Eigentlich wollte ich gerade mit unserem Herbstjacken-Spezial beginnen. Den Anfang sollten „Azteken- und Navajomuster“ machen. Beim Ausschreiben dieser beiden Wörter ahnte ich schon nichts Gutes – tatsächlich dauerte es nur wenige Minuten, bis Sarah schließlich ihre Bedenken äußerste und mich auf die öffentliche Diskussion über die „political correctness“ zweiteren Begriffes aufmerksam machte. Ich möchte nun keinen heuchlerischen Gutmensch-Artikel vom Stapel reißen, sondern auf die Gefahr hin, verbal gesteinigt zu werden, ganz einfach ehrlich sein: Was um alles in der Welt soll das denn nun schon wieder?
Sarah Houston Brown gab kürzlich in einem offenen Brief an den CEO von Urban Outfitters ihren Unmut über die Benutzung und Vermarktung der „Native American Arts“ kund.
„[A]s a Native American woman, I am deeply distressed by your company’s mass marketed collection of distasteful and racially demeaning apparel and décor. I take personal offense to the blatant racism and perverted cultural appropriation your store features this season as „fashion„, heißt es da zum Beispiel, wie Jezebel berichtet. Ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass es mir im Grunde nicht zusteht, Gefühle anderer zu beurteilen, wenn ich mich doch selbst an einem ganz anderen Ausgangspunkt befinde. Für mich persönlich fühlt es sich aber so an, als würde hier bloß ein weiteres Exempel für zeitunangemessenes Schubladendenken statuiert.
Zum Hintergrund:
Die Navajo gelten zumindest zahlenmäßig als zweitgrößtes indianisches Volk mit Wurzeln in den USA. Sie selbst verwenden häufig den Eigennamen „Diné“ statt „Navajo“, was so viel bedeutet wie „Menschenvolk“ oder „Unter der Erde hervorgekommendes Volk“. So weit reichen noch die Kenntnisse unseres Lexikons.
Im Zuge des Bürgerkriegs wurden auch sie in Militär-Reservate ver- und getrieben, man machte es sich zum Ziel, sämtliche wirtschaftliche Grundlagen der Navajo zu zerstören: Vieh, Obst- und Gemüsegärten, alle Maisvorräte, Wasserlöcher – so gut wie nichts blieb übrig. Rund 1/4 der 8000 Angehörigen des Stammes, die es schafften aus der Gefangenschaft zu entkommen, kostete die als „langer Marsch“ bekannte Wanderung nach Bosque Redondo wenig später das Leben. „Am 1. Juni 1868 wurde ein Vertrag unterzeichnet, der den Navajo einen Teil der alten Heimat als Reservat zuteilte und die Rückkehr erlaubte„, verrät die normalerweise unzulässige Quelle Wikipedia. Aufgrund eines Streits um das besiedelte Land mussten unzählige Volksmitglieder später gegen ihren Willen in von der Regierung erbaute Häuser umgesidelt werden. So richtig gut war die Situation für die Navajos sicherlich nie. Es gibt noch viel, viel mehr zu sagen, aber das würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Wichtig für die Diskussion ist allerdings noch folgendes:
Die Navajo gelten allerwelts als begnadete Künstler und ebenso gute Handwerker.
„Die religiöse Symbolik beeinflusste auch die Kunst der Navajo. Wo eine Navajo-Frau sich aufhält, kann der Webstuhl nicht weit sein. Zunächst fertigten sie gemusterte Webdecken, die als Umhang (span. Poncho) getragen wurden. Der berühmte Navajo-Teppich ist aber die Erfindung weißer Händler aus der Zeit des Eisenbahnbaus und der ersten Touristen. Die Gäste aus dem Osten konnten mit den Decken wenig anfangen, so taufte man diese um und nannte sie Teppiche (engl. rugs) und legte den Grundstein für einen neuen Erwerbszweig.“
via.
Es geht also auch wieder um Geld. Mit diesen Künsten nämlich sicherten und sichern sich viele Navajo das Überleben. Und nun kommt plötzlich der Zeiger der Zeit ins Spiel, drückt der Mode den Navajo-Stempel auf und schaut sich reichlich viele Muster ab.
„All too often industries, sports teams and ignorant individuals legitimize racism under the guise of cultural „appreciation“. There is nothing honorable or historically appreciative in selling items such as the Navajo Print Fabric Wrapped Flask, Peace Treaty Feather Necklace, Staring at Stars Skull Native Headdress T-shirt or the Navajo Hipster Panty. These and the dozens of other tacky products you are currently selling referencing Native America make a mockery of our identity and unique cultures“, protestiert Sarah Houston Brown gegen all das Hipstergetue.
