Letzte Woche stand plötzlich eine meiner liebsten Freundinnen vor der Tür, leicht panisch, ein bisschen verknallt und sehr, sehr ratlos. Man kennt das ja: Mit Mitte 20 schrumpft die geistige Leistungsfähigkeit im Angesicht eines gut aussehenden bärtigen Mannes etwa auf die Größe eines vollpubertären Spatzenhirns. Ähnliches war ihr ein paar Tage zuvor selbst passiert. Die Aufregung vor dem nächsten Date maximierte sich daraufhin im Minutentakt und auch die Bedeutsamkeit der Frage nach der richtigen Tasche zum richtigen Outfit und der richtigen Frisur erlangte titanische Ausmaße. „Kannst du mir deine schlichte schwarze Umhänge-Dingsda leihen, bittebitte?“, schnappatmete es aus dem Freundinnen-Mund, während mir ein paar wibbernde Finger eine Chanel Boy Bag entgegen hielten. „Du kannst so lange die hier haben, die magst du doch, oder?“. Ich wurde jetzt auch leicht panisch.
Ganze fünf Minuten lang schwieg ich (Boy und ich standen noch immer wie festgenagelt im Flur) und sah der Verknalltüte aus der Ferne dabei zu, wie sie dreiundzwanzig Mal um meinen Wohnzimmertisch herum kreiste, während sie sieben Mal ihren Haarknoten löste, wieder zusammen steckte, löste, wieder zusammen steckte und mich dann bierernst ansah, um die Quintessenz ihrer Sorgen auf den Punkt zu bringen: „Wenn ich da jetzt mit meiner Chanel auflaufe, dann denkt der doch, ich hab‘ nur Stroh und Tussikram im Kopf“. Sie ahnte ganz offensichtlich, dass ich ihr nicht wenige Sekunden später einen Vogel hätte zeigen wollen und irgendetwas von wegen „Jetzt bist du übergeschnappt, anders kann ich mir nicht erklären, dass du meinen Vintage-Eumeln vorziehst“, geblubbert hätte. Jetzt aber verschluckte ich all meine geplanten klugen Worte und glotze nur blöd und Antwort-suchend in der Gegend herum. Wie Recht sie doch womöglich hatte.
Im Großen und Ganzen unterscheidet die Menschheit nämlich nicht zwischen Modemädchen und Modemädchen, es gibt ausschließlich Modemädchen und vor dem Urteil der anderen sind wir alle gleich, was einerseits fair klingt, in Wahrheit aber ziemlich falsch ist. Wer sich an den schönen Oberflächlichkeiten dieser Erde erfreut, ist nicht automatischen von allen guten Geistern verlassen und Brotkuchen-dumm, dessen Interessenfeld geht in sehr vielen Fällen sogar über die nächste Sale-Saison hinaus. Und trotzdem: Man muss sich immer wieder erklären, entschuldigen, rechtfertigen. Das klingt dann in etwa so: „Ich mache was mit Mode, habe aber Politik studiert und lese auch gern Bücher“, oder „Ja schon, ich trage gerne Designerklamotten, aber nur, ehm, der Qualität wegen“. Schluss damit.
Die Liebe zur Mode, sei selbige noch so sinnfrei oder teuer, ist wahrlich nichts wofür man sich schämen muss. Anderer Mensch, anderes Hobby, fertig aus. Es soll schließlich auch Spezialisten geben, die Blech-Eisenbahnen sammeln und zwar sehr kostspielige. Wundervoll! Wofür das eigene Geld verschleudert wird, darf glücklicherweise immer noch jeder selbst entscheiden – sollte man jedenfalls annehmen, ist aber nicht so. Man denke nur kurz an all die süßen Vorwürfe, die regelmäßig wie listige Abrissbirnen durch die kleinen Freuden des Lebens geschmettert werden, von Fremden oder Freinden.
Also: Ein anderer Tag, eine andere Konfliktsituation: Eis-schleckend und gedankenversunken laufe ich durch meinen Kiez, an meinem Körper hängt der reudigste und älteste Pullover, den ich im Schrank finden konnte und an den Füßen trage ich meine innig geliebten Dr. Martens, während das Haar auf meinem Kopf sich ob des Wochenendes langsam in Strähnen legt. „HALLO! Haaaallo!“ – eine entfernte Bekannte läuft schnurstracks auf mich zu und ich kann noch nicht einmal so tun, als hätte ich nichts gehört oder gesehen, obwohl ich ganz genau weiß, was jetzt kommt: „DU HAST EINE CHANEL??“ – „Hallo auch, mir geht es gut und die Tasche, um Gottes Willen, die ist bloß geliehen“, entgegne ich Frau Sprachlos und merke dabei kaum, dass ich mich schon wieder rechtfertige.
Ich meine was, wenn ich da nun wirklich meine eigene Tasche durch die Gegend schleppen würde? Ich will’s mir gar nicht ausmalen: Die kann neuerdings Geld scheißen / na wenn man sonst keine Probleme hat / wie armselig / was man davon hätte alles kaufen können. All das würde natürlich nur hinter meinem Rücken getuschelt werden, ist klar. Darüber, dass ich seit Jahren mein eigenes Geld verdiene, würde wohl kaum jemand nachdenken und noch weniger darüber, ob es eventuell möglich sein könnte, dass ich schlichtweg sehr lange auf dieses materielle Träumchen gespart habe oder ob man sich an dieser Stelle womöglich einfach für mich freuen sollte. Die Bekannte jedenfalls entscheidet sich sehr diplomatisch für die folgenden Aussage:
„Finde ich ja sehr interessant, wie du dieses Luxusteil stylst, so zu den ollen Klamotten, irgendwie ein super Stilbruch.“ – „DANKE, ich fühle mich dank Chanel auch schon den ganzen Tag lang wie eine kleine Prinzessin, trotz Stinke-Haar!“, jauchze ich der Bekannten entgegen und kann kaum glauben, dass sie es heute doch noch gut mit mir meint. Wie sich kurz darauf heraus stellen sollte, völlig zu Recht:
„Also ich hoffe ja mal, dass dein Selbstbewusstsein nicht von einem Metall-Logo abhängt“, schnippt es mir entgegen. Die Nase, die mir gegenüber steht, zwiebelt sich dabei in kleine Falten und wird immer spitzer. HIMMELHERRGOTTNOCHMAL, ich bin sprachlos, oder besser: Ich habe keine Lust mehr zu sprechen, wirklich nicht. Was ist denn bloß mit den Leuten los, frage ich mich und liege in Gedanken schon mit einer weißen Fahne wedelnd auf dem Boden. Kapitulation. Mit meinem Selbstbewusstsein ist nämlich alles in bester in Ordnung, und nein, ich brauche kein „Gucci, Gucci, Louis, Louis, Fendi, Fendi, Prada“ um ein glücklicher Mensch zu sein, aber davon will man sowieso nichts wissen. Ich sortiere also meinen Kopf, verabschiede mich freundlich und erhobenen Hauptes, steige in die Bahn Richtung Verknalltüte und drücke ihr die Boybag samt Blumenstrauß in die Hand. „Das gehört zu dir, du Schlawiner, und wenn der Typ denkt, all deine Synapsen wären längst zu kleinen CC-Formen mutiert, schieß ihn ab, dann ist er nämlich der Idiot und nicht du. Ach, und noch was: Irgendwann gehen wir im Partnerlook.“ Denn es ist doch so:
Würden Moden und Marken keinerlei romantische Gedanken in mir auslösen, wären da nicht all die Bilder einer trotzig-starken Mademoiselle Coco in meinem Kopf, während ich zottelig, aber Chanel-behangen über das Kopfsteinpflaster meiner Straße trample, ginge es mir kein bisschen um die Magie des Materiellen und um mehr als Optik, um Gefühle und Geschichten, dann hätte ich entweder meine Fantasie verloren oder wäre falsch dort wo ich bin: Ganz bei mir selbst nämlich, aber mit der schönsten Nebensache der Welt im Herzen.