Da war doch was: Vor einigen Wochen konnte man als politisch interessierter Mensch und Wähler*in den Eindruck gewinnen, nichts sei wichtiger und entscheidender als plagiierte Stellen im Buch der Grünen-Kanzlerinnenkandidatin Annalena Baerbock. Ein österreichischer Medienwissenschaftler hatte das Buch Jetzt. Wie wir unser Land erneuern untersucht und Vorwürfe erhoben. Baerbock verteidigte sich: Sie habe auf öffentlich zugängliche Quellen zurückgegriffen, allerdings, ja, wäre es vielleicht besser gewesen, diese Quellen anzugeben. Der Ullstein Verlag, bei dem Baerbocks Buch erschienen ist, argumentierte, man könne keine Urheberrechtsverletzung erkennen und überhaupt würde bei nichtwissenschaftlichen Büchern auf ein Quellenverzeichnis verzichtet, die Quellen zitierter Passagen seien im Text angegeben worden. In künftigen Auflagen und in der E-Book-Ausgabe soll es aber nun doch ein Quellenverzeichnis geben.
Nicht das Problem, sondern ein Symptom
Mittlerweile diskutiert Deutschland über andere Angelegenheiten als über ein paar abgeschriebene Stellen im Buch einer Politikerin (auch wenn Baerbock, so die neueste Entwicklung, außerdem bei ihrem Parteifreund Robert Habeck abgeschrieben haben soll). Glücklicherweise, denn mit steigenden Coronazahlen und der verheerenden Flutkatastrophe gibt es nun wirklich dringendere Themen. Zumal man während der ganzen Diskussion den Eindruck nicht loswurde, dass mit einem männlichen Politiker in einer ähnlichen Situation anders umgegangen worden wäre, da kann Wolfgang Schäuble noch so sehr behaupten, Frauen hätten es heutzutage in der Politik nicht schwerer als Männer. Trotzdem finde ich, dass die Debatte wichtig ist, weil sie zeigt, wie in unserer Gesellschaft allgemein mit den Ideen anderer Menschen umgegangen wird. Und dabei ist Annalena Baerbock nicht das Problem, sondern vielmehr ein Symptom.
Dazu eine kleine Geschichte: Bevor Ende 2017 mein Buch Oh, Simone! (Affiliate Link) über Simone de Beauvoir erschien, schrieb ich ein paar Jahre lang einen gleichnamigen Blog. Das Ganze war ein – zeitintensives – Hobby, ohne Garantie, dass daraus jemals ein Buch werden würde. Umso mehr freute ich mich, als ich eines Tages auf der Webseite einer großen deutschen Tageszeitung einen Artikel mit dem Titel „Oh, Simone!“ entdeckte, in dem es, genau, um Simone de Beauvoir ging. Sogar mein Blog wurde erwähnt – allerdings wurde weder sein Name genannt, noch wurde er verlinkt. Das ärgerte mich vor allem deshalb, weil die Autorin ja offenbar kein Problem damit hatte, meinen Blognamen als Überschrift für ihren Artikel zu verwenden.
Durch die fehlende Namensnennung meines Blogs im Text war nicht ersichtlich, woher die Überschrift kam, und es wurde der Eindruck erweckt, die Zeitung hätte diese Überschrift selbst erfunden. Ich schrieb eine freundliche Mail, in der ich darum bat, meinen Blog doch zumindest zu verlinken – etwas, das ich schon allein im Sinne des Leser*innenservice gut gefunden hätte. Die Antwort: So etwas würde man leider nicht machen können, zumal bei Texten, die aus der Printausgabe der Zeitung stammten. Und so schmückte sich die Zeitung weiter mit meinem Titel, und ich bekam keinerlei Credit dafür.
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Ein Zeichen von Respekt
Mir ist es (wie übrigens vielen anderen Autor*innen auch) wichtig, in meiner Arbeit deutlich zu machen, woher meine Ideen und Angaben stammen – ob in Form von Links, die ich in meinen Artikeln setze, in Form von Menschen, die ich zitiere, oder in Form eines ausführlichen Quellenverzeichnis in meinen Büchern. Ich finde es selbstverständlich, meine Quellen offenzulegen und nachvollziehbar zu machen, woher ich etwas habe (so stammt der folgende Abschnitt beispielsweise aus einem Instagram-Post, den ich für meinen Verlag Hanser Berlin verfasste – Quelle offengelegt, geht doch!). Ich finde, das gehört sich einfach so. Abgesehen davon ist das, was Baerbock passiert ist, tatsächlich mein Albtraumszenario: Jemand findet fragwürdige Textstellen in meinen Büchern und wirft mir unsauberes Arbeiten oder sogar Plagiieren vor. Meine Quellen sorgfältig zu notieren und nachzuweisen hilft mir aber auch selbst – als letztens eine Journalistin einen Fehler in meinem aktuellen Buch fand (sowas passiert leider trotz gründlichem Lektorat und Korrekturlesen), konnte ich sofort nachvollziehen, aus welcher Quelle die Angabe stammte, und auf welcher Seite sie sich dort fand.
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Vor allem aber hat ein ausführliches Quellenverzeichnis für mich mit Respekt zu tun: Respekt für die Arbeit, die andere vor mir zu einem bestimmten Thema geleistet haben, und aufgrund derer ich meine Arbeit überhaupt machen kann. Ich glaube, in unserer Gesellschaft gibt es eine Besessenheit mit Originalität. Alles muss neu, noch nie dagewesen, ganz anders sein. Und das führt manchmal dazu, dass verschwiegen oder kleingeredet wird, wo man sich bedient hat, was einen inspirierte (gerade in den weiten Welten des Internets). Warum? Ein Werk ist doch auch dann originell, wenn es bereits Existierendes nimmt, es neu zusammenfügt, in einen neuen Kontext bringt, oder es schlicht auf eine andere Art erzählt oder darstellt. So bediente sich Shakespeare für fast alle seine Theaterstücke aus verschiedenen Quellen – trotzdem würde uns doch nicht einfallen, ihn und sein Werk deshalb für „unoriginell“ zu erklären.
Man kann, man darf?
Seltsam finde ich im Fall Baerbock das Beharren von Verlag und Autorin darauf, es handele sich bei Baerbocks Buch nicht um ein „Sachbuch“, weshalb ein Quellenverzeichnis unnötig sei. Was im Umkehrschluss bedeutet, in anderen Literaturgattungen kann man – theoretisch – schreiben, was man will, ohne Quellenverzeichnis? Kann man natürlich nicht, wie die Diskussion über Helene Hegemanns (wirklich lesenswerten) Roman Axolotl Roadkill vor ein paar Jahren zeigte: Der Autorin wurde vorgeworfen, große Teile ihres Buches bei dem Autor Airen abgeschrieben zu haben, ohne dies kenntlich zu machen. Erst ab der vierten Auflage erhielt das Buch ein ausführliches Quellenverzeichnis. Hegemann selbst wehrte sich mit dem Hinweis auf die Intertextualität ihres Arbeitsprozesses, kritisierte den „Urheberrechtsexzess“ und beharrte auf dem „Recht zum Kopieren und zur Transformation“.
Warum können wir uns nicht ganz grundsätzlich darauf einigen, dass Quellen, wenn möglich, immer angegeben werden sollten? Dass wir immer deutlich machen sollten, wenn etwas nicht nur unserem eigenen Kopf entsprungen ist? Das wäre doch wirklich mal: originell.