Gute und schlechte Musik, Sleepless-Floors und Schaumparties, 24 Stunden Rave, vegane Burger, Blumenkränze und ziemlich viel Konfetti. Für die einen ist das Melt! Festival die sündhafteste aller Hipsterinseln, für andere das ultimative Paradies. Wenn man es schafft, wirklich abzutauchen, das eigene Ego irgendwo in der hinterletzten Ecke zu vergraben und das halb-betonierte Gelände des persönlichen Exzesses als das sieht, was es sein sollte, nämlich als ein Ort, an dem man die Ohren statt den Kopf benutzt, dann ist das Melt! schlichtweg pures Glück. Drei Tage lang, ohne Pause. Wer nicht campt, ist klar im Nachteil, denn der verpasst Regentropfenorchester auf zarten Stoffdächern, Morgentau-Duschen und den idyllischen Ausblick auf wankende Zeltnachbarn.
Für Sarah und mich war es das erste Melt!, weil das Line Up nie attraktiv genug war, weil der Hype schon im Voraus jegliche Neugier zerstörte und die Konkurrenz eben seit jeher groß ist. Ja, sogar das Wacken wurde dem hier vorgezogen, für’s auf dem Boden bleiben und alte Zeiten feiern, die Fusion für psychedelische Traumtänzereien, der Summerjam für’s Herz mit alten Freunden, und so weiter und so fort. Ein großer Fauxpas, denn anscheinend haben wir in den vergangenen Jahren ziemlich viel verpasst. Aus Fehlern lernen, heißt es doch. Ich glaube, das haben wir, und zwar mit Erfolg. Denn auch wenn Bloc Party uns wirklich aus den Ohren raushängen, ist es doch die innere Einstellung, die alles so schön macht. Und das funktioniert nur, wenn man den Alltag vergisst. Dafür tanzen wir auch zu „One more chance“ im Regen- ohne Anti-Nässe-Plastik-Cape. Denn plötzlich lernt man selbst all jene Töne wieder zu lieben, die man schon längst aus dem Gedächtnis geschmissen hatte. Musik ist der Schlüssel zum Hirn-Aufräumen, die beste aller Alltagstherapien. Und live eben doppelt so wirksam.
Kein Festival der Welt kann allerdings echte Endophinschübe erzeugen, wenn man all das Glück bloß mit sich selbst teilt. Happiness is only real when shared – wie unglaublich wahr. An dieser Stelle wollen wir vor allem unseren Zeltnachbarinnen, nämlich Katja und Cloudy von Les Mads, unsere echte aufrichtige Liebe gestehen. Ohne euch wäre das Melt! nur halb so beschwippst gewesen und nicht annähernd so voll gestopft mit schöne Mädchenmomenten. Die sind schließlich auch irgendwie überlebenswichtig, genau wie Abzieh-Tattoos und Glitzergel, die Spasti-Accessoires der Festival-Saison, die wir am Ende dann doch noch voller Stolz trugen. Matze und Pierre, ihr gehört ebenfalls zu unseren Glücksboten. Wir klappen uns noch immer ab und an die Oberlippen nach innen und schwelgen in Campingplatz-Hochzeitserinnerungen.
Ziemliches Glück hatten wir übrigens beim Zeltaufbau, denn ungeschickt wie wir sind, griffen wir in weiser Voraussicht zu einem von uns bisweilen ziemlich verkannten Werbegeschenk aus dem Hause Palladium. Das Zwei-Sekunden-Pop-Up-Zelt poppt nämlich tatsächlich binnen zwei Sekunden auf, das sollte an dieser Stelle durchaus ganz ungeniert angepriesen werden. Und hier begannen quasi auch schon unsere Flitterwochen, oder eher: -Tage. Kaum zu glauben, dass das Melt! nach 14 Freundschaftsjahren tatsächlich das erste Festival war, auf dem wir gemeinsam tanzten. Mein Herz hüpft noch immer, geliebte Sarah-Jane.
