Fotos: Nike van Dinther
Existieren ist anstrengend, manchmal sogar lästig. Die Zeit hört niemals auf zu rasen und meistens überholt sie dich. Wegrennen gilt nicht. Bloß Vergraben, das ist ab und an erlaubt. Aber selbst dann, wenn du zwischen Wolkenkissen und Eiscreme vom Bett aus an die Decke starrst, passiert irgendwas Beschissenes. Urin in der Blase, Telefon-Lärm im Ohr – und alles, was du brauchst scheint viel zu weit weg.
Der Wecker klingelt und dein Herz rast im Takt. Langsam fängt es in deinem Hirn an zu rattern und aus vernebelten Gedanken wird Panik, wird Stress. Dein Kopf ist schwer und müde, will nicht mitkommen in den Tag, sondern weglaufen und vergessen – bis er sich die Beine bricht und am Boden liegt vor lauter Last. 13.00: Meike, 16.00: Lena und Abends noch Paul. Aus Vorfreude wird Verantwortung. Verabredungen zum Pflichtprogramm. Wie Abrissbirnen metzeln Termine durch deinen Alltag und legen sich wie schweres Geröll in deiner Magengrube ab. Verplanen, vertrösten, versetzen. Der Alltag pumpt Botox in deinen Körper, hält ihn aufrecht, bis er völlig gelähmt in der letzten Ecke des Wahnsinns steht. Liegen lernen, sagt man. Aber du kannst nicht mehr stehen.
Freitag, Samstag, Discodisco. Wer jung ist, muss das Leben genießen, die fetten Jahre sind jetzt und du bist mittendrin. An deinen Augen hängen rosa-dunkle Hautsäcke – wie einer dieser traurigen Hunde siehst du aus. Deine Arme sind schlapp, genau wie die Beine und alles ist taub. Als hätten die letzten Tage dir Strohhalme durch die fahle Haut gestoßen und alle Energie aus den Venen gesaugt. Aber egal. Bloß nicht schwächeln und niemanden enttäuschen. Sehen wir uns heute, du hast es doch versprochen, bitte lass mich nicht im Stich. Einfach mitmachen, sagst du dir. Du willst doch was erleben. Erst ein Anruf, dann zwei, dann hundert. Discodisco und du machst mit.
Neue Runde, neues Glück. Freunde von A, die B gar nicht kennt, irgendwelche Kollegen, und C schleppt dich mit. Bussi hier und Bussi da, lautes Gelächter, das aus dem Kehlkopf statt aus dem Herzen kommt. Sie reden ohne Luft zu holen, ohne Sinn und ohne Verstand. Neue Namen, neue Nummern aber kein einziges ehrliches Wort. Falsche Gesicher erzählen falsche Geschichten. Blablabla, vorwärts und rückwärts. Du willst dich umdrehen und schreien, dir die Ohren zuhalten. Aber dazu fehlt dir der Mut. Deine schweißnassen Hände umklammern das Bier, während du einen Schluck nach dem anderen nimmst. Kotzbröckchen sammeln sich in deiner Kehle und du weißt längst nicht mehr warum: Ist das Becks Schuld oder all die Idioten? Durchhalten, sagst du dir. Man trifft sich doch immer zwei Mal im Leben.
Heute hast du frei, das erste Mal seit Wochen. Faul sein, in Eiscreme und Wolkenkissen versinken, Staubwedeln oder sonst was Absurdes könntest du tun. Dich endlich mal nur um dich kümmern – bis das Telefon zu schreien beginnt und dich aus all deinen Tagträumen reißt. A ist sauer, weil du dich seit Wochen nicht meldest, B hat Liebeskummer und C steht schon längst vor der Tür. Du entschuldigst dich, obwohl es keinen Grund dafür gibt, tröstest, obwohl dir vor Müdigkeit die Worte fehlen und kochst Kaffee, obwohl du allein sein willst. Es ist egal, wie sehr du dich verbiegst oder bemühst, du wirst es niemals allen recht machen können. – Und solange du nicht lernst, „Nein“ zu sagen, dir selbst am aller wenigsten.