Wenn ich eins kann, dann ihre Wut nachvollziehen. Ich verstehe, dass es „Betroffene“ rasend macht zu sehen, was aus diesem traditionsgeladenen Muster geworden ist. Dass das alles nicht länger geduldet werden will. Dass Sarah Brown uns, den unwissenden Modefanatikern, am liebsten ihre Musterleggins bis in die Kimme ziehen würde. Aber es gibt eben auch so vieles, das mir gegen Strich geht, das anderen unwohl aufstößt. Gelangt man dann aber irgendwann an den Punkt, an dem die Einsicht eintrifft, dass eine kleine Selbstreflektion durchaus hilfreich wäre, so stellen die meisten von uns häufig fest: Diesen Ärger muss ich runter schlucken. Weil es zwar emotionale Gründe gibt, laut zu schreien und zu meckern, aber eben keinen triftigen, keinen ernsthaft alles K.O.schlagenden, der es vermögen würde, die Welt berechtigterweise umzukrepeln. Nicht, dass man nicht für seine Meinung einstehen sollte – das darf man immer – bloß muss man dann eben mit Kritik rechnen. Einem Unternehmen wie Urban Outfitters hingegen „Rassismus“ vorzuwerfen und Konsumenten anzukreiden, sie würden den Namen dieses Volkes in den Schmutz ziehen, weil sie Federanhänger neuerdings den aus der Mode geratenen Perlensteckern vorziehen, halte ich für überzogen.
Nur sehr selten auf der Seite der Großen, aber diesmal kann ich die Stellungnahme des UO- PR director Ed Looram durchaus nachvollziehen:
„Urban Outfitters is a trend-led lifestyle retailer dedicated to inspiring our customer with engaging product. Like many other fashion brands, we interpret trends and will continue to do so for years to come. The Native American-inspired trend and specifically the term „Navajo“ have been cycling thru [sic] fashion, fine art and design for the last few years. We currently have no plans to modify or discontinue any of these products. As of this writing the Urban Outfitters brand has not been contacted by any representatives of the Navajo Nation.“
Würde sich jede einzelne Menschengruppe über modische Adaptionen ihrer Tracht/Symbolik, etc brüskieren, dann würden wir aus dem Debattieren nicht mehr rauskommen. Was wäre mit dem Militär-Trend, diesen kastenförmigen Jackets mit ihren zweireihigen Knopfleisten? Verherrliche ich den Krieg, wenn ich sie trage? Was würden Mods der Jetztzeit tragen, würde aufgrund ihrer Parkas mit Eiern auf sie geworfen werden? Bin ich ein stolzer weißer republikanischer Rassist, weil ich statt Krawatte Lederbänder durch das Hemd ziehe? Was würden bloß die Schotten sagen? Natürlich gibt es auch in der Welt der Mode Grenzen, die schlichtweg einzuhalten sind. Ein Hakenkreuz hat nichts am Oberarm verloren und auch ein Palästiner-Tuch sollte man aus dem Kleiderschrank verbannen. Aber mit der Debatte um Muster und Schmuck der Navajo stellt sich Sarah Houston Brown auf eine ähnliche Stufe wie jene Amerikanische Kriegsveteranen, die aktuell gegen die Benutzung der amerikanischen Flagge auf modischer Kleidung protestieren.
In folgenden Punkt ist der ambitionierten Miss Brown (das ist ihr sehr wohl hoch anzurechen!) allerdings zuzustimmen: „Trademark“ bleibt eben „Trademark“:
„There is a trademark on ‚Navajo‘ for clothing,“ says Scafidi. „It mentions specifically jeans, and tops, and shirts, and sweatshirts,“ along with more general categories like „sportswear.“ Not all of the products that Urban Outfitters is selling under the name „Navajo“ are enumerated in the trademark, „but you could imagine that other similar items could fall into the ‚confusingly similar‘ category,“ meaning that they would also be protected from infringement. Of course, in court, „Urban Outfitters could come back and say, ‚Well, if you wanted that trademark to cover panties, then you should have listed panties.'“ It would be up to a judge to decide.
Ich bin mir nicht sicher, ob Miss Brown sich auch auf einen Einkommensschwund der Navajo bezieht, jetzt, wo jedes Lifestyle-Brand ihre Muster adaptiert (diesen Einwand hätte ich respektiert). Dazu werfe ich trotzdem ganz schroff die Frage in den Raum: Hätten wir uns eine Decke aus den USA bestellt, wenn UO sie nicht schon längst Sortiment gehabt hätte? Wohl kaum. Aber das wäre dann unser Fehler.
Es ist an der Zeit, die Mode als das zu akzeptieren was sie ist: Manchmal schön, manchmal furchtbar dumm, oft grausam und hässlich, ab und an lächerlich. Eines tut sie aber nur in krassesten, extremsten Fällen: Die Würde anderer verletzen.*
*EDIT aufgrund von Janas Kommentar: Es lassen sich nicht alle Themen in einen Text packen – „Produktionsbedingungen“ sind ein heikles Thema, das eigenen Raum braucht, um auseinandergerupft zu werden. Es geht in der von mir unglücklich Formulierten Aussage „Eines tut sie aber nur in krassesten, extremsten Fällen: Die Würde anderer verletzen“ rein um die optischen Ausmaße.