Die Fashion Week ist vorbei. Das heißt aber nicht, dass auch wir schon mit ihr abgeschlossen haben. Eine Hand voll Designer warten noch auf ihren verdienten Beitrag, aber in meinem Kopf herrscht ein totaler Overdose an Eindrücken. Seit gestern findet man in jedem großen Magazin, in jeder relevanten Zeitung ein Resümee über die vermeindlich aufregendsten Tage der Saison. Was aber, wenn mich selbst jemand fragt, wie es denn so war, das „bunte Treiben“? Mein Geist befand sich während der gesamten Zeit unter einer dumpfen Glasglocke. Vollgepumpt mit Bildern aus den Schauen, von den Präsentationen und Parties, liegt er jetzt irgendwie zusammengefallen in der Ecke. Nichts funktioniert mehr. Und mit jeglichem Thema, was die MBFWB betrifft, treibt man mir derzeit Schweißperlen auf die Stirn. Natürlich hatte ich Spaß, rosarote Momente und ab und an auch Glückskribbeln im Bauch. Und trotzdem wünsche mir ganz einfach mehr Zeit für die Dinge. Aber diese Vorstellung ist für unsere rasante Gesellschaft schlichtweg zu romantisch. Der Schauen-Kalender war diesmal so vollgepackt wie noch nie.
Alles beginnt, natürlich, mit einem Facebook-Status: „Liebe Nicht-Modefreunde, wir sind dann mal weg. Geistig. Seid nicht böse.“ Tatsache. Vier Tage bleibt für nichts Zeit, was etwas mit wahrhaftiger Freizeit zu tun hätte (Gut, da sind noch die wirklich phantatsischen Parties am Abend, aber selbst die werden nach gefühlten hundert getippten Artikeln und Bildschirm-verstrahlten Augen ein klein wenig anstrengend). Das klingt erstmal ziemlich erträglich, denn vier Tage, was ist das schon. Außerdem wartet die große Liebe, die Mode, auf etlichen Laufstegen auf unsere Zuneigung und Bewunderung. Will man aber im Zweier-Team all das einfangen, was interessant für den Leser sein könnte, dann verformt sich die Fashion Week vom lustigen Zirkus zur Härteprobe für die Nerven. Wir Armen, richtig? Ich verstehe jeglischen Zynismus hinsichtlich unserer Jammerei durhaus sehr gut. Aber ich bestehe auf das Recht zu jammern, weil dieser Blog ein persönlicher ist. Ich muss nicht so tun, als fände ich alles, was mit Mode zu tun hat, immer allererste Sahne. Was nicht bedeutet, dass ich ich sie nicht über alles liebe. Aber es gibt Zeiten, in denen muss man sich dazu zwingen, 24 Stunden am Tag euphorisch sein.
Es ist ein Trugschluss zu denken, wir Blogger hätten nichts weiter zu tun als in der ersten Reihe zu sitzen und Häppchen und Drinks for free abzustauben. Es mag sie geben, diese Art von Internetmenschen, aber es gibt eben auch die Anderen. Selbstlob stinkt, aber wir wollen euch wirklich auf dem Laufenden halten. Und das klappt nicht, wenn man morgens um 10 mit Schampus anstößt. Deshalb läuft das Ganze eher so ab: Schau angucken, tippen, zur nächsten Location laufen, wieder gucken, tippen. Bilder ordnen, tippen, zu spät zur nächsten Veranstaltung kommen, mit fremden Menschen reden, zwischendurch mit sehr netten Menschen reden, um Energie zu tanken. Gut, manchmal gibt es auch kostenlose Verpflegung, aber von Baby-Tomaten werde ich auch nicht satt. Dann alles von vorn. Und wofür? Um später feststellen zu können, dass man sich wieder die Hälfte hätte sparen können.
