Versetzen wir uns zurück in unsere Jugend und in das Zentrum der Pubertät: Wir taumeln, wissen nicht was und wer gut oder schlecht für uns ist und haben ein riesiges Problem mit unseren Eltern. In den meisten Familien sind Auseinandersetzungen und Streitigkeiten glücklicherweise temporär. Manchmal können Unverständnis und Ignoranz aber dazu führen, dass wir uns komplett abwenden und nur noch hasserfüllt in die Augen unserer Eltern blicken.
Hass, nichts als Hass – das empfindet Hubert für seine Mutter. Nicht nur stundenweise, sondern abgrundtief und über die ganze Zeit hinaus. Irgendwann hat Hubert’s Mutter Chantal, gespielt von Anne Dorval, die Nähe zu ihrem Sohn verloren. Schleichend und scheinbar unwiederruflich.
Das Filmdebüt „I Killed my Mother“ vom kanadischen Regisseur und Autor Xavier Dolan thematisiert wohl eine der emotionalsten Phasen unseres Lebens, eine Zeit des Unverständnisses und dem Gefühl der tiefen Ablehnung gegenüber der eigenen Familie. Dolan hat Verständnis für seinem Helden, nicht zuletzt weil er das Drehbuch zu „I killed my Mother“ mit 17 geschrieben hat und es daher teilweise autobiografisch ist. Mit 19 konnte er das Stück schließlich verfilmen, und zwar mit sich selbst in der Hauptrolle, mit einer gewissen Distanz zum Erlebten und dem wahnsinnigen Gefühlschaos, das er hautnah erleben musste.
Wir treffen im Film auf ein Wunderkind, das sich als Künstler und Literat sieht und das stets auf Unverständnis stößt. Auf ein Kind, das homosexuell ist und mit seiner familiären Herkunft einfach nicht klar kommt. Hass gegenüber seiner Mutter Chantal beschreibt das negative Gefühl von Hubert wahrscheinlich nicht einmal richtig, es geht tiefer, es ist Verachtung und Ekel. Sie quält ihn mit ihrer Art, mit ihrem schrecklichen Geschmack, ihrem Sonnenstudio-Zwang und ihrer beharrlichen Ignoranz ihm gegenüber.
Dass aber auch Eltern sich unverstanden fühlen können, zeigt eine sehr nachdenklich stimmende Szene im Film, in welcher Hubert seine Mutter anbrüllt, wütend wegläuft und sie fragt: „Was machst du, wenn ich heute sterben würde?“. Ein leises Antworten seiner Mama nimmt er nicht mehr wahr: „Dann sterbe ich morgen.“
Warum uns „I killed my Mother“ nicht abschreckt? Weil wir sicherlich froh sind, eine andere Jugend verlebt zu haben und aufatmen. Irgendwie aber auch, weil wir Verständnis mit Hubert haben, weil wir sein Gefühle nachvollziehen können, zwar temporär und sicherlich auch nicht mit einer solchen Tiefe und Härte, und weil wir uns aber dennoch irgendwie an unsere Pubertät erinnern können und das schreckliche Empfinden, nicht dazuzugehören und anders als unsere Eltern sein zu wollen, kennen.
Schaut euch das Filmdebüt von Xavier Dolan, welches bereits 2009 in Cannes vorgestellt und mit zahlreichen Preisen gekürt wurde, ab dem 3. Februar mal an und taucht in ein Drama ein, das wir hoffentlich alle nicht mit einer derartigen Härte selbst miterlebt haben, für das wir aber sehr wohl Mitleid und irgendwie Verständnis aufbringen können.