Als ich klein war, da sagte meine Oma gerne: „Ach, Nikchen, du kannst dich glücklich schätzen, wenn du später mal nicht allzu hübsch wirst und auch nicht sehr erfolgreich. Das macht es nämlich nicht einfacher.“ In meinem Kopf kollidierten sämtliche Züge noch bevor sie überhaupt den Bahnhof erreichen konnten. Meine Mutter fand: „Wenn du eine Handvoll guter Freunde hast, dann bist du schon ziemlich reich“. Das verstand ich mindestes genau so wenig. Ich hatte doch 50 Freunde. Oder 60. Oder noch mehr. Über all das dachte ich schließlich nie wieder nach. Ich fand mich niemals allzu hübsch, dachte immer, ich könne noch viel erfolgreicher sein und habe, seit ich denken kann, die besten Freunde, die man sich wünschen kann. Menschen, die mich erden und lieben, obwohl die meisten von ihnen nicht verstehen, was ich hier überhaupt treibe. „Irgendwas mit Mode und dem Internet eben.“ Und ich würde sagen, es sind durchaus mehr als fünf.
Dann traf ich Lena wieder. Lena ist so alt wie ich, bildschön und sehr, sehr erfolgreich. Nach der Rechnung meiner Oma dürfte sie also ein ziemlich einsames Leben führen. „Wie geht es dir?“, frage ich. „Gut, gut. Wenn Frauen nur nicht solche Biester wären.“
Lena legte mit ihrem Satz einen Schalter in meinem Hirn um, den ich mich niemals getraut hatte, anzufassen. Sie sprach aus, was ich mich bisher nur bei einer Zigarette und Rotwein zu denken wagte. Nur ein einziges Mal faselte ich etwas wie „Naja, es ist kein Wunder, dass so viele Männer Chefs sind. Die denken sowieso, sie seien die besten Hengste im Stall und stellen sich super Teams zusammen, um das Projekt voran zu treiben. Sie haben keine Angst um ihre Position. Frauen nehmen tendenziell die Bewerberin, die ein bisschen weniger talentiert ist – aus Angst vor Konkurrenz.“
Das ist natürlich keine Regel, aber ein durchaus existentes Problem. „Was ist denn passiert?“, frage ich Lena nach dem zweiten Glas Prickel-Schorle mit Pfiff. „Ich bin traurig“, sagt sie.
Nach weiteren drei Stunden muss ich mir eingestehen, dass ich weiß, wovon sie spricht. Dass überhaupt nicht alles so rosarot ist wie ich mir einzureden pflege. Verlorene Freundinnen in den vergangenen zwölf Monaten: Zwei. Geflossene Tränen: Null. Weil der Mensch zum Mauernbauen neigt. Ich auch.
Natürlich verfolge ich die Kommentare auf meinem eigenen Blog. Die meisten sind lieb, aufrichtig oder geprägt von konstruktiver Kritik. Ich mag das. Was ich nicht mag: Gemeinheiten, die ich nicht auseinander klamüseln kann, Seitenhiebe, für die ich keine logische Erklärung finde. Oft finde ich dann Antworten anderer Leser, die für uns in die Bresche springen: „Ihr seid doch bloß neidisch.“ Es wäre gelogen, würde ich nun behaupten, noch nie selbiges getippt und wieder gelöscht zu haben. Aber sowas darf man nicht denken, so etwas zeugt vom berühmt berüchtigten Höhenflug. Und ich bin wahrlich kein Fan vom verschwindenden Boden unter den Füßen und schon gar nicht von schwammigen Erklärungen. Ich finde, man macht es sich mit dem Verweis auf „Neidhammel“ ziemlich einfach.
Bin ich nicht selbst Schuld daran, wenn ich mich im Internet auf eine Art und Weise präsentiere, die manch einem schlichtweg missfällt? Wohlwissend, dass ich niemals die Chance auf einen Kaffee mit den sogenannten „Trollen“ haben werde, um ihnen zeigen zu können, dass mit mir gut Kirschen essen ist und dass meine Berufsbezeichnung und mein arbeitsbedingter Fokus auf Mode keinesfalls auf eine chronischen Gehirnamputation meinerseits schließen lässt? Klar. Deshalb ist Jammern auch nicht erlaubt. Aber was ist mit dem echten, wahren Leben? Mit den realen Menschen, die mir in die Augen sehen und glühen vor unterschwelliger Aggression?
Die machen mich traurig. Lena sagt: „Das Schlimme ist ja, dass du nichts richtig machen kannst. Es ist egal, was du sagst – am Ende kommt genau das dabei heraus, was es dieses Leuten erlaubt Spiritus in die Flamme ihres Gräuels zu kippen.“ „Bist du böse auf sie?“, frage ich. „Manchmal. Aber ich weiß, dass mich nicht jeder mögen kann. Ich weiß, dass ich vieles falsch mache und wenn man mir sagt, was schief gelaufen ist, dann kann ich mich entschuldigen. Aber manchmal ist es nicht so einfach. Ich finde dann einfach nichts, für das ich mich entschuldigen könnte. Und dann weiß ich, dass ich keine Schuld an der Leere zwischen uns habe. Genau so wenig wie mein Gegenüber.“
Lena wischt sich am Ende doch noch eine kleine Träne von der Wange. Weil nichts so schlimm ist wie machtlos zu sein gegen den Lauf der Dinge. „Und dann weiß ich, dass ich keine Schuld an der Leere zwischen uns habe. Genau so wenig wie mein Gegenüber.“ Vielleicht ist das ja die Antwort. Freunde können sich auseinander leben, so etwas passiert schließlich auch mit Beziehungen. Aber darf ich deswegen sauer sein? Vielleicht fällt es tatsächlich schwer, sich für jemanden zu freuen, wenn man selbst etwas unglücklich ist. Noch schwerer wird es, wenn zwei Welten aufeinander prallen. Wenn du nicht bemerkst, dass dein Leben von Außen betrachtet ganz anders wirkt, als es ist.
Bisher war ich gut darin, Dinge zu überhören. „Und, wie ist dein prominentes Leben in Berlin?“. Ich lache nur, aber spüre, dass das nicht nett gemeint war, obwohl man mir das schönste Lächeln zeigt. Und weil ich müde werde, zu erklären, dass diese Gästelisten-Veranstaltungen zu meinem Job gehören, dass ich auch lieber Bier am Späti trinken würde, dass diese „tollen Internetmenschen“, mit denen ich letztens auf der Straße stand, meine Freunde sind, keine dämlichen Hipster, sondern Herzmenschen. Dass ich mir die neuen Schuhe nur deshalb leisten kann, weil ich drei Jobs parallel mache. Und darum bleibt das miese Gefühl dann ganz einfach in der Luft stehen.
„Ich war letzte Woche mit A. feiern, den kennst du bestimmt, der ist total toll, und dann sind wir noch zu einem geheimen Konzert und später plus 1 auf der After Show Party.“ Ich merke, dass die Freundin, die mir das erzählt, all das nicht sagt, um mir von einer guten Zeit zu berichten. Ich merke, dass sie das tut, weil sie denkt, sie müsse mithalten. Ich sage trotzdem „schön“. Weil ich bisher gut darin war, Dinge zu überhören. Weil ich wie eine Mutti reagiere, die so tut, als wisse sie nicht, was Dope ist. Damit der Haussegen nicht schief hängt und die Illusion der heilen Welt weiter existieren kann.
Und dann kommt der Punkt, an dem du aufgibst. An dem du merkst, dass es kein Zurück mehr gibt. An dem du dir eingestehen musst, dass alles seine Zeit hat. Du verschweigst Erfolge und buhlst um die Liebe der Freundin, die längst eine Freindin ist. Tust alles, damit sie wieder sieht, wer du bist, statt ausschließlich das, was du tagsüber machst. Mauerbauen. Aber irgendwann stützt alles ein. Denn es gibt keine Lösung für all das. Du kannst niemanden fragen, ob er ein Problem mit deinem Erfolg habe, außer du willst, dass aus Missgunst Hass wird. Lena sagt: „Ich verstehe jetzt, was deine Oma meint. Wenn du Mittelmaß bist, musst du dich für nichts rechtfertigen. Wieso wundert man sich überhaupt noch darüber, dass man entweder Freunde hat, die auf Augenhöhe stehen, oder eben Freunde, die ganz andere Ziele im Leben verfolgen? Ist das die natürliche Selektion, der ganz normale Schwund von Beziehungen, von dem unsere Eltern sooft reden?“ „Vielleicht“, sage ich. Ich zünde mir eine Zigarette an und denke: Das ist jetzt wie die Kippe nach dem One-Night-Stand. Noch ein Zug und dann ist alles vorbei. Denn irgendwann muss man loslassen.