Nicht, weil wir denken, die Fashion Week zeige zu viel schlechte Mode, sondern weil eben doch nicht so viele Stücke dabei sind, die wir gern im eigenen Schrank hängen sehen würden. Oder die uns zu neuem Denken beflügelt uns inspirieren würden. Dabei ist es doch genau das, was wir an Paris, Mailand und Co so lieben: Das Geflasht werden, das Kopfschütteln oder Sprachlos sein, die nicht enden wollende Reizüberflutung an Schönem, Neuem und Begehrenswertem. Man darf aber die Wirtschaftlichkeit des Trubels hier nicht vergessen: Es gibt Brands, die machen richtig viel Geld mit dem, was sie da tun. Laurèl, Esacada Sport, und: Schumacher zum Beispiel. Was der hippe Modeblogger als eher langweilig betitelt, ist am Ende das, was den Einkäufer und Konsumenten glücklich stimmt – zurecht, denn der Mensch an sich kleidet sich eben nicht wie der letzte bunte Hund auf Ibiza. Wir brauchen solche Brands auch weiterhin im Zelt, daran besteht kein Zweifel. Aber ein spannender Ausgleich wäre wünschenswert.
Über jedes untragbare Outfitt freue ich mich hier in Berlin wie über den Wehnachtsmann. Denn Begeisterung rufen nur zwei verschiende Arten von Mode in mir hervor: Die, die irgendwelche Schranken im Kopf aufbricht, die Ideengeberin und Muse zugleich ist. Und jene, die so schön ist, dass ich sie beistzen will, sofort. Vladmimr Karaleev und Hien Le, Achtland, Augustin Teboul, Mongrls in Common und Malaikaraiss gehören ausnahmslos zur letzteren Kategorie. Im Zelt hat keiner von ihnen präsentiert. Perret Shaad ist da die wunderbarste Ausnahme. Man spricht hier vom langsam ziemlich deutlich werdenden „Generationswechsel“ innerhalb der deutschen Modelandschaft.
Zeigt auch nicht im Zelt: Hugo Boss.
Und an dieser Stelle bereue ich es kein Bisschen, dass die Berliner Morgenpost meinen Kommentar zum Zelt ohne weitere Erklärung gedruckt hat: „Das Fashion Week Zelt hat einen gewissen Muff. Off Side ist spannender.“ In Berlin muss man eben eine kleine Stadtrundfahrt auf sich nehmen, um zu den wirklichen Highlights zu gelangen. Bloß der Muff, den sollte ich nicht so stehen lassen. Denn irgendwas war diesmal anders. Tillmann Prüfer hat Recht, wenn er grundsätzlich vom Wegbleiben jeglicher Geschmacksverirrungen spricht. Es gab schlichtweg keine. Jedenfalls keine dieser ganz schockierenden Entgleisungen. Spannender macht diese Vorsichtigkeit im Umgang mit der Mode das Ganze allerdings nicht. Und was ist eigentlich mit den Outfit-Bloggern los? Wo sind sie hin? Wo sind die schimmernden Outfits, wo ist die Blogger-Uniform und wieso trägt denn niemand Jeffrey Campbells Litas? Weshalb knubbeln sich plötzlich keine modisch gekleideten Schüler mehr auf den weißen Sofas im Zelt? Stirbt die Modeblogger-Generation langsam aus oder ist man mittlerweile eben einfach „raus aus dem Alter“? Vielleicht hat der Veranstalter aber auch einfach viel weniger Akkreditierungen zugelassen. Um den richtigen Modejournlaisten nicht auch noch den letzten Spaß an der Sache zu verderben. Ich bedauere die offensichtlich unmögliche Coexistenz beider Welten. Aber das ist ein anderes Thema.
Was wir lernen ist, dass die Modewelt sich niemals einig sein wird. Zu viele unterschiedliche Bedürfnisse prallen aufeinander. Und doch kann es keine Lösung sein, die etwas unkommerzielleren Schauen in der kompletten Stadt zu zerstreuen, sodass wirklich jeder von uns am Ende der Fashion Week keuchend am Boden liegt. Ich plädiere für eine zusätzliche Location, einen weiteren festen Standort, in der diese etwas andere Art von Berliner Designern gesammelt präsentieren kann. Aber wer entscheidet, welches Label dazu gehört? Wollen die „Frischen“ selbst von den großen, kommerziellen Brands abgegerenzt werden? Und vor allem: Woher kommt das Geld?
Berlin, da muss noch einiges passieren. Gut so, denn wer nicht mehr an sich arbeitet, der rostet irgendwann ein.