Warum Mutterschaft in der Politik normalisiert werden muss

19.05.2021 Feminismus, Politik

Am Wochenende erschien in der Bild am Sonntag ein Interview mit der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, das direkt mit der Frage danach losging, wie Baerbock sich das denn vorstelle, Kanzlerin und Mutter zu sein: „Sie und Ihr Mann sind Eltern von zwei Töchtern (5 und 9). Wie organisieren Sie im Kanzler-Wahlkampf und danach Ihr Leben?“ Immerhin wird Baerbocks Partner, der Vater ihrer Kinder, überhaupt erwähnt – oft hat man ja den Eindruck, Mütter seien ganz allein für Kindererziehung und -betreuung zuständig. Und natürlich auch dafür, das Ganze irgendwie mit ihrem Beruf zu „vereinbaren“.

Doppelbelastung als rein weibliches Thema

Männlichen Politikern wird die Frage nach der Vereinbarkeit eher selten gestellt. Dass sie diese Vereinbarkeit hinbekommen, wird einfach angenommen, während Politikerinnen erst beweisen müssen, dass es klappt. Als die damals frischgewählte neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern Anfang 2018 verkündete, sie erwarte ein Kind, wusste sie, dass es nun darum gehen würde, zu zeigen, dass sie ihren Pflichten auch mit Kind nachkommen kann. Also präsentierte sie der Öffentlichkeit direkt einen Plan, den sie dann genau so umsetzte: Ardern arbeitete bis kurz vor der Geburt, übergab die Staatsgeschäfte dann an den stellvertretenden Premierminister und verabschiedete sich für sechs Wochen in den Mutterschaftsurlaub. Währenddessen war sie weiterhin erreichbar und in Kontakt mit ihrem Stellvertreter sowie dem Kabinett – sie sei schließlich nicht „tot“, stellte Ardern klar. Nach ihrer Rückkehr an den Kabinettstisch nahm ihr Partner Elternzeit und kümmerte sich als „Stay-at-home Dad“ um die gemeinsame Tochter.

Auch im Jahr 2021 müssen Frauen in politischen Spitzenpositionen immer noch (und immer wieder) beweisen, dass sie es können, obwohl sie Frauen sind. Das gilt umso mehr, wenn sie nicht nur Frauen sind, sondern auch noch Mütter. Doppelbelastung, es scheint ein Thema zu sein, das in den Augen vieler (Männer) nur die Frauen betrifft.

[typedjs]Statt sich einreden zu lassen, dass ihr Muttersein ein Problem für den Wahlkampf sein könnte, stellt Annalena Baerbock sich hin und sagt: Ich bin Mutter und Politikerin – ich kann beides sein.[/typedjs]
 
 
 
 
 
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Geräuschlos im Hintergrund

Dementsprechend ärgerlich ist es, wenn ein Interview mit einer Spitzenpolitikerin so losgeht, wie das BamS-Interview mit Annalena Baerbock. Allerdings: Baerbock spricht oft über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und darüber, wie sie und ihr Partner das gemeinsam managen. Sie weigert sich, so zu tun, als sei Familie etwas, das geräusch- und problemlos im Hintergrund stattfindet – und macht stattdessen klar, dass es viel Organisation und gemeinsame Absprachen mit dem Partner braucht, um als Mutter den Job machen zu können, den sie macht.

Diese Offenheit ist wichtig, denn sie zeigt anderen Frauen und Müttern, dass sich Familie und Karriere mitnichten leicht vereinbaren lassen. Dass man als Eltern ein ausgeklügeltes System entwickeln muss, wer sich wann um was und wen kümmert. Statt sich einreden zu lassen, dass ihr Muttersein ein Problem für den Wahlkampf sein könnte, stellt Annalena Baerbock sich hin und sagt: Ich bin Mutter und Politikerin – ich kann beides sein.

Das BamS-Interview ist also eine zweischneidige Angelegenheit. Einerseits sollten Politikerinnen sich nicht dafür rechtfertigen müssen, Mütter zu sein, und sie sollten auch keinen detaillierten Plan vorlegen müssen, wie genau sie sich das denn vorstellen, als Mutter in einem politischen Spitzenamt. FDP-Chef Christian Lindner beispielsweise ist kinderlos und in einer Beziehung – trotzdem wird er nie danach gefragt, ob er und seine Freundin Nachwuchs planen und wie sich das dann mit dem FDP-Vorsitz oder gar einem Ministeramt vereinbaren ließe. Andererseits muss Mutterschaft, gerade auch in politischen Spitzenpositionen, normalisiert werden, so, wie Vaterschaft es bereits ist. Und das klappt am besten, wenn Politikerinnen ehrlich über die Herausforderungen sprechen, die das Muttersein mit sich bringt, und welche Art von Planung das Ganze – zusammen mit dem jeweiligen Partner oder der jeweiligen Partnerin – erfordert. Weil das auch bei „normalen“ Eltern im normalen Alltag so ist. Gleichzeitig muss es üblicher werden, Politiker danach zu fragen, wie sie das denn mit der Familie regeln. Und unüblicher, dass diese Politiker sich mit dem Verweis auf die Frau, die ihnen „den Rücken freihält“ rausreden können. Kinder haben ist keine Krankheit und auch nichts, wofür man sich entschuldigen muss. Das gilt für Politiker seit jeher. Für Politikerinnen muss es nun genauso gelten.

 
 
 
 
 
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