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Eine ordentliche Silvesternacht verursacht für gewöhnlich Kopfschmerzen, was in diesem Kontext wohlbemerkt erwünscht und durchaus ein Zeichen für ein gelungenes Fest ist. Ja, nach einer anständigen Silvesternacht steht die Bude des aufopfernden Gastgebers auf dem Kopf, alles riecht nach Kneipe und Rauch und du noch ein bisschen schlimmer, Kissen deuten auf vorangegangene Sektduschen hin, vielleicht waren es auch Schaumkuss-Schlachten, und, ganz wichtig, um 13 Uhr Mittags wird noch doppelt gesehen, mindestens. Ja, nach einer geglückten Silvesternacht weiß man nur selten, wem von den 40 Freunden man um Punkt 12 in den Armen lag, und wie man es nach Hause geschafft ist, bleibt so oder so ein ewiges Rästel. Findet man dann am nächsten Morgen noch Glitzerpulver im Haar oder 10 fremde Feuerzeuge in der Tasche, kann man beinahe von einer perfekten Silvesternacht reden – zumindest wenn man jung ist. Und wir sind jung!
Das dachte ich zumindest. Bis das Jahr 2010 sich dem Ende näherte und all meine Prinzipien infrage gestellt wurden. Meine Freunde sagen seit neustem, ich wäre alt. Beinahe vergreist sogar.
Eineinhalb Monate zuvor. Eigentlich verlief alles ganz normal, das übliche Prozedere nahm seinen Lauf. Und damit auch die Tragödie, das Dilemma der Silvester-Planung. „Was machen wir Silvester?“, fragten geschätzte 30 Leute, quasi der gesamte Freundeskreis. -„Keine Ahnung, aber irgendwas finden wir schon“, antworteten die selben 30.
Zwei Wochen zuvor. Noch immer kein Plan. Dann die Frage, diese alles entscheidene Frage, die mein Hirn überfordert zurück ließ. „Willst du mitkommen in die Hütte im Algäu? Mit ein paar Leuten? So ganz ruhig?“ Mein Freund hatte ausgesprochen, was ich mich niemals gewagt hätte zu sagen. Er fragte mich, ob wir gemeinsam ins neue Jahr rutschen wollten, mit seinen Liebsten. Erst sprang mir mein Herz fast aus der Brust, dann wurde es schwer. Denn Silvester, das war doch eigentlich unser Fest. Unser Abend. Der, meiner Liebsten und mir. Immer schon. Bis auf ein paar wenige Skiurlaub-Ausnahmen, zugegeben. Und jetzt wird alles anders?
Das Dilemma. Partyeskapaden oder pure Erholung? Freunde oder Freund? Heimat oder weite Ferne? Hütte. „Meine Güte, du wirst alt“, sagen meine Freunde. „Vielleicht“, sage ich.
Hergottnochmal. Es ist nur ein Tag, ein Abend, eine Nacht. Ich fahre. Weil es mir gut tut. Frische Luft ist Balsam für die Seele und ein paar Tage ganz ohne Internet sind dringend nötig. Die Entscheidung steht fest. Klingt ganz einfach, ist es aber nicht. Wieso diese ganze Kopfzerbrecherei?
Weil nicht nur ich älter werde, sondern wir alle. Bier oder Champagner? Jeans oder kleines Schwarzes? Party bis zum Erbrechen oder gediegenes Beisammensein? Nein, nicht nur ich stelle mir Fragen wie diese. Wo früher jeder laut PARTY gerufen hat und die Lämpchen schon beim bloßen Gedanken ans Feuerwerk anhatte, überlegt jetzt zumindest jeder 2., ob ein ruhiger Abend in trauter Runde mit selbstgekochtem Essen und einem guten Wein nicht auch ganz nett wäre. „Mal nicht so stressig“, hörte ich Frau B. sagen. „Puh, so viel Trubel, das halt ich dieses Jahr eh nicht aus, ich hatte in letzter Zeit so viel um die Ohren“, säuselt Herr F. So richtig zugeben will das aber keiner. Dass man der exzessiven Feiertradition ausnahmsweise auch mal den Rücken kehren könnte in dieser einen Nacht. Dass in uns allen irgendwo ein kleiner Spießer sitzt, der manchmal ganz zaghaft von innen an die Stirn klopft und sagt: „Entspannung ist besser als Kopfschmerz.“ Dass es irgendwannl eben der Partner ist, dem man am 31. Dezember um 24 Uhr um den Hals fallen will. Ja, wir sind beinahe erwachsen, die einen mehr, die anderen weniger. Aber Spießer? Nee, denn wir entscheiden immer noch ganz allein, worauf wir in diesem Jahr Lust haben. Diesmal ist es eben die Hütte – aber da oben knallt der Schnaps ohnehin mehr als hier unten.