Seit etlichen Jahren gehört Instagram auf die eine oder andere Weise zu meinem beruflichen Alltag. In privaten Gesprächen werde ich deshalb hin und wieder damit konfrontiert, mich in einer Welt zu bewegen, die auf Außenstehende toxisch, verlogen, künstlich, peinlich wirkt. Die Sozialen Medien genießen in der breiten Masse eher keinen allzu guten Ruf, ähnlich jenen, die mit oder in den Sozialen Medien Geld verdienen; sich über Influencerinnen lustig zu machen und schlecht über sie zu reden, ist ebenso schäbig wie einfach. Wer aber nicht nur mitmacht, sondern sich gleichgültig vor der Antwort auf die Frage drückt, weshalb diese sehr spezifische Form der verbalen Gewalt auffällig häufig Frauen trifft, muss zumindest einsehen, sich freiwillig einem stumpfen Kollektiv zu beugen, dessen Königsdisziplin die Aufwertung der eigenen Existenz durch das Abwerten anderer ist. Ein Interesse an einer besseren Gegenwart für alle halte ich bei solchen Personen jedenfalls für unwahrscheinlich. Denn wer heute derart unfreiwillig aber irreversibel die eigene misogyne Prägung offenlegt wird auch morgen noch nicht kapiert haben, dass „diese Welt“, in der ich mich bewege, insbesondere durch Menschen wie sie es selbst sind zu einer Hölle wird, die sich vermeiden ließe.
Es ist schade, dass Anonymität im Internet ein zweifellos kostbares Gut ist. Manch einer kümmerlichen Moral täte so ein Klarname natürlich gut. Twitter ohne Trolle? Instagram ohne Hate Watching? Wie schön das wäre. Vor allem, wenn man bedenkt, dass beide Plattformen insbesondere für marginalisierte Stimmen zu wichtigen Sprachrohren gewachsen sind. Die vielen bunten Bilder und kurzen Texte, die schnell und niedrigschwellig konsumiert und geteilt werden können, tragen unweigerlich dazu bei, zu entstigmatisieren, was lange normalisiert sein sollte: Nackte Brüste, stillende, schwangere oder dicke Körper zum Beispiel. Online-Aktivismus ist mittlerweile dazu in der Lage, (politisch) mehr zu bewirken, als sämtlichen Kartoffel-Karens dieser Erde recht sein wird. Weshalb sinnstiftende Inhalte und Lippenstifte auch 2023 noch nicht zusammenpassen sollen, kann nur erklären, wer selbst wenig verstanden hat. Zum Beispiel, dass Reichweite erst generiert werden muss, um wirken zu können. Und dass es niemandes Pflicht ist, die Sozialen Medien so zu nutzen, wie andere es gern hätten. Egal, ob Millionen Menschen zusehen oder nur ein enger, ausgewählter Kreis. Man muss nämlich gar nicht mit einem Bein in der Öffentlichkeit stehen, um zum Gesprächsthema zu werden.
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In besagten Gesprächen über das, was dort so eifrig gepostet wird, geht es, so schwant mir, aber nicht mehrheitlich um die positiven, aufklärenden, edukativen oder einfach nur schönen, um die inspirierenden, mutmachenden, erhellenden, tröstenden Inhalte. Oder darum, dass sich irgendwer für irgendwen freut. Um konstruktive Kritik. Oder eine angemessen beleidigte Reaktion auf ein blödes Verhalten. Sondern allzu oft um gegenstandsloses Verurteilen, um Spekulationen, Interpretationen oder Unverständnis. Das machst du doch bestimmt, um…? Wieso zeigst du deinen Babybauch so freizügig? Weshalb sieht man dein Zuhause? Warum schreibst du über dein Leben? Aber ganz so ist es doch nicht, oder? Manchmal klingen diese Fragen aufrichtig, immer dann, wenn mein Gegenüber echtes Interesse zeigt. Es entstehen lange, wertvolle Gespräche und Verbundenheit. Weil immer dann, wenn wir die jeweils andere Person wirklich sehen, verstehen und respektieren, wenn wir voneinander lernen wollen, überhaupt keine Übereinstimmung vonnöten ist. Oft passiert aber das Gegenteil. Dann geht es in Wahrheit nicht um eine ehrliche Antwort und womöglich spannende Sichtweisen, sondern einzig um die (negativen) Gefühle der eher bohrenden statt fragenden Person, um den Abgleich mit dem eigenen Sein, dem eigenen Alltag, dem eigenen Geschmack: Ich würde das nicht tun. Ich fände das furchtbar. Ich könnte mir das absolut nicht vorstellen. Ich, ich, ich. Dabei bist du doch zum Glück du. Wie gut, dass wir verschiedenen sind und jede_r selbst entscheiden kann, über das Wie und Ob von Sozialen Medien. Und wie vergeudet, dass es vielen so schwer zu fallen scheint, diese Freiheit, die durchaus auch als Einladung zur beidseitigen Reflexion betrachtet werden kann, vergnüglich und offen anzunehmen. Stattdessen dominiert viel zu oft Verbissenheit und Bitterkeit. Beinahe alles wird reflexartig auf die eigene Person und den eigenen Alltag bezogen. Es werden Maßstäbe gesetzt, die niemand je erfüllen kann. Und absurde Ansprüche gestellt. An die Authentizität zum Beispiel.
Dabei müssen wir uns endlich darauf einigen, dass Authentizität in den Sozialen Medien höchstens als Marketing-Tool, nicht aber als real zu erreichender Umstand existiert, ganz gleich, wer auch immer auf der anderen Seite des Smartphones sitzen mag. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Alles ist Inszenierung: Die Wahl der Fotos, das Schreiben der Captions. Ehrlichkeit hingegen, die gibt es durchaus. Ist aber im Grunde sowieso egal. Es besser zu wissen, was ich fühle, tue oder lieber sein lasse, ist für Betrachtende ohnehin leichter, als ab und an auch mal nach der eigenen Nase zu greifen. Oder einfach nachzufragen.
Ich kann damit mittlerweile gut umgehen. Meistens blende ich aus, dass einige der Menschen, die ich womöglich sogar privat treffe, irgendeine auf Instagram basierende Meinung zu meiner Person hegen, die ich vielleicht lieber nicht hören mag. Ich bin ja nicht bescheuert und lächle meist nur, wenn neue Bekanntschaften mir nach ein paar Treffen, Wochen oder Monaten gestehen, überrascht davon zu sein, dass ich ja gar nicht so eine, naja, Influencerin sei und dabei annehmen, mir ein großes Kompliment mit dieser Herabwürdigung anderer Frauen gemacht zu haben. Dabei hat deren Kopfkino in Wahrheit noch nie irgendetwas mit besagten Frauen oder mir zu tun gehabt.
Seltsamerweise brauchte es mehr als ein Jahrzehnt, bis ich mir an einem gewissen Punkt und bestimmt nicht unbeeinflusst von der all der Zeit und etlichen Wunden endlich erlaubte, wütend zu werden. Zum allerersten Mal glaubte ich, was ich sonst nur in mal mehr und mal weniger schlauen Büchern las: Dein gemeines, blödes Gerede sagt so viel mehr über dich aus als über mich.
Es gab eine Zeit, da wollte ich um jeden Preis Harmonie herstellen. Weil es mir wichtiger war, gemocht zu werden, als andere zu mögen. Das war anstrengend, obwohl ich mein Verhalten erst viel später bemerkte. Auch, weil ich zwar nie darüber sprach, aber natürlich ganz genau wusste, dass viele Leute da draußen sich über meine Fehlschläge freuen, wie sie reden, reden, reden, nicht nur über mich, sondern auch über Iknur, Steffi und deine Mutter – es ist ja auch so einfach, aus der Ferne, besonders mit Handy in der Hand.
Es stimmt also. Ich bewege mich ziemlich sicher in einer toxischen Welt, genau wie die meisten Leute da draußen. Auch fernab des Internets. Denn ich glaube nicht die Bohne daran, dass jemand, der sich in der virtuellen Welt oder wegen dem, was dort gepostet wird, wie ein riesengroßes Arschloch verhält, in der analogen Welt plötzlich sanft wird. Höchstens feige, im Schutz der vorgehaltenen Hand. Blöd nur, dass Arschlöcher ihr Arschlochsein oft selbst nicht bemerken. Ich weiß das, weil ich selbst mal eines war. Und es manchmal, in schwachen Momenten, noch immer bin.
Das Bewerten und Verurteilen, das Reden über andere, verschwindet nicht von allein. Man muss es zunächst einmal erkennen. Es dann wirklich loswerden wollen. Und es sich schließlich aktiv abtrainieren. Es immer wieder üben. Diesen Reflex gehen lassen. Versuchen, nicht automatisch und ohne jeden Anlass irgendetwas Negatives zu finden, sobald ein (neuer) Mensch den Raum betritt, und aufzuhören, zu kommentieren, was er tut, wie er aussieht, was er sagt. Und am allerwichtigsten: Dem Drang des dauernden Bewertens zu widerstehen, wenn die, die uns sogar nahe sind, Dinge anders machen als wir selbst.
Ich bin den Sozialen Medien also auch sehr, sehr dankbar. Weil sie mir mit den Jahren ziemlich zuverlässig gespiegelt haben, wie ich nicht mehr sein will. Und weil sie mir, manchmal schmerzvoll, beigebracht haben, nicht in die gleichen Fallen zu tapsen wie jene, die ich in Wahrheit verachte. Ihr müsst mich überhaupt nicht mögen. Ich mag euch nämlich auch kein klitzekleines bisschen.