Es gibt ja zwei Sorten von Festivalgängern. Die, die man als „die Waschechten“ bezeichnet, und die, die von ersteren gerne als „unwürdig“ bezeichnet werden. Ganz ehrlich, wenn man es genau nimmt, dann könnte man uns diesmal der zweiten Kategorie zuordnen, denn nein, wir haben uns nicht ein einziges Mal zehn Bands in Folge angeschaut. Weil wir einfach zu träge waren. Und zwischendurch auch gern Eis essen oder uns beim Rave das Gehirn aus den Köpfen stampfen. Vor allem der Sleepless Rave bietet sich als Erste-Sahne-Alternative zu den Konzert-Stages an, falls die dort spielende Band nicht in eigenen Musikkosmos passen mag. Ebenso die Big Wheel Stage, auf der uns Nina Kravitz besonders beflügelte.
Freitag: The Raveonettes, dann The Rapture, dicht gefolgt von M83. Alles gut, nichts zu meckern, aber dann kam Caribou. Es ist schlichtweg egal, wie oft man sich dem Kanadier Daniel Victor Snaith und seiner Musik schon in diversen Kellern angenommen hat, das hier, das glich einer Explosion aus Fortpflanzungshormonen und bewusstseinserweiternden Synapsenverschiebungen.
Diese Klänge machen dir bewusst, wie winzig klein du im Vergleich zum Universum bist und gleichzeitig katalpultieren sie dich in Sphären, die sich fernab vom weltlichen Beschränkungen zwischen Himmel und Erde befinden. Das ist keine Musik, das ist Kunst, dachte ich. Stimmt aber nicht, schließlich kann Musik durchaus Kunst sein, wenn man ganz pathetisch herum philosophiert. Boy, Peter Licht und Dillon verpassten wir dementsprechend. Und dann setzte der Regen ein. Uni-Zeiten mit Bloc-Party aufleben lassen und Wasser in Pfützen zum Vibrieren bringen, noch ein letzter Tanzschritt zu Techno-Beats und wir verkrümelten uns samt Knicklicht im Zelt. Regentropfen als Wiegenlied, das ist Glück.
Der Samstag begann mit Vergnügen. Matze und Pierre luden zur Bootsfahrt samt ordentlicher Schnittchen und Rotkäppchen-Dusche zum Electronic-Beats-Freunde-Schaukeln. Eine wahre Freude war das, denn so romantisch kamen wir noch nie zusammen. Der fleißige Kapitän, den wir an dieser Stelle einfach „Bär“ taufen, hatte es nebenbei bemerkt nämlich nicht nur in den Armen, sondern auch im Kopf und so kamen wir ganz unverhofft in den Genuss einer unerwartet kulturellen Befriedigung.
Fürst Sowieso hat am Ufer nämlich ziemlich viele hübsche Bauten errichten lassen, die massenhaft Stoff für Geschichten liefern, bis heute. (Das konnte man vor allem an den sympathischen Senioren-Grüppchen sehen, die sich ihren Weg am Ufer entlang bahnten, ja, hier kann man Urlaub machen, gerade für uns junge Leute ist so ein bisschen Realität doch der Hit!) Mit dabei waren unter anderem iheartberlin.de und shambo.de. Balsam für die Seele, nach so viel Krawall.
Das hier, das ist der beste Eiswagen der Welt, aufgestellt von Electronic Beats, gefüllt von besagten Super-Mit-Vergnügen-Jungens. Ich sage nur „Mohneis mit Waffel und Lillifee-Topping“.
Musikalisch begann der Samstag mit Blood Red Shoes, Caspar wollten wir mal gesehen haben, dann ergriffen wir nach 10 Minuten aber doch die Flucht. Two Door Cinema Club entschädigten Teilweise, Thees Uhlmann und Superpunk spielten parallel zu Gossip, die mit Riesen-Tampon auf der Bühne kuschelte und von uns nur wenig Beachtung befand, aber dann knallten Modeselektor alles raus, was glücklich macht.
Mein Highlight präsentierte sich mir allerdings erst zu späteren Stunde: JAQUES LU CONT, morgens um 4.00. Eine Offenbarung. Klänge, Bass und Vibes, bei denen man so feste auf den Boden stampfen will, dass man am anderen Ende der Welt wieder heraus kommt. Ich rede von diesem „nach-unten-statt-nach-oben-tanzen“, von dem Gefühl, mit aller Kraft in den weichen Boden tauchen zu können, um im nächsten Moment alle Energie für den Auftrieb aufzuwenden. Bald kommt das neue Album raus, ratet, wer es augenblicklich kaufen wird, auf legalem Weg. Jajaja, tut es. Danke, Isa, für’s mit-durchdrehen.
Mademoiselle Leni, es war uns ebenso eine Ehre!
Sonntag, letzter Tag. Mit vielen vegetarischen Cheeseburgern (ich glaube, die haben tatsächlich nach Fleisch geschmeckt und deshalb weiß ich nicht, ob ich verwirrt sein soll oder nicht, denn sie waren gut!), etlichen Abstechern beim Sleepless-Rave samt Schaumparty und viel Zeit am Eiswagen in der von vielen so verhassten VIP-Area, mit Freunden. Außerdem Lana del Rey, die in meinen Augen ganz und gar nicht Festival-tauglich ist (obwohl ich ihre Musik in den eigenen Wänden überaus zu schätzen weiß, „Kiss me hard before you go“ ist einfach wahr). Der Abschluss mit „National Anthem“ brachte dann aber doch ein wenig Gänsehaut und Glückseligkeit ebenso. Keine verpasste Zeit also, einfach ein gemütliches Schunkeln.
Nina Kravitz lieferte das Kontrastprogramm. Diese Frau ist episch, auch wenn man dieses Wort ja eigentlich nicht benutzen darf. Ich weiß nicht, wie sie es anstellt, aber aus ihren Händen fließt audiovisuelles Konfetti. Es tut einem fast das Gesicht weh beim Tanzen, weil man die Mundwinkel nicht mehr runter bekommt, man will jauchzen als hätte man gerade ein Pony geschenkt bekommen. Oh ja.
Blöderweise spielten Gesaffelstein zeitgleich mit The Whitest Boy Alive, A oder B, die Entscheidung fiel trotzdem nicht schwer. Denn Marcin, Sebastian, Daniel und Erlend pumpen uns mit ihrer Musik so viele Endorphine in die Blutbahn, dass wir manchmal Angst haben zu explodieren. Die Texte rutschen nach der ersten Silbe vom Ohr ins Herz, während Bassline, Schlagzeug und Croma-Sound ziemlich schnell in die Füße fließen und jeglichen körperlichen Stillstand zur Unmöglichkeit degradieren. Das Seltsame an der Musik der Vier ist ja, dass wir selbst entscheiden können, was wir daraus machen. Heulen könnten wir so oder so, jedes Mal. Vor klangtechnischem Glück oder wortgewandter Tragik, je nachdem.
Komisch ist auch, was während der Konzerte mit dem Publikum passiert. Jungs vergessen jeden kernigen Stolz, starren mit offenem Mund auf die Bühne und klatschen mit ihren großen Händen so laut, als wollten sie The Whitest Boy Alive mit ihren selbsterzeugte Audio-Wellen auf der Bühne knebeln; damit bloß niemand gehen kann, damit das Konzert niemals aufhört. Rein instrumentale Klangtstrecken geben außerdem Raum für Zuhörer-Kreativität: Das endet dann wahlweise in Gummiboot-Fahrten über tausenden von Köpfen oder bunten Polonaisen. Und die Mädchen sind ohnehin im Minutentakt kurz davor, sich ihre Herzen aus der Brust zu reißen, um sie im hohen Bogen auf die Bühne zu werfen. Wir zugegebener Weise auch.
Der digitale Sound von Justice war das Letzte, was wir hörten. Und dann war alles genau so schnell vorbei wie es gekommen war – wäre da nicht die Flasche Rotkäppchen gewesen, die unsere Nachbarn unachtsam auf ihrem Campingtisch hatten stehen lassen. Chinchin, Sarah-Jane.
Tausend Dank, liebes Frontline-Shop-Team, für diese wunderbaren drei Tage beim Melt!. Wenn wir dürfen, kommen wir wieder. Wenn nicht, auch.
Für’s Freude-mit-uns-teilen danken wir außerdem Haelan, Jenne Grabovski, Nadja, Mau, Sarah, Cailin und DENA.