Es ist nicht nur lausig nasses Wetter in Berlin, nein, es sind auch nur noch rund sechs Tage vor dem Startschuss der Fashion Week Berlin als wir Derya Issever und Cimen Bachri in ihrem kleinen Atelier im Herzen von Kreuzberg besuchen. Ihr kleines Reich im Hinterhof eines unsanierten Altbaus ist voll – voll von Kollektionsstücken, die sich fein auf einer Stange mitten im Raum und an Seilkonstruktionen an der Wand aufreihen, voll von längst erwarteten Lieferungen in Kartons mit rohen Materialien, die darauf warten, endlich verarbeitet zu werten und einem großen Tisch, an dem fleißige Helferlein Schablonen auf Stoffe legen, schneiden und nähen oder organisieren und herumtelefonieren. Nur ein liebevoll gestaltetes Moodboard lässt hier bislang erahnen, was uns am heutigen Tag ihrer finalen Präsentation im Zelt der Mercedes-Benz Fashion Week Berlin erwarten wird: Eine Kollektion mit so viel Herzblut, Tiefgang und der Verschmelzung von Cimens und Deryas Wurzeln, ihrer Osmanischen Herkunft, und der modernen Interpretation von Zeitgeist und Handwerk.
Issever Bahri bei unserem Interview zu lauschen, macht jedenfalls so viel Spaß, dass sich der Weg aus dem Haus in die Kälte an diesem Tag doppelt gelohnt hat: Da spricht die volle Ladung Passion für Mode, Geschichte und Architektur gepaart mit einer ordentlichen Portion kulturellem Durst und Teampower – und wir werden einfach nicht müde zuzuhören, um alles rund um’s Wiesoweshalbwarum zu erfahren. Eines jedenfalls steht fest: Fortan sind wir noch größere Issever Bahri Fans und wir freuen uns wie Schneekönige auf ihre Präsentation, die JETZT in diesem Moment startet. Für euch gibt’s nun schon mal einen ersten Vorgeschmack – Vorhang auf für das wohl sympathischste Duo der Fashion Week:
Jane Wayne: Wie geht es euch?
Issever Bahri: Es geht, der Wahnsinn ist natürlich schon eingetreten. Aber, auch wenn es immer ein paar Probleme gibt, sind wir sicher, dass wir das schaffen.
Jane Wayne: Was erwartet uns am Freitag um 10 Uhr?
Issever Bahri: Es erwarten euch viele, schöne Farben! Sie sind jedoch alle sehr gedeckt. Wir haben zum Beispiel ein dunkles Grün, dunkles Lila, Rosa, Schwarz und Weiß. Die Silhouetten sind dieses Mal, auch wenn sie sehr geradlinig sind, mit vielen organischen Kurven. Es sind also runde, aber trotzdem geradlinige Schnitte, die sich der Silhouette anpassen.
Jane Wayne: Unter welchem Oberthema steht die Kollektion?
Issever Bahri: Obwohl wir keinen Titel für unsere Kollektion haben, war unsere Inspiration dieses Mal das vergessene Istanbul. Als wir das letzte Mal in Istanbul waren ist uns aufgefallen, dass es ganz viele kleine Ecken im Jugendstil gibt. Und nachdem wir recherchiert haben, haben wir gemerkt, dass es eine kleine Zeitspanne in der Türkei gibt, in der dieser Jugendstil rübergeschwappt ist. Im Vergleich zum Orientalischen ist es viel geradliniger, obwohl die Jugendzeit eigentlich eher verspielt und organisch ist. Und anhand dieser Muster haben wir uns für unsere Schnitte inspirieren lassen.
Jane Wayne: Wie kann man sich die nächste Kollektion vorstellen? Spiegelt sie einen kompletten Jugendstil oder gar ein Gebäude wieder?
Issever Bahri: Ja, jedoch ist das in der Gesamtheit nur sehr wenig zu betrachten. Wir haben nur leichte Schwünge übernommen, die man zum Beispiel in der Häkelei wiederfindet. Wir haben auch eine Neuheit, denn wir haben dieses Mal mit Satin und Satinbändern gearbeitet, die wir dann in die Teile einbauen. Das macht es ein wenig schicker und purer.
