Über den hellen Dächern Paris mit einem hervorragenden Blick auf die ganze Stadt und natürlich auf den Eiffelturm: Der lichtdurchflutete Showroom von Comptoir des Cotonniers aka ein riesig großes Apartment irgendwo inmitten Frankreichs Hauptstadt hätte kein schöneres Paris-Feeling zum Start meines Kurztrips zaubern können. Oh mein Gott, ist das eine unfassbar schöne Stadt. Ziemlich kitschig muss ich zugeben, sodass Träumereien da kaum ausbleiben – und schon stecke ich gedanklich in „Außer Atem“ und überlege doch, mein Haar wieder raspelkurz zu schneiden und à la Jean Seberg durch Paris zu flanieren. Aber lassen wir das, ich drifte ja nur unnötig ab.
Was an französischen Präsentationen anders ist als an jenen in Deutschland? Alles wirkt elitärer, wenngleich ungezwungen und freundlich und die Mode wird mit besonders viel Aufmerksamkeit, ja fast schon ehrfürchtig unter die Lupe genommen. Das hat die neue Chef-Designerin Amélie de Capdeville allerdings auch verdient. Sie will dem leicht angestaubten Image des französischen Labels frischen Wind einhauchen, landet mit ihrem Herz und Leidenschaft bei mir eine Punktlandung und zeigt mir im Interview, warum wir Comptoir des Cotonniers zukünftig wieder mehr Beachtung schenken müssen.
Ziemlich lange hatte ich das 1995 gegründete Label rein gar nicht mehr auf dem Schirm – zu stark hat sich die Konkurrenz in den Fokus geschoben und das eher stille Brand verdrängt. Doch das will die neue Kreativ-Chefin des Hauses nun endlich ändern. Erfahrungen hat sie genug, immerhin ist sie Mitgründerin von Zadig & Voltaire, gründete unlängst ihre eigene Marke Lovemilla und leitete sogar für Kenzo und unter Humberto Leon und Carol Lim die Kreativprozesse. Wer so viel Erfahrung hat, der kann seinen Job doch eigentlich nur hervorragend machen, non? Und wer ein Lookbook dann auch noch mit Polaroids bestückt, der hat bei uns eh ein Stein im Brett.
Warum Comptoir? Ich weiß seit gestern wieder die Antwort: Weil Boho-Looks sich selten so entspannt in den Alltag transportieren lassen. Weil dieses Label gleichzeitig mehr kann als hippiesk und weil subtil eingesetzte Romantik endlich mal wieder mehr Ausdruck in unseren Outfits finden darf. Einverstanden? Dann schaut doch mal genauer hin.
Salut Amélie! Wie geht’s dir? Du bist relativ neu im Team und seit dem Winter 2013 verantwortlich für die gesamte Kollektion. Am besten, du stellst dich gleich selbst vor, hmm?
Amélie: Na klar. Mein Name ist Amelie de Capdeville und ich arbeite seit 20 Jahren in der Fashion Branche. Angefangen hat ebenfalls alles mit 20. Ich hab‘ nie irgendwas mit Mode studiert oder bin irgendwelchen Moderegeln gefolgt. Ich bin mehr Holta di Polta hineingestolpert und startete mit Zadig & Voltaire als Co-Founder. Ich dachte immer einfach, dass ich Dinge entwerfen möchte, die ich selbst am liebsten trage und die mir gefallen. Ich folge eben auch nicht irgendwelchen Trends, sondern höre auf meine eigene Stimme.
Und wie verbindest du das mit Comptoir des Contonniers?
Amélie: Comptoir hat eine sehr schöne Geschichte und ist in Frankreich verankert. Es hat ein bisschen geschlafen, aber ich versuche eben mit meinen Einflüssen, das Brand aufzuwecken – mit frischen Ideen und ohne respektlos der Geschichte gegenüber zu treten. Ich versuche weibliche Einflüsse und toughe Elemente nun mit einfließen zu lassen, um den Gesamtlook moderner zu gestalten.
In deinen eigenen Worten: Was war Comptoir, was ist Comptoir und was wird es in einem Jahr unter deiner Leitung sein?
Amélie: Comptoir des Cotonniers war schon immer ein typisch französisches Brand: Ein Mix aus casual und effortless Chic, aus zeitlosen Stücken, ikonischen Lieblingen und modernem Twist. Ich wollte mehr feminine Klasse hinzufügen, denn die Frau heute möchte weiblicher sein ohne sexy zu wirken, Trends folgen, ohne abhängig davon zu sein. Die Comptoir-Trägerin ist tough und weiß, was sie will. Sie mixt frei und ohne Grenzen – sie weiß, was ihren Charakter unterstreicht. Ich versuche vor allem für die Zukunft globaler zu denken. Die Kollektion soll noch viel mehr Wiedererkennungswert bekommen und sich durch noch mehr ikonische Stücke auszeichnen. Und ich muss definitiv an den Accessoires arbeiten – die müssen noch besser und Comptoire-like werden.
Und was erwartet uns nun für den Sommer?
Amélie: Zum einen gibt es viele casual Stücke mit architektonischen Prints, viele Sandtöne, hier und dort Leder, wichtige Details und weibliche Silhouetten. Auf der anderen Seite gibt’s aber auch diese Traumwelt, die ich widerspiegeln wollte: Die Trägerin soll ausbrechen können, sich in den Urlaub träumen oder zumindest in Gedanken auf ein Festival gehen. Luftig leichte Stücke treffen hippieske Elemente, leichte Materialien und starke Farben. Genau so wie wir uns die Besucher des Coachella-Festival vorstellen. Nicht zu overdressed, dennoch sehr selbstbewusst.
