Theater-Tipp für Berliner: „Unschuld“ von Dea Loher im Deutschen Theater

09.11.2011 Allgemein, Kultur, Berlin

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mir vergangene Woche zum allerersten Mal ein Stück im Deutschen Theater in Berlin zu Gemüte geführt habe, lungere ich doch sonst viel lieber in Jeanshose im Hebbel am Ufer oder der Schaubühne rum. Auch, wenn die preiswerten Karten im oberen Rang Plätze in der letzten Ecke offenbarten, von denen wir nicht allzu viel sehen konnten, komme ich trotz des miesen Ausblicks zum Schluss: „Unschuld“ sollte man gesehen haben. Dea Lohers Gesellschaftsstück wurde nämlich von Michael Thalheimer aufpoliert und neu umgesetzt.

Grob gesagt geht es um das nackte Leben, das weder rosarot ist noch von Glück bestimmt. Um Schuld und Illusion, um Ungerechtigkeit und ganz viel Sensucht.

Das Bühnenbild ist schnörkellos, kalt und dunkel. Ein schwarzgrauer Kegel bildet die Kulisse, lässt die Zeit voranschreiten und die Welt sich um die eigene Achse drehen. Die Welt der insgesamt 10 Menschen, die sich in Vielem unterscheiden, sich aber doch ganz schön ähnlich sind: Denn alle sind verzweifelt, unglücklich und vor allem: schuldig – bloß findet jeder seine ganz eigene Entschuldigung.

Elisio und Fadoul betreten die Bühne, zwei illegale schwarze Immigranten. Vor ihren Augen ertrinkt eine Frau, doch keiner der beiden hilft – aus Angst vor der Abschiebung. Absolut ist Gogotänzerin, blind und traurig. Ihr Buch mit dem Titel „Die Unzuverlässigkeit der Welt“ ist irgendwo am Strand verloren gegangen und ist gleichzeitig bezeichnent für das Grundgefühl aller Charaktere: „Die Welt ist schuld, ich kann doch nichts dafür.“ Dann ist da noch Frau Habersatt, die sich permanent dafür entschuldigt, einen Amokläufer als Sohn zu haben, obwohl sie niemals Kinder hatte. Will sie Aufmerksamkeit, Mitleid oder ist sie ein Junkie der Schuld? Aber sie kann ja nichts dafür, für den Hass der Angehörigen aller Getöteten, ihr bleibt in ihrer Trauer schließlich nichts anderes übrig, als sich zumindest auszumalen, Mutter zu sein – wenn auch die eines Mörders, vielleicht wäre ihr Sohn ja wirklich ein Mörder geworden, sonst wäre ja nicht in ihrem Bauch gestorben. Frau Zucker ist derbe, rau und zuckerkrank – Grund genug, sich bei ihrer Tochter Rosa und deren Mann, einem Bestatter einzuquartieren, Grund genug, ihnen das Leben gleich mit zu Hölle zu machen. Sie ist schließlich krank und Kranke dürfen das und überhaupt, als Rosa klein war hat Frau Zucker doch auch für sie gesorgt. Helmut der Goldschmied und Ella, seine Frau, reihen sich irgendwann in die Riege der Trostlosen ein, denn ihnen fehlt die Liebe, da ist nur noch Ignoranz und stummer Hass. Und irgendwo treffen sie sich, all diese Menschen und Geschichten.

 

 

Der Kegel dreht sich immer weiter, liefert weder Lösungen noch Erlösung, obgleich er spitz in den Himmel ragt, ins Nichts. Tod oder Erleuchtung, was das bedeutet, wer weiß das schon. Die steile Bühne macht es den Figuren nicht leichter, zu sich selbst zu finden, jeder Schritt ist ein Kampf.

Die Geschichten und Charaktere scheinen makarber, ausgwegslos, aber komisch, aber vor allem geprägt von einer liebevollen Genauigkeit des Erzählers. Michael Thalheimer nämlich hält seine Inszenierung im Verborgenen, lässt sie gar unsichtbar erscheinen und stattdessen jedes Wort ganz klar und tonnenschwer zum Zuschauer dringen – und nur damit hat er der wohl wichtigsten Dramatikerin ihrer Generation, Dea Loher, gerecht werden können. Es sind die Monologe und Gespräche, welche den glühenden Kern des kalten Schauspiels bilden.

Ansehen könnt ihr euch das Stück an folgenden Tagen: 

14. November 2011, 20.00 – 22.00 Uhr, A-Preise
28. November 2011, 20.00 – 22.00 Uhr, A-Preise 
10. Dezember 2011, 19.30 – 21.25 Uhr, A-Preise 
23. Dezember 2011, 19.30 – 21.20 Uhr, A-Preise 
26. Januar 2012, 19.30 – 21.30 Uhr, B-Preise 

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