Das erste Mal in meinem Leben weiß ich nicht, was ich zu der Kunst, die mir gezeigt wird, sagen soll. Ich bin sprachlos und irgendwo gefangen zwischen abstrusen Gedankengängen. Mein Haus am See in Berlin am Rosenthaler Platz zeigt derzeit eine der wohl umstrittensten Ausstellungen der vergangenen Zeit: Heroin Kids – art is like fucking thirteen year old kids.
Eine emotionslose Kritik oder gar Rezension des Gesehenen dürft ihr an dieser Stelle nicht erwarten. Das hier wird eine Aneinanderreihung von inneren Kopfkämpfen und der Versuch, klar zu sehen.
„Liebe muss jung, wild und frei sein, und schmeckt nach Früh-Morgen-Tau-einsame-Waldlichtungsküssen auf der Rückbank von
verdreckten Autos, nach Versprechen von ewiger Liebe und den Sternen, die sich in gläsernen Jungmädchenaugen widerspiegeln
– zugedröhnt von den härtesten Drogen, die man gerade bekommen konnte. Die schönsten Blumen wachsen nicht in Gärten oder
an Straßenalleen.
Kommen Sie mit auf eine Reise ohne Ziel, Richtung: weg, fort, Richtung: nie-wieder-zurück-in-dieses-scheiss-Leben…“
Mit diesen Worten beginnt der Trailer zur Ausstellung, zum kommenden Bildband, auch eine DVD soll es geben. Gut klingt das und irgendwie echt, fast poetisch. Nie wieder zurück in dieses scheiß Leben. Ich muss an Kids denken, spüre die Tragik, die sich in jede Zeile bettet wie ein wabbriger Wurm, der Schutz sucht, weil ich ihn mit bloßen Händen zerquetschen könnte. Die Tragik nagt an mir, ich fühle mich scheiße. Mit Anlauf aus der Bahn geworfen und ausgekotzt. Vielleicht liegt das an all dem blutigen Erbrochenem, das vom Mädchen im Video gerade noch mit der Zungenspitzte ganz sanft liebkost wurde. Vielleicht an der weit gespreitzten Scheide, an der braunen Bremsspur im Tanga oder den zerschnittenen Armen. Ich bin angeekelt, suche nach dem Sinn.
Der Sinn. Aufklärung, Abbildung der Wirklichkeit. Wachgerüttelt werden und verstehen. Sehen, was sonst verborgen bleibt. Fühlen, was hier passiert. Abschreckung. Der Wahrheit ins Auge sehen, ausgeliefert sein. Weggucken wollen und nicht können. Christian Kaiser und Corinna Engel zeigen uns eine Welt zwischen Drogen, Sex und Gewalt, zwischen Prostitution und Verwahrlosung. Erzählen mit ihren Bildern von einem Leben wie wir es nur aus der Ferne kennen, aus der Zeitung, aus der Flimmerkiste. Flimmern vor den Augen, Nebel im Gehirn. Sonst bin ich doch so frei, so tolerant, jedenfalls rede ich mir das ein. Kunst hat seine Berechtigung, Kunst darf man nicht verbieten. Es gibt Menschen, die wollen „Heroin Kids“ verbieten; die Verhandlungen laufen seit Ende letzten Jahres. Es geht um Menschenrechtsverletzung und Verherrlichung. Bullshit, denke ich. Das ist keine Verherrlichung. Mir steckt die Kotzte noch immer im Hals fest.
Die Bilder vibrieren in meinem Bauch, tun sogar ein bisschen weh. Meine Hemmschwelle hat sich in der hintersten Ecke des Büros verkrochen, sonst hätte ich längst ein Tuch über den Bildschirm geworfen. „Mein Haus am See“, da werden gerade ein paar Bilder der Serie gezeigt, ist fast nebenan. Laptop aus, hin da. Selber sehen und verstehen.
Ein warmer Raum, gelbliches Licht, überall Menschen die plaudern, Kaffee trinken und irgendwas in Handys tippen. Krass. Und surreal, denn hinter dem Typ dort drüben hängt eine riesige Möse, da hinten sehe ich Spritzen. Das sind sie, die Heroin Kids. Sehen gar nicht mehr so schlimm aus. So ist das halt mit der Kunst in Berlin, die provozieren will. Da gibt’s eben viel nackte Haut und manchmal Drogen. Plötzlich sehe ich in den Bildern nichts schlimmes mehr, der Ekel ist verflogen. Die Kulisse ist Schuld, der Rahmen in dem die Fotos der verdrogten Totgeweihten präsentiert werden. Nachrichten auf N24 sind ähnlich grausam und wenn die Welt nur so von Pornos wimmelt, dann dürfen auch diese Bilder hier hängen. Ja, sie dürfen, aber müssen sie? Das sind keine echten Junkies auf den Bildern, das sind bloß Schauspieler oder Models und Freunde der beiden Künstler. Reportagecharakter? Fake. Die Abbildung der Realität? Fake. Bloß eine Nachstellung eben.
Und ich weiß noch immer nicht, was ich sagen soll, wo ich stehe, was meine Meinung ist. Der Fotoausstellung an sich unterstelle ich keine besondere Daseinsberechtigung oder Wichtigkeit, ich coexistiere oder ignoriere, Aufregung wäre aber fehl am Platz. Das Video ist eine kleine Schweinerei und hätte bloß dann eine Funktion, würde es im angemessen Rahmen präsentiert werden, als Einstimmung oder so. Das Buch? Fragwürdig. Wer kauft sich so ein Buch? Menschen, deren innerer Voyeurismus sie übermannt? Kerle, die sich aufgeilen an dreckigen Mösen? Kunstsammler wohl kaum. Und genau das ist der Grund, warum ich es infrage stelle, kritisiere und nicht befürworten kann. Nan Goldin zum Beispiel hat viel nackte Haut gezeigt und Drogen. Aber alles war echt. Sie hat eine Generation portraitiert, ein Lebensgefühl, Einblicke in einen Lebensstil geboten, verstehen lassen, was die gezeigten Menschen fühlten, wie sie tickten, was die Gesellschaft ihnen angetan hat, oder sie sich selbst. Weil sie mittendrin war. Ich hoffe sehr, dass Christian Kaiser und Corinna Engel nicht mittendrin sind – in der Drogenmösenhölle ihrer fiktiven Welt.