Worüber die Modewelt streitet: Terry Richardson – harmloser Freak oder übler Perversling?

01.11.2013 Allgemein, box2

terry-richardsonSollte jemals jemand versucht haben, Terry Richardsons Arbeiten aus dem Weg zu gehen, so wird dieser jemand höchstwahrscheinlich kläglich an seiner eigenen Mission gescheitert sein. Der Star- und Skandalfotograf wird von allen großen Magazinen gebucht, für gigantische Kampagnen, waghalsige Editorials und intime Portraits; Models, Musiker und Möchtergerns schmücken sich beinahe täglich mit „Onkel Terrys“ Gesellschaft, füttern Instagram und Twitter mit Beweisaufnahmen. Von Eisblock Anna Wintour gibt’s sogar ein lässiges High Five zur Begrüßung – Dabei gilt der softpornöse oder mindestens hocherotische, meist über-sexualisierte Stil des Amerikaners seit jeher als umstritten. „(…) Terry Richardson is less fashion chic and more pornographer-in-chief“, schreibt Caroline Davis

Bisher haben die meisten von uns trotzdem brav mit dem Kopf genickt oder verbalen Applaus verschleudert, sobald Mister Richardson wieder einen ganz besonders dicken Fisch, ergo Prominenten, vor die Linse bekommen hat. Ist ja schließlich Kunst, das was der brillengesichtige Mann mit den bekanntesten Daumen der Welt dort treibt. Allerdings ist der Penis, der da an diesem populären Mann noch mit dran hängt, mindestens genau so berühmt.

Dass Richardson gerne auf Gesichter ejakuliert und mit seinem überdimensionierten Prengel prahlt, klingt inzwischen wie ein reiner Routine-Satz. Das weiß so gut wie jeder und lässt sich auf www.theoldterry.tumblr.com hervorragend nachvollziehen. Auch des Herrn Richardsons Schwäche für Models, mit denen er nach Shootings häufig höchst vergnügt dem Akt des Beischlafs fröhnt, ist allgemein bekannt.

„I don’t think I’m a sex addict, but I do have issues,“ erklärte Terry schon häufig in Interviews,  „maybe it’s the psychological thing that I was a shy kid, and now I’m this powerful guy with his boner, dominating all these girls“. 

Bis hierher scheint die Welt noch halbwegs in Ordnung. Freigeister freuen sich im Zweifel sogar für den in die Jahre gekommenen Freak, darüber, dass er dank seiner Position noch immer ein solch illustres Sexualleben vorzuweisen hat. Auf der anderen Seite formiert sich allerdings eine Front, die im Angesicht der Mischung aus Hype und immer neuen Skandalen jeden Glauben an die geistige Zurechnungsfähigkeit seiner Schäfchen verliert.

Denn sucht man online nach „Terry Richardson“ und „Rape“, spuckt Google 247.000 Treffer aus. Anschuldigungen aufgrund sexueller Nötigung hängen seit langem in der Luft, handfeste Beweise sucht man allerdