Ich spüre das gerümpfte „Pfui“-Gesicht der Kassiererin auf meinen Händen, als ich die Unterschrift auf den Bon kritzle. Schnell ziehe ich die Pfoten wieder ein und vergrabe sie in den Tiefen meiner Hosentaschen. „Pff, kann ja nicht jeder so perfekt manikürte 100 Meter Krallen haben“ denke ich mit eingerollten Schultern beim rausgehen. Na logo sieht das toll aus mit so feingliedrigen knallrot getuschten Fingern, wie sie die hat. Ich dagegen passiere von je her jedes Nagellack-Regal mit zugekniffenen Augen, denn, ihr ahnt es längst, ich gehöre zu den anonymen Fingernagel-Knabberinnen und zwar hardcore und jaha, es ist mir irre peinlich.
Damen kauen keine Nägel – my ass.
Mutti klopfte mir ja schon als Mini-Sari auf die Finger, sobald die Hand zum Mund wanderte: „Damen kauen keine Nägel“ oder „Die Hände sind deine Visitenkarte“. Ein Peinlichkeitsgefühl überkommt mich deshalb heute immer, wenn ich wieder dabei erwischt werde wie ich in Gedanken versunken versuche, meinen Emotionspegel im Kopf durch abgrasen meiner Hände zu regulieren. Ich schäme mich wie bekloppt für diese 10 derbe abgekauten Stummel und wünschte, da könnte ich drüber stehen – tue ich aber nicht. Undiszipliniert, unsicher und noch dazu wenig fraulich – das strahle ich mit Wurstfingern im Mund wohl aus – so rede ich mir das jedenfalls ein und auch, dass das Kauen mit Mitte Zwanzig nichts mehr mit irgendeinem Grunge-Trend zu tun haben kann – es ist schlichtweg unansehnlich – sowohl der Akt als auch das Ergebnis – Mutti hat immer Recht.
Ringe, Lack und italienische Mamma-Miracoli-Moves
Wie Mammma Miracoli würde ich gern dramatisch mit den Händen in der Luft gestikulieren, Ringe und Lack aus 100 Jahre Schmuck-und-Make-Up-Geschichte ausprobieren, einfach mal auf dem Tisch rumtippeln, kratzen, kraulen oder Cent Stücken nicht in einem Drei-Minuten-Kampf vom Boden aufheben müssen.
Und was macht man da? Dieses bittere Zeug aus der Apotheke war reine Gewohnheitssache, alle anderen Tricks scheiterten auch. Künstlich nachhelfen? Nee oder? Gel-Nägel? Wie künstliche Wimpern? Wie künstliche Brüste? Wie BARBIE?
Hilft ja alles nichts
Ich begebe mich, trotz Zweifel, in die Hände eines empfohlenen Nagelstudios um die Ecke für eine Nagelmodelage (das Wort allein macht mir Nackenhaaraufstellungsmodelage). „Das kriegen wir hin“ zwitschert Yvonne unter dem Mundschutz und klebt mir 1…2…3…10 furchtbar plastige Plastiknägel drauf – nach einer Stunde unter UV, mit Gel und integrierter Psychotherapie-Sitzung auf dem Stuhl vor der Fee mit den Feilenhänden, traue ich mich erstmals hinzugucken:
Ok! Nein, super!
Es. Ist. Okay! Nein, es ist super und ich habe Nägel – ungefähr das erste Mal im Leben. Ich will da eine Zigarette zwischen halten „Schau mal her Welt, die Calamari kommt jetzt krass mit Nägeln in WATERMELONPINK (Nr. 27)“. Ein irres Gefühl. Das erfahrene Auge sieht beim genauen Hinsehen natürlich, dass da ein Nagelchirurg am Werk war. Die 50 Euro reißen jeden Monat zwar einen echten Beautybrocken aus dem Portemonnaie, und trotzdem ist’s mir wert: für gefühlte 100 Prozent Egoverlängerung.