Ganz kurz mache ich die Augen zu und die Musik beginnt zu spielen. Sanfte Töne, ein bisschen Harfe, ein bisschen Wirrwarr, ein bisschen wie die Anfangsmelodie zur Reise in die Disney-Welt von früher. Der Laufsteg blendet mich, ein Weiß wie aus der Neonröhre. Dann der Schnitt. Das Leuchten wird zur Wüstensonne, Disney zu Saloon-Beschallung. Mein Kopf ist bei John Wayne, irgendwo in der Prärie, im wilden Westen.
Fließende Stoffe, drappiert und klar wie Wasserwellen. Chiffon und Seide schwingen um die Wette, reflektieren das Kunstlicht des Laufstegs als würden sie mit ihm tanzen wollen. Sandtöne, Off-White und Beige werden ganz sanft gebrochen. Hier ein zurückhaltenes Gelb, dort Rosa, dann erdendes Schwarz und kleine Akzente aus hauchdünnem Leder. Nach Mustern sucht man in Michael Sontags Kollektion vergebens, denn das Flächige ist Essenz all dessen, wonach das Auge der Ästhetik sucht. Immer wieder verfällt der Betrachter in Assoziations-Flüsse. Plötzlich läuft Uma Thurman in der Wüste der Kill Bill – Kulisse auf und ab – eine Uma, wie sie hätte aussehen können, wäre sie nicht geradewegs aus ihrem eigenen Grab geflohen. Überlange Hosen bringen Stärke und Männlichkeit in die zebrechlichen Entwürfe, dort blitzt ein Bauchnabel raus wie ihn nur Cowgirls besitzen. Übergroße Capes formen ihre eigene Silhouette, dann ein Outfit aus Weiß, irgendwie statisch, irgendwie instabil, alles in einem. Star Wars Bilder flackern in meinem Kopf auf, ja, so könnte ein Jedi bei seiner Hochzeit aussehen.
Michael Sontags Kollektion für das kommende Frühjahr beweist, dass es sich mit der Mode ähnlich verhält wie mit Musik. Es kommt nicht nur darauf an was man hört oder sieht, sondern vor allem darauf, was man fühlt. Schiebt man alle Emotionen beiseite, könnte man glatt behaupten, das Gesehene sei langweilig und irgendwie nicht neu. Nein, das Rad wird nicht neu erfunden, aber dafür mit Visionen bestückt.
Bleib immer du selbst, aber verändere dich jeden Tag. Lass dich treiben, wiege dich im Wind, aber bleib standhaft. Sei sanft und stark, sei hell und dunkel. Aber vor allem: Sei pur.