Als das französische Modeunternehmen Chanel im Jahr 1914 geboren wurde, ahnte noch niemand, dass Gründerin Gabrielle Bonheur Chanel, genannt Coco, die Kleiderwelt schon bald auf den Kopf stellen würde. Ihr Ziel war die Befreiung der Frau, deren Unabhängigkeit von einer maskulin dominierten Gesellschaft. Um ihren Traum von der selbstbestimmten Dame des 20. Jahrhunderts umsetzen zu können, benötigte sie kaum mehr als ein cleveres Köpfchen, ein bisschen Geschick und eine Prise Mut.
Statt aber auf extreme Rebellion zu setzen, leitete La Mademoiselle ihren Siegeszug äußerst galant ein: Sie setzte zwar voll und ganz auf eleganten Chic, bediente sich dabei aber an der Garderobe des Mannes. Uniformknöpfe, Tweed und kragenlose Jäckchen – Chanels Look spielte ganz subtil mit den Geschlechterrollen, war bequem und vor allem eins: robust. Die in Cocos Entwürfen gekleidete Frau war zwar höchst attraktiv (und das sollte sie auch sein, schließlich liebte die Modeschöpferin selbst lockere Verbindungen mit diversen Herren sehr), musste ihren Körper dabei aber nicht unter den Scheffel der Fleischbeschauung stellen.
Von Chanels unabhängigem Image ist in den letzten Jahren, zumindest der allgemeinen Meinung zufolge, nicht sehr viel übrig geblieben. Lange Zeit dachten wir entweder an Tweed-Kostüm-Omis oder -Furien, an Perlenketten, übertrieben vornehme Society Ladies oder die Queen. Karl Lagerfeld, der inzwischen das Ruder im Hause Chanel übernommen hat, scheint dem Label jedoch endlich wieder ein bisschen mehr kessen Wind einhauchen zu wollen – nicht zuletzt die ungewohnt legeren Entwürfe für den Herbst 2012 lassen darauf schließen. Jetzt holt er sich auch noch die gleichsam verhasste und geliebte Alice Dellal mit ins Boot: Das als schnodderiges Anarcho-Model bekannte It-Girl aus wohlhabenden Verhältnissen (Taufpaten: Mario Testino und Mick Jagger) besitzt zwar einige Pericings, Tattoos und rasiert sich gern die Haare ab, scheint aber genau die richtige Wahl gewesen zu sein: Denn zumindest bei uns hat die Kampagne Früchte getragen – Chanel ist eben kein plattes Blingbling-Label, sondern vielmehr ein Brand, das seinen Einfluss zu nutzen weiß. Vielleicht erinnern sich bald wieder mehr Menschen an die Redewendung: „Vornehm geht die Welt zugrunde.“
Bilder via popbee.