Jane Wayne: Habt ihr ein Lieblingsstück?
Ja. Das Problem ist, das es noch nie das war, bei dem wir am Anfang gedacht haben, dass es das wäre. Es ändert sich auch im Laufe der Zeit und wenn wir dann das fertige Produkt sehen.
Jane Wayne: Könnt ihr euch vorstellen, dass ein bestimmter Look viel Anklang finden wird?
Issever Bahri: Ja, wir haben ein paar Teile bei denen wir denken „entweder es wird ganz geil oder es wird gar nicht auffallen“. Wir haben zum Beispiel mit Kurzhaarsamt in einem Roseton gearbeitet, bei dem wir uns noch nicht so sicher sind, ob es so wird wie wir uns es vorgestellt haben.
Jane Wayne: Manche Designer konstruieren erst nach der Kollektion eine Geschichte, bei euch ist das ja anders herum.
Issever Bahri: Ja, das ist uns auch total wichtig. Das Problem ist, das man manchmal gar nicht die Zeit dazu hat stundenlang in Büchern zu versinken. Aber ich bemühe mich, meine Zeit für Recherche nutzen.
Jane Wayne: Achtet ihr bei euren Kollektionen sehr auf Basics und All-time-lovers?
Issever Bahri: Nein, so arbeiten wir nicht. Das gute an unserer Mode ist ja, dass sie, obwohl viele Details dran sind, sehr tragbar ist. Wir designen mit dem Gedanken, dass jedes Teil direkt tragbar ist. Das wichtigste für uns ist es, dass in jedem Kleidungsstück unsere Handschrift ist.
Jane Wayne: Wie läuft der Laden? Seit ihr zufrieden?
Issever Bahri: Bei uns läuft es echt super. Über Presse können wir uns auch überhaupt nicht beschweren. Und obwohl wir noch Jungdesigner sind, gelten wir in der Szene nicht mehr als solche. Auch aus dem Ausland bekommen wir immer mehr Aufmerksamkeit. Trotzdem müssen wir natürlich versuchen größere Produktionen an Land zu ziehen, um weiterhin voran zu kommen.
Jane Wayne: Habt ihr ein Ziel oder eine Vision für euer Label?
Issever Bahri: Wir wollen auf jeden Fall weiterkommen. Da sind wir aber auch sehr optimistisch, da momentan sehr viel bei uns passiert. Wir würden auf jeden Fall gerne ein größeres Atelier und vielleicht sogar einen Festangestellten haben wollen – auch für mehr Entlastung. Und natürlich haben wir das Ziel, national und international anerkannt zu werden.
Jane Wayne: Es ist Freitag, es ist 10 Uhr – Wie wird die Präsentation in Szene gesetzt sein?
Issever Bahri: In Bezug auf die Musik haben wir zwei Songs, zwischen denen wir uns noch nicht entscheiden können. Entweder wird es laut mit grellem Licht, oder es wird leise und eher gediegen. Und beide passen sehr gut zur Kollektion, da sie auf der einen Seite frech ist, aber auf der anderen auch eher ruhig.
Jane Wayne: Bei welcher bekannten Person würdet ihr gerne Issever Bahri sehen?
Issever Bahri: Das ist schwierig zu sagen; wir haben kein Testimonial und gehen auch nicht an Frauenbilder, um daraufhin Kollektionen zu kreieren. Aber es gibt schon ein paar deutsche Schauspielerinnen, denen das unserer Meinung nach gut stehen würde, wie zum Beispiel Jessica Schwarz. Im generellen ist unsere Mode aber für jeden tragbar, ob jünger oder älter.
Jane Wayne: Wie versucht ihr euch zu entspannen und Energie zu sammeln?
Issever Bahri: Cimen hat einen Sohn, und der erdet sie ganz schön, denke ich. Und sie geht gern joggen. Ich (Derya) ache am liebsten nichts. Einfach nichts tun oder schlafen. Ich gehe aber auch gerne tanzen. Neben der Mode bin ich aber auch Stylistin, zum Beispiel für Werbefilme.
Jane Wayne: Derzeitige Lieblingsfarbe?
Issever Bahri: Grün
Jane Wayne: Derzeitiges Lieblingsmaterial?
Issever Bahri: Eine Art Cashemere-Schur-Langhaar-Wolle. Damit haben wir Mäntel gemacht.
Jane Wayne: Liebster Berliner Designer?
Issever Bahri: Vladimir Karaleev.
Jane Wayne: Derzeitiger Ohrwurm?
Issever Bahri: Chromatics.
Jane Wayne: Derzeitiger Lieblingsfilm?
Issever Bahri: Einen Lieblingsfilm haben wir derzeit zwar nicht, aber ich (Derya) schaue sehr gerne Serien. Momentan gucke ich am liebsten „Breaking Bad“.
Jane Wayne: Was würdest ihr tun, wenn ihr heute einen freien Tag hättet?
Issever Bahri: Schlafen oder schwimmen. Ein Tag im Spa wäre aber auch nicht schlecht.
Jane Wayne: Was schießt durch deinen Kopf, kurz bevor das erste Model den Laufsteg betritt?
Issever Bahri: In meinem Kopf sind dann überall Feuerwerkskörper die von einer Seite zur anderen schießen.
Jane Wayne: Da die Kollektion sehr persönlich ist, schmerzt da manchmal die Kritik?
Issever Bahri: Schmerzen eigentlich nicht. Aber oft entsprach die Kritik einfach nicht der Realität. Oft erkennen die Leute nicht, was wir aussagen wollen. Das wollen wir aber an Hand Kollektionstexten ändern.
Jane Wayne: Wo würdet ihr nach der Fashion Week Berlin am liebsten hinreisen?
Issever Bahri: Solange unsere Inspiration nicht erschöpft ist, werden wir uns wahrscheinlich immer wieder auf unser Heimatland, die türkische Kultur und unsere Erlebnisse dort beziehen. Außerdem würden wir gerne ans Meer gehen. Wir waren schon lange nicht mehr so richtig im Urlaub, das letzte Mal in 2008. Und wenn wir in die Türkei fliegen, können wir natürlich auch wieder unsere Familie sehen.
Jane Wayne: Sind eure Eltern stolz auf eure herkunftsverliebten Kollektionen?
Issever Bahri: Ja, auf jeden Fall. Aber sie sehen auch, wie schwer es ist. Ohne sie wären wir wahrscheinlich auch nicht so weit gekommen. Es ist eher eine Art Familienunternehmen. Cimens Mutter macht zum Beispiel alle Häkeleien, meine Mutter kocht immer und mein Vater bringt uns alles von ihr. Das ist deren Art uns zu unterstützen.
Jane Wayne: Was darf nicht unerwähnt bleiben? Was ist euch wichtig?
Issever Bahri: Uns ist das lockere Lebensgefühl sehr wichtig. Die Kollektion ist anteilig schicker als die Letzte. Außerdem haben wir neue Elemente eingeführt, wie zum Beispiel dezente Volants, die alles etwas freudiger machen. Dennoch ist die Kollektion recht streng, durch die hochgeschlossenen Teile, wie Steh-und Rollkrägen. Dennoch sind die Röcke kurz, was das etwas ausgleicht. Wir wollen das Jung sein und Spaß vermitteln.
Jane Wayne: Und zu guter Letzt: Wo findet man euch in Berlin?
Issever Bahri:Im F95, im Voo-Store und ganz bald auch im Temporary Showroom und im Konk. Einen Online Store gibt es zwar noch nicht, jedoch haben wir das im Hintergedanken für 2013.
Mädels, ganz viel Glück und natürlich Spaß bei eurer Kollektion. Wir sind uns sicher: das wird großartig <3
Fotos, Interviews und Text: This is Jane Wayne
Mit fleißiger Unterstützung: Marisol Reuter.