Eigentlich ist es viel zu spät, ich sollte schlafen und den Kopf ordnen, aber da ist grad viel zu viel drin. Gerade eben hatte ich einen Glücksmoment. Und es war so verdammt einfach. Deshalb muss ich euch davon erzählen.
Es ist komisch, was die Zeit mit uns macht, wie Gegebenheiten dich verändern, wie wandelbar doch alles ist. Schon oft hab‘ ich davon geredet, auf der Suche zu sein, einen Appell an den Mut in den Himmel geschickt, einfach zu tun, wonach mir ist. Ich hab‘ von Entscheidungsschwierigkeiten geredet und meinem nicht vorhandnen Stil. Von meiner Lust, immer neu zu sein, immer anders. Auch jetzt glaube ich noch, dass das für immer so sein wird. In meinem Kopf gibt es kein Modell von mir, bloß einen Scherenschnitt mit unfertigen Kanten. Da ist der anhimmelnde Hole und Bikini Kill Fan in mir, das Kind, das Brian Eno lieben gelernt hat, die, die gern abgefuckt wäre mit rosa Haar, eine Frau, die genau so gern adrett sein mag, mit roter Farbe auf den Lippen. Kontraste über Kontraste, überall. Wenn du dir gerne und oft Gedanken machst und ein kleines Chaos bist, dann überkommt dich vielleicht auch ab und an die Sehnsucht nach Ordnung – auch hinsichtlich des eigenen Kleiderschranks. Geradliniger wurde genau der im letzten Jahr. Und auf einem Flug, irgendwo hin, verlor ich meinen Nasenring, weil ich sabbernd auf der Lehne einschlief.
Komisch, dass das ein so einschneidender Moment war. Ich dachte, das sei ein Wink vom Schicksal, dass es wohl so sein solle. Nike, du wirst erwachsen. Ordne dich. Ich bin jetzt noch genau eineinhalb Monate lang 23 Jahre alt und wisst ihr was? Das ist jung! Sehr jung. Ich darf doch eigentlich noch ein klein bisschen machen,wonach mir ist. Vor ein paar Minuten habe ich mir aus einem alten Ohrstecker einen neuen Nasenring gebogen und eine Second-Hand-Blümchen-Bluse aus dem Schrank gezogen. Als ich kurz darauf vor dem Spiegel stand, da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das bist du, genau so! Zerstreut, ein bisschen wirr vielleicht, aber auf jeden Fall lange nicht so aufgeräumt, wie ich mich manchmal gern hätte. Da war dieser winzige Augenblick, ein Kribbeln im Bauch, weil ich das Gefühl nicht los wurde, wieder komplett zu sein. Die Einsicht, dass man am besten genau so sien sollte, wie man sich am aller wohlsten fühlt. Und alles nur wegen des kleinen goldenen Dingsis am linken Nasenflügel. Vor lauter Arbeit und all der Reizüberflutung hätte ich beinahe vergessen, was mich ausmacht. Ich werde jetzt tun, was ich schon lange nicht mehr getan hab: Malen. Irgendwas. Ich kann nicht gut malen, aber es bringt mir Freude- und das sollte bei allem was man macht die Hauptsache sein.