Foto: Spencer Tunick via Focus.
Mit Nacktheit in der Kunst tue ich mich dann und wann schwer. Nicht, weil ich prüde wäre oder konservativ bis in die Knochen, sondern vielmehr, weil sich mir der Sinn des freiliegenden Fleisches oft nicht recht erschließen will. Sicherlich, der ästhetische Aspekt zieht so gut wie immer, denn Stoff kann durchaus das Gesamtbild stören. Aber manchmal macht das alles einfach keinen Sinn. Ich denke da zum Beispiel an Jürgen Goschs Inszenierung von Shakespeares Klassiker „Macbeth„. Von der ersten Sekunde an standen die Schauspieler splitterfasernackt auf der Bühne, bloß der eine, der König, trug eine trostlose Papierkrone auf dem Kopf. Ein jämmerlicher Anblick im Ekeltheater. Denn beim freien Umherschwingenlassen und schmerzhaften Einklemmen des Genitals blieb es nicht, es wurde Schokopudding gekackt, gekotzt un uriniert.
Der amerikanische Fotograf Spencer Tunick geht da schon um einiges Bedachter mit dem naturgegebenen Hautkleid der Menschheit um. Er vermag es seit geraumer Zeit immer und immer wieder, Abertausende für das Blankziehen zu begeistern. Für seine Bilder, für seine Kunst, für den Protest. So auch dieser Tage in Tel Aviv, wo sich rund 1 200 Israelis und Touristen für die Aktion „Nacktes Meer“ am Wasser versammelten, um ein Zeichen zu setzen: „Gegen die Gefährdung des tiefsten Sees der Welt durch Austrocknung„, schreibt die Monopol. Bis hierher verstehe ich einmal mehr nicht, wieso Nackheit hier ein Muss sein sollte. Weil es einerseits Aufmerksamkeit auf sich zieht und andererseits schlichtweg besser aussieht, schon klar. Das reicht mir aber nicht, auch wenn es das Ganze rechtfertigt. Am Ende ist es vielmehr der 25-jährige Teilneher Raffe Gold, der mir begreiflich macht, dass auch eine weitere Dimension, die politische nämlich, nicht zu unterschätzen ist: «Ich tue das, weil ich überzeugt bin, dass Israel das einzige Land im Nahen Osten ist, wo eine Fotoserie von nackten Menschenmassen aufgenommen werden kann», zitierte die Monopol weiter. Und plötzlich ergibt alles doch irgendwie Sinn.
Foto: Spencer Tunick via Focus.
Mir ist klar, dass, egal ob wir es mit Performance, Fotografie, Theater oder Kunst im klassischen Sinne zu tun haben, nach immer mehr gestrebt wird, nach Extremen. Dass man das Bedürfnis hat, zu provozieren und immer einen Schritt weiter zu gehen. Und dass genau das mit der Zeit immer schwieriger wird. Über dieses Thema könnte man nun hunderte von Zeilen schreiben, aber um es kurz zu machen: Auf Teufel komm raus rebellisch sein und laut und wild, ist nicht immer die eleganteste und sinnvollste Methode zur Erreichung seines Ziels. Irgendwann nervt’s, irgendwann ist die Luft raus und die, die es wirklich ernst meinen, werden längst nicht mehr gehört, oder schlichtweg in die langweiligste Nackedei-Schublade von allen gesteckt. So wäre es mit beinahe auch mit Herrn Tunick ergangen.