFFENTLICH was ändert im September und das liegt sowohl an Annalena Baerbock als auch an Robert Habeck. Und gerade deswegen hätte ich mir zu diesem Thema einen etwas anderen Beitrag gewünscht.

    Dazu kommt mir in den Kopf: „wie simone de beauvoir und andere ikonen der feministischen theorie lehrten: der erste und wichtigste schritt im kampf gegen das patriachat ist das ständige rumhacken auf feminist:innen, die dir persönlich nicht „woke“ genug sind“ (über Sophie Passmann von fotzenbonus_official)

    Antworten
  3. Kerstin

    Oh, das finde ich jetzt schwierig… Was hat RH wirklich genau geäußert? Was wurde „medial aufgebauscht“? Dass er nach jahrelanger Arbeit auf sein Ziel hin jetzt enttäuscht ist, dass er nicht Kanzlerkandidat wurde, finde ich zunächst höchst menschlich und verständlich. Und was wirklich genau gesagt wurde oder was auch durch Fragen in dieser Konstellation bewusst gesteuert, wissen wir eben nicht exakt…

    Antworten
  4. Verena

    Liebe Julia

    volle Zustimmung zu diesem Kommentar! Es spricht ja nicht gerade für die Grünenwähler und -wählerinnen, wenn deren Kanzerlkandidatin nach 16 (!) Jahren Merkel und der zweiten Verteidigungsministerin erklären muss, wie denn das mit den Kindern wohl gehen mag. Auch von der Leyen hatte anfangs noch kleine Kinder.

    Habecks Erklärung, er wolle dem Land dienen, fand ich unfreiwillig komisch. Solche Formulierungen findet man in alten Romanen, wenn der Liebhaber in den Krieg zieht.

    Unter der modernen Fassade geht es arg altmodisch zu! Als Feministin zeigt das, wie wachsam frau sein muss. So lange gibt es Frauenrechte schließlich noch nicht, wenn man sie historisch einordnet.

    liebe Grüße!

    Antworten
  5. Lena

    „Sie ist es nur geworden weil sie eine Frau ist.“
    Das hat über Angela Merkel nie jemand gesagt.
    Identitätspolitik macht solche Sätze möglich.
    Ob diese Form der Identitätspolitik Frauen stärkt oder eher schwächt kann jeder für sich entscheiden.
    Ich persönlich würde mir sehr ungerne sagen lassen, dass ich es „nur“ geworden bin weil ich eine Frau bin.

    Antworten
    1. Lotta

      Dann viel Spaß beim Daraufwarten, dass du dieselben Chancen kriegst wie ein Mann und/oder dasselbe verdienst.

      Seit Jahrzehnten wird versucht, Gleichstellung im Arbeitsmarkt ohne eine Quote hinzubekommen. Es funktioniert nicht. Ja, ich hatte auch mal Bauchschmerzen wegen Frauenquoten, aber ganz im Ernst? Mir ist ein volles Bankkonto und ein guter Job wichtiger.

      Antworten
  6. Verena

    LIebe Kerstin

    Ich halte Identitätspolitik für einen Rückfall des Feminismus, weil er suggeriert, Frauen wären wehrlose Opfer eines alles erdrückenden Patriarchates. Unfähig zu eigener Leistung und unfähig, gerechte Bezahlung zu fordern (und das bei den heutigen Tarifverträgen). Es wäre viel gescheiter, daran zu arbeiten, dass Frauen als gleichberechtigt angesehen werden und im eigenen Bewusstsein damit anzufangen.

    Per Opferticket voranzukommen ist eine Falle. Es wird immer mehr Opfergruppen geben, die noch viel schützenswerter sind als Frauen, Transfrauen oder Frauen mit Migrationshintergrund usw. Und was macht frau dann? Wäre es da nicht gescheiter gewesen daran zu arbeiten, als gleichberechtigt wahrgenommen zu werden?

    liebe Grüße!

    Antworten
    1. Lena

      „Als Rollstuhlfahrer hätt ich mir auch nur ansatzweise so einen Einsatz gegen die schrecklich Behindertenungerechten Unis gewünscht.
      Aber das scheint nicht so wichtig zu sein, wie mit welchem Geschlecht und welcher Sexualität ich geboren wurde laut @dieGRAS“
      das ist ein tweet den ich zum Thema Identitätspolitik gerade gelesen habe.
      Identitätspolitik spaltet.

      Antworten
  7. Clarissa

    Betr. Identitätspolitik.

    Wer von Identitätspolitik spricht, fordert entweder eine patriarchale Gesellschaft ein (was sein/ihr gutes Recht ist) oder ist auf den ältesten Trick des Patriarchats hereingefallen.

    Die Behauptung: die Sicht von weißen, heterosexuellen Männern ist normal, ist rational, vernünftig, ist: die Norm. Alle anderen Sichten auf die Welt sind Ideologie oder Identität.

    Ist weiß-männlich-heterosexuell-christlich denn keine Identität?

    Und liebe Julia: 101% Zustimmung zu diesem Kommentar. Wir sollten uns dringend von der Vorstellung verabschieden, Grüne, Linke oder Sozialdemokraten wären per se feministisch, pro LGBT oder tolerant. Sind sie gar nicht, gell, Thierse, gell, Kretschmann, gell, Sahra?

    Antworten
  8. Verena

    Liebe Clarissa

    das scheint mir eine eingeschränkte Sichtweise zu sein.

    Nach deiner Lesart haben Egon, der deutsche Müllmann und Arthur, der deutsche Vorstandsvorsitzende mehr gemein, als ein Anshu der Vorstand der deutschen Bank Frankfurt und Manfred der Vorstand der Commerzbank Frankfurt.

    Das ist doch absurd!

    Anshu und Manfred existieren wirklich, einer ist Inder der andere Deutscher

    Antworten
  9. Eva Parke

    Den Darstellungen / Erklärungen kann ich diesmal gar nicht zustimmen.

    Es wird naturgemäß nur von den Wählern und Wählerinnen darüber entschieden, wer am Ende die bessere Kandidatin bzw. der bessere Kandidat gewesen wäre. „Möge die Übung gelingen.“ Für mich sind beide absolut gleichermaßen geeignet, ohne Wenn und Aber. Robert Habeck hier als larmoyant darzustellen, ist absolut unangemessen. Soll er in Sack und Asche Buße tun? Wofür?

    Ob diese strategische und sehr zukunftsweisende Wahl der Kanzlerinnenkandidatin die richtige Entscheidung war, werden wir dann sehen, wenn die Mehrheit der WählerInnen nach 16 Jahren der KanzlerInnenschaft von Angela Merkel wieder auf eine Kanzlerin vertrauen. Ich bin mir da noch nicht so sicher.

    Die Frage lautet für mich: Womit haben mich beide einzeln betrachtet im Hinblick auf die Position der Kanzlerin bzw.des Kanzlers überzeugt?

    Und die Wahl ist noch nicht gewonnen, weil die Wahl auf Annalena Baerbock gefallen ist.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Mehr von

Related