Meine Mutter fragt oft, was alle Mütter fragen: „Kind, isst du denn auch genug?“ Klaro. In letzter Zeit waren es deshalb viel eher Bekannte und Freunde, die dem wahrhaftigen Problem auf den Zahn fühlten. Nämlich: „Sag mal, wird man nicht ein bisschen Plemplem, wenn man tagtäglich nur so dünne ModeModelMädchenBilder sieht?“ Ja, das wird man. Allerdings brauchte ich ein wenig Zeit, um mir selbst eingestehen zu können, dass was dran ist am Klischee. Ein kurzer Gedankengang.
Ich meckere ja furchtbar gern. So war ich auch immer an vorderster Front mit dabei, wenn es galt, den Magerwahn rot anzukreiden. Gechimpft habe ich über sie, die allzu dürren Models, über Freundinnen, die frei raus gestanden, auf herausstehende Hüft- oder Schlüsselbeinknochen zu stehen. „Das darf ja wohl nicht wahr sein“ und „verdammt, was für eine kranke Gesellschaft“ zählten wohl zu meinen Lieblingssätzen. Und dann, in diesem Jahr, folgte ein Schlüsselmoment, wegen welchem ich noch heute die Hände über dem Kopf zusammen schlage – und zwar ob meiner selbst. Da saß ich also tatsächlich dort auf meinem Stühlchen, während der diesjährigen Fashion Show von unserer üppigen 50er-Jahre-verliebten Lena Hoschek und dachte ganz still und heimlich: Irgendwie sieht das an den etwas zu runden Models billiger aus als an den ganz, ganz schlanken. Poom. Ich dachte plötzlich, ich hätte nicht mehr alle Tassen im Schrank und erschrak vor mir selbst. Die paar Models auf dem Laufsteg, die ausnahmsweise mal keine Striche in der Landschaft waren, brachten bei einer Körpergröße von 1,75m doch trotzdem nicht mehr als 58 Kilogramm auf die Wage – mir war also offensichtlich schon ein ganz normales Frauen-Becken zu üppig? Jap, Tatsache.
Ich scrolle mich also von Montagmorgen bis Freitagabend durch Blogs, blättere durch Magazine und bekomme das heutige Schönheitsideal quasi auf dem Präsentierteller serviert. Es ist doch so: Wo viel Angebot ist, da gibt es nichts bewundernswerteres als eiserne Disziplin. „Sei diszipliniert, dünn und durchtrainiert“, suggerieren mir all diese Bilder. Das Trippel-D, der Teufel. Und so langsam hat er es sich auf meiner linken Schulter bequem gemacht. Um dafür zu sorgen, dass auch ich ganz langsam den gesunden Blick auf die hiesige Körperwelt verliere. Der einzige Wehrmutstropfen: Zumindest unterscheide ich zwischen zwei Welten.
Denn was ich auf all den schimmerigen Hochglanzbildern sehe, ist eine Parallelwelt, die Traumblubberblase des Modekosmos. In ihr sind alle sehr schlank und perfekt und schön (augenscheinlich essgestörte Models wie das rechte, abschreckende Beispiel, nehme ich selbsredend aus meinen Vergleichen heraus, bei allen anderen schmal-gewachsenen Damen unterlasse ich jegliche Spekulationen über deren Gesundheitszustand). Wenn ich aber Abends nach Hause gehe, Freunde treffe und so dies und das treibe, dann würde ich niemals auf den Gedanken kommen, ein normalsterbliches Mädchen wegen ihres eventuell sogar üppigen Gewichts auch nur ansatzweise unhübscher zu finden, als eine der gesund-schlanken Sorte. Oft ist es sogar anders herum. Was aber, wenn ich mich auf abendlichen Veranstaltungen dieses Minikosmoses befinde? Ja, auch dann schlägt das verzerrte Weltbild wieder zu.
Meist habe ich dann nämlich das Gefühl, es gäbe beinahe keine Frau in diesem Wunderland, welche eine größere Größe als die magische 38 über ihren Hintern zieht. Und dann denke auch ich manchmal „Hm, vielleicht verkneife ich mir das dritte Umsonst-Erdbeertörtchen dann eventuell doch“ und kann mir gleichzeitig nicht erklären, wie das wohl sein kann, dass die alle so zierlich sind.
Es stimmt also vielleicht wirklich. Der Mensch neigt dazu, sich an Dinge und Gegebenheiten zu gewöhnen, abzustumpfen. Und so vielleicht auch an Bilder und Körperformen? Zumindest verkümmert er irgendwie. Lässt Prinzipien fallen wie getragene Socken, vergisst seine Ideale. „Hauptsache ich fühle mich wohl“, sagt man doch immer. Was aber, wenn man sich plötzlich nicht mehr mit den Beinen, die da an einem dran hängen, sehen lassen will? Achtet man unbewusst auf das, was auf dem Teller landet? Mag man etwa plötzlich keine Pommes mehr, weil sich irgendwo heimlich ein Chip ins Hirn gepflanzt hat, der ganz linkisch auf’s Gewissen drückt?
Ich glaube, dass sehr viele Mädchen vielleicht sogar ganz unterbewusst diesem heimlichen Konkurrenzkampf der perfekten Körper erliegen und ich weiß nicht, wie unsere Gesellschaft da jemals wieder rauskommen will. Es ist ein bisschen wie bei diesen Handwerker-Portalen, auf denen sich alle im Preis unterbieten müssen, um am Ende wenig Geld zu verdienen. Keiner mag so etwas gern zugeben, aber alle machen mit. Und dann sitzt der Teufel irgendwann mitten in der Runde und keiner hat’s gemerkt, weil keiner drüber spricht. „Verdammt, was für eine kranke Gesellschaft“, nicht wahr?