„Ich hätte gerne einen Latte, aber mit Soja, bitte“ – „Habenwanich“. „Mhhokee, dann nehm ich einen mit normaler Milch.“ Wenn ich mich nicht täusche, dann hat das alles in etwa so angefangen. Schick ist eben der, der Schickes tut und das Verzehren von Kuhprodukten scheint seit Längerem nicht mehr dazu zu gehören. Im Vergleich zu Köstlichkeiten wie richtig klebrigem Kuchen oder klassischen Brotzeitbrötchen gleicht das weiße Gift wohl aber einem Engelstrunk – Tonangebende Ernährungs-Pingel und Anhänger zwielichtiger Low-Alles-Trends haben sich inzwischen nämlich eine ganze Handvoll neuer Opfer ausgesucht: Sämtliche Proteine wie sie vor allem in Getreide vorkommen, kurz: Gluten.
Nahrungsrassismus 2.0 oder so ähnlich. Die Generation #foodporn ist binnen weniger Monate zur Generation „Vertrag ich nicht, ess ich nicht“ mutiert. Und mein Instagram-Feed ist plötzlich #glutenfree. Komisch, wenn man bedenkt, dass tatsächlich nur in etwa 1% der Bevölkerung zu einer nachweisbaren Unverträglichkeit, in Fachkreisen auch Zöliakie genannt, verdonnert ist. Der große Rest gibt sich, so munkelt man, dem allseits bekannten Placeboeffekt und neuerdings auch einem ganz großen Trend hin.
Versteht mich nicht falsch, ich haben weder eine heimliche Karriere als Wissenschaftlerin hinter mir, noch geht mich das Essverhalten meiner Mitmenschen mehr als einen feuchten Fuzzi an. Bloß fragte ich mich gestern, nachdem ich mit meiner alten Freundin Leonie telefonierte, wann denn endlich mal jemand den Vogelfinger auspackt, wann denn endlich mal wer sagt, wie absurd und komplett bescheuert das ganze Krümelpizzaessen ist, und zwar ohne Angst vor entrüsteten Kommentaren aus der Richtung all jener, die sich eiskalt erwischt und selbstredend zu Recht angesprochen fühlen. Wer sein Umfeld mit Hashtags penetriert, die zuweilen am Gewissen Normalessender rütteln, der muss nunmal auch mit einem halblächelnden Konter rechnen. Besonders, weil es praktizierenden Gluten-Hassern ja eine gewisse Genugtuung zu geben scheint, jede Mahlzeit mit diesem kleinen aber wichtigen „freeirgendwas“ Hinweis zu versehen, ja etwas Erhabenes. Für meine frechen Zeilen werde ich mich früher oder später womöglich trotzdem entschuldigen müssen, auch wenn ich eigentlich gar nicht will, belehren lassen hingegen würde ich mich aber wirklich gern, denn vielleicht ist mir ja ein wichtiger Fakt durch die Lappen gegangen. Also los: Warum nur tut ihr euch und uns diesen öffentlich betriebenen Verzicht wirklich an? Macht ihr das für euch, oder für den Fame? Für die Gesundheit, oder doch eher die Figur?
„Weiß du Nike“, brabbelte Leonie, die seit wir in der Grundschule noch Zahnspangen aus Alufolie bastelten an der Autoimmunerkrankung Zöliakie leidet, sich gestern jedenfalls unverhofft in Rage. „Wegen all dieser Mode-Diätler werde ich im Restaurant kaum mehr ernst genommen, man schmeißt mir ständig Croutons in den Suppenteller und außerdem blutet mir beim Anblick eines saftigen Brownies oder beim Butterschnittenfrühstück echt das Herz. Wie soll ich mich von diesem Kackaarschlochhipstertrend also nicht verschmäht fühlen, verrat mir das mal, und wieso machen da so viele Quietschgesunde mit?“.
Ich hatte weder eine Ahnung, was ich antworten sollte, noch weshalb man freiwillig glutenfrei ergo Klebeeiweißfrei, also zwangsläufig etwas bröseliger als gewohnt isst, aber immerhin verstand ich, dass Leonie fuchsteufelswild war. Ähnlich erging es ein Jahr zuvor auch meiner wirklich und wahrhaftig Laktose intoleranten Bekannten Luise, die vor dem Verzehr von jedem auch nur minikleinen Belohnungslattemacchiato erst einmal Vorlieb mit einer neutralisierenden Tablette nehmen muss.
Das ist also die eine Seite, die mich diesen Trend noch weniger verstehen lässt als sowieso schon. Zusammengefasst trampelt man mit dem Ausüben des selbigen nunmal auf den Gefühlen von wirklich ins Knie Gebissenen, die ständig verzichten müssen, herum. Und das, obwohl das Weglassen von Gluten einem gesunden Menschen weder im hohem Maße schadet noch irgendwie nützt, jedenfalls behaupten das studierte Experten weltweit.
Die andere Seite der Kritik entblößt sich nur nach und nach: Nicht nur, dass der Zusatz „Gluten free“ die Kassen listiger und sich ins Fäustchen lachender Unternehmer Donnerwetter-laut klingeln lässt (der Höhepunkt war bisher wohl „Glutenfreies Wasser“, das selbstredend immer glutenfrei ist, auch ohne feschen Schriftzug auf der Verpackung), nein, besorgniserregend werden Ernährungstrends wie dieser vor allem wegen ihrer Gabe, Esstörungen im Deckmantel des „bewussten Umgangs mit Lebensmitteln“ zu verschleiern. Selbst besorgten Freunden gehen da irgendwann die Argumente aus.
Clean Eating und all das kann, das weiß man spätestens jetzt, eben zu einer ganz schön schmutzigen Angelegenheit werden, sich zu einem ausgewachsener Zwang mausern. So richtig gefährlich wird’s hier vor allem für junge Mädchen und beeinflussbare Erwachsene, die ihren Blick gern gen Hollywood richten: Dort drüben behauptet das ein oder andere Idol nämlich: „Quatsch, ich bin überhaupt nicht magersüchtig, ich hab bloß wegen meiner neuen Gluten-Allergie 75 Kilo abgenommen.“ Na dann. Weiterhin viel Spaß beim Krümeln.