Gestern Morgen schlawänzelte ich nichtsahnend und ein bisschen müde ins MTV Büro, wie jeden Montag eben, bloß hatte ich diesmal schon wenige Sekunden nach meiner Ankunft Pipi in den Augen stehen und kugelte mich vor Lachen, ein Kollege hatte nämlich die App „Perfect 365“ entdeckt und sich mithilfe diverser Bearbeitungs-Tools ein Elfen-Gesicht samt Wallemähne gezaubert. Zum Schießen, wirklich. Leicht zu beeindrucken wie ich manchmal bin, dauerte es demnach also keine weiteren zwei Minuten bis auch ich in Besitz der vermeintliche Quatsch-App war, mich munter frisierte und tropische Make Ups passend zur Copacabana bestaunte. So weit, so witzig. Dann entdeckte ich allerdings eine ganze Palette erschreckend natürlich wirkenden Filter, die sich wie Feenstaub auf mein Gesicht legten: Jeder Makel wird mit einem einzigen Klick determiniert, auch Tränensäcke, dafür gibt’s Gratis-Blush in Sekundenschnelle, Endlos-Wimpern und eine dezente, aber wirksame Gesichts-Form-Korrektur.
Irgendwo zwischen „Hammer, jetzt muss ich mich nie mehr für ein Foto schminken“ und „Oh Gott, die Welt ist ein einziger Fake“, dämmerte mir, dass diese App wirklich und wahrhaftig ernst gemeint ist. Ich überlegte sogar eine Sekunde lang, diese sagenhafte Entdeckung für mich zu behalten, erschrak glücklicherweise aber sehr schnell vor meinem eigenen Nagel im Kopf und fragte mich gleichzeitig, wer in meinem Umfeld wohl schon längst mit „Perfect 365“ fudelt.
Das Social-Media-Schummeln erreicht mit dieser App nämlich womöglich seinen Höhepunkt. Weil’s so einfach ist und effektiv. Wo aber wird die Über-Ästhetisierung, das wahnhafte Perfektionieren jeder Äußerlichkeit noch hinführen? Echte Dates könnten zum Auslaufmodell werden, vielleicht macht man’s künftig auch wirklich wie Joaquin Phoenix in „Her“, denn was, wenn das Gegenüber erfährt, dass Mitesser real und Lippen manchmal schuppig sind? Gut, Quatsch beiseite. Was ulkig bis komisch klingt, kann nämlich tatsächlich zum ausgewachsenen Problem werden.
Schon jetzt kenne ich nämlich ein paar Spezialisten, die jedes Handyfoto erst durch Photoshop jagen, ein paar Kilos weg-verflüssigen und Winke-Ärmchen ausradieren (ja, Freunde, das merkt man), Leute, die ihr Antlitz bis zur Unkenntlichkeit überbelichten und junge Frauen, die sich längst von Instagram verabschiedet haben, weil sie dem Druck des perfekten Selfies nicht mehr standhalten können oder wollen. „Perfect 365“ passt damit also ganz hervorragend zum herrschenden Instagram-Zeitgeist: „Schön ist, was das Gegenteil von echt ist“.
Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber auch bin manchmal kurz davor, die weiße Flagge zu hissen, um vor der Makellosigkeit all der digitalen Elfenwesen aus aller Welt zu kapitulieren. Was also passiert da bloß mit unserem Selbstbewusstsein? Wo bleibt die gesunde Portion Selbstliebe, das Witzeln über die schiefe Nase, die man nunmal von Opa hat, die echten #wokeuplikethis Knautsch-Gesichter zum Gernhaben, die Augenringe nach der schönsten und längsten Nacht des Monats? Alles vom Aussterben bedroht, stattdessen herrscht Gleichschaltung und wir alle stecken bis zum Hals mit drin.
Vorher:
Nachher:
Eigentlich müsste jetzt ein Fazit folgen, irgendwas von wegen „Traut keinem Foto, das ihr nicht selbst manipuliert habt“ oder „Leute, zeigt mal wieder eure Bollerwaden und Hamsterwangen“, aber Hand auf’s Herz, das alles wissen wir doch längst. Es ist völlig logisch, dass erst unsere Makel uns besonders und zum Knutschen machen, dass Lügen kurze Beine haben und wahre Schönheit wenig mit Fotofiltern gemein hat. Bloß fällt es verdammt schwer, auf dieses Wissen Taten folgen zu lassen. Sollten wir aber, denn eins ist sicher: Unser echtes Ich ist ganz bestimmt das beste Ich.