Gibt’s passend dazu einen Song in deinem Kopf, der dieses Gefühl, diese Attitüde transportiert?
Amélie: Es klingt ein bisschen abgedroschen und traurig, aber es ist definitiv Summertime Sadness von Lana del Rey. Es ist ein bisschen traurig, träumerisch und romantisch, aber unheimlich schön. Der Titel der Kollektion stammt übrigens von dem Film mit Alan Delon: Pleite Soleil (Anmerk. d. Red. im Deutschen: Nur die Sonne war Zeuge) – eine Linie, die alle positiven Assoziationen des Sommer wach ruft: Frische, Helligkeit, Coolness. Ein positiver Vibe, der zum Beispiel von Sienna Miller oder Kate Bosworth getragen wird.
Du hast eben von der Geschichte des Labels gesprochen. Was sind denn die typischen Comptoir-Stücke, die für Wiedererkennungswert sorgen?
Amélie: Ohja. Unser Trenchcoat gehört beispielsweise dazu. Der variiert von Saison zu Saison und passt sich an. Besonders wichtig ist aber auch das klassische Sailor-Shirt mit den blauen Streifen – sehr französisch. Aber auch unsere tiefen Boots sind Klassiker, genauso wie unsere Daunenjacken, die absolute Verkaufsschlager sind. Sie gehören nicht zu meinen Favoriten, aber halten im Winter einfach unfassbar warm. Und sogar Carin Roitfeld ist Riesenfan von ihnen. Sie trägt sie ständig!
Daunenjacken stehen ja ständig in der Kritik, weil Gänsen die Federn bei lebendigem Leibe gerupft werden und die Farmen unter widrigen Umständen Tiere züchten. Wie geht ihr bei Comptoir mit dem Thema Nachhaltigkeit um? Ist es überhaupt Thema?
Amélie: Seit Gründung des Labels steht Qualität an oberster Stelle – da gibt es keine Kompromisse. Und wir arbeiten ständig an Verbesserungen, können aber zum gegenwertigen Zeitpunkt von einem hohen Standard sprechen (Anmerk. d. Red. Comptoir des Cotonniers = Kontor der Baumwollhändler)
Und wo lasst ihr produzieren?
Amélie: Wir produzieren hauptsächlich in Europa – vor allem in Italien. Darüber hinaus wird aber auch in der Türkei, in Asien und Indien, Marokko und Portugal produziert. Bangladesh kommt überhaupt nicht in Frage, da dort die Qualität einfach zu schlecht ist. Unser Team besucht auch dort ständig die Produktionsstätten auf der Suche nach neuen Partnern, dennoch kommt nie eine Zusammenarbeit zustande. Die Standards sind einfach zu niedrig.
Qualität spielt eine große Rolle. Gibt’s bevorzugte Materialien?
Amélie: Ganz klar: SEIDE!
Du arbeitest doch sicher schon längst an der Winterkollektion 2014, oder? Darfst du dazu schon was verraten?
Amélie: Haha, daran arbeite ich gerade, richtig. Die Silhouetten werden definitiv weiter und dicker Strick spielt natürlich auch eine Rolle. Ich will eine richtig coole Frau darin sehen – nicht weil sie bloß cool ist, sondern weil sie sich cool fühlt. Sie reist, sie ist ständig unterwegs und trotzdem bodenständig. Die Kollektion wird noch mal ganz anders. Lasst euch überraschen!
Woher holst du dir deine Inspiration?
Amélie: Ich folge keinen Trends, sondern höre auf mein Innerstes. Ich versuche den Zeitgeist einzufangen und auf Bedürfnisse zu reagieren. Ich gehe mit sehr offenen Augen durch die Welt und spitze meine Ohren. Ich reise sehr viel, um neue Eindrücke zu gewinnen. Und das Ergebnis ist dann die neue Linie.
Und wenn du dich nicht im eigenen Lager bedienst, in welche Läden geht’s dann?
Amélie: Ich liebeliebeliebe Alexander Wang, Phobie Philo und Hedi Slimane für Saint Laurent Paris. Es ist das komplette Gegenteil zu Comptoir, aber ich liebe es.
Wo würden wir dich eigentlich treffen, wenn du heute frei hättest?
Amélie: Ich wäre mit meinen drei Kindern und meinem Ehemann auf dem Land. Wir haben etwas entfernt von Paris ein kleines Landhaus und fahren jeden Freitag dort hin. Mein Mann und ich leben so ein hektisches Leben, dass wir am Wochenende Auszeit brauchen – auch wegen der Kids. Nur das Land und wir. Ich brauche das wirklich, sonst würde ich den Job nicht schaffen.
Amelie, ich lass dich gleich in Ruhe, aber eine Frage habe ich noch: Es ist mein zweites Mal in Paris und ich verbringe ein Wochenende hier. Wo sollte ich unbedingt hingehen, hmm?
– Trink einen Kaffee im Le Flore in St. Germain – dort gibt’s den besten im Viertel.
– La grande épicerie de Paris im Grand Marché – ein kleiner Department Store in dem du einen kleinen Food-Corner findest.
– Geh zum Luxembourg Garden super schön!
– Und natürlich Montmartre – das ist Paris wie man es sich vorstellt.
– Lunch im Colette ist auch nicht zu verachten (wenn man schon mal da ist zum Shoppen)
– Natürlich das Musée Picasso in Marais (außerdem haben dort die Geschäfte am Sonntag offen)
– UND: Du musst ins Palais Royale – zum Träumen, denn dort ist’s super teuer.