Um eins schonmal vorweg zu nehmen: Wenn die Dänin Stine Goya zur Fashion Show ins Rathaus lädt, dann steht die Copenhagener Modemeute Kopf. Noch nicht einmal der kälteste Wind seit 30 Jahren konnte daran rütteln oder dieser Liebe Steine in den Weg legen. Es wurde gedrängelt und gedrückt, aber vor allem gefroren – die Schlange vor den Pforten trippelte nämlich bloß im Schneckentempo Richtung Laufsteg. Verwundert waren wir darüber nicht, schließlich schien es, als wäre das halbe Land angerückt um einen Blick auf Stines neueste Stoff-Traumtänzereien zu werfen. Und das alles für ein gerade einmal 20-minütiges Laufsteg-Märchen. Für eine Zeit voller „Verführung“?
„Séduction de la nature“ nennt sich die neueste Kollektion der „Madame Zuckerwatte“, welche genau diesen Ehrentitel im kommenden Herbst schon wieder abgeben muss. Denn getreu dem Zyklus der Jahreszeiten weicht die eiscremige Pastell-Manier der Vorgänger-Entwürfe nun wieder der dunkleren Seite unserer Phantasie. Alles dreht sich um das Rätsel der Verführung, um deren Kraft und Reiz und den Garten Eden, in dem alles begann. Um das Früher und Jetzt. Damals war es der Apfel, heute ist es die Kunst, die uns verführt und kopflos zurücklässt. Die Musik. Und all die Mode – jeden einzelnen Tag.
Rückblick: Aus irgend einem Grund bange ich schon um die Kollektion, bevor das erste Model überhaupt den Laufsteg betritt. Wie schafft Stine das nur?, frage ich mich. Werden zu hohe Erwartungen nicht automatisch enttäuscht? So gut wie jeder hier im Raum hofft doch auf ein neues, kleines Modewunder, auf Stoffkreationen, die auf den ersten Blick verzaubern. Wir doch auch. Aber: Sie ist gut. Da braucht man überhaupt nicht zweifeln und ihr da hinten keine Angst um euren Kleiderschrankinhalt haben, denke ich, als ich die blonden Frauen mit ihren viel zu großen Köpfen auf der anderen Seite des Laufstegs tuscheln sehe. Stille und dann wieder Musik. Licht aus, Licht an. Am Ende des dunkelgrauen Wegs beginnt ein goldener Apfel damit Mädchen auszuspucken. Sie tragen zarte Perlen auf ihren Wangen und Stine Goyas Kreationen am Körper. Schlangen baumeln an Ohren, schmiegen sich um Hälse und Röcke aus Seide. Eine Baum spreizt seine Äste über feinen Stoff -Mystik und Geborgenheit im Wechselspiel. Schößchen kennen wir bereits von Stine, genau wie Senfgelb. Farbtechnisch wird es ab jetzt aber nicht freundlicher: Taubengrau kündigt die Eiszeit ein, Orange erinnert an fallende Blätter – und dann bleibt uns nur noch das Schwarz. Gespickt mit goldenen Knöpfen und Reißverschlüssen, bestickt und wohlüberlegt bis ins kleinste Detail. Da ist sie, die Versuchung, die dunkle Seite. Der Lockstoff, der den Widerstand zwecklos macht.
Nach der Schau bleibe ich noch einen Moment sitzen. Weil ich noch immer bange. Wieso bin ich noch da, weshalb nicht einfach dahingeschmolzen? Wo bleibt die verdammte Schnappatmung und wieso bin ich nicht ganz rot im Gesicht? Weil ich mich nicht verliebt habe. In keines der gezeigten Stücke. Das ist seltsam, denke ich. Gut, ich mag eben keine Schlangen, vielleicht liegt’s ja daran. Und Senfgelb, das gab’s jetzt auch schon fast zu oft. Ich gehe ohne zu wissen, ob ich „Séduction de la nature“ nun mag oder nicht.
Kurz darauf, an einem anderen Ort, betrete ich die „Gallery“. Und plötzlich hängt sie vor mir, die gesamte Kollektion von Mademoiselle Stine Goya. Am Bügel, statt am Model. Ich nehme jedes Teil mindestens zwei Mal in die Hand und plötzlich wird aus meinem ruppigen Zupfen ein sanftes Tätscheln.
Es ist doch so: Ich glaube nicht an Liebe auf den ersten Blick. Bevor du dich verliebst, musst du wissen, worauf du dich einlässt. Du musst erkunden und entdecken, an der Fassade kratzen und noch einmal genauer hinsehen. Vielleicht verhält es sich in der Mode manchmal so wie mit Männern: Diesmal hat es eben eine kleine Weile gedauert, bis Stine mich um den Finger gewickelt hatte. Dafür kann ich jetzt umso sicherer sein – Das hier wird kein One-Night-Stand. Vielleicht ist es sogar wahre Liebe.
Alle Bilder mit Ausnahme der Detailaufnahmen: This is Jane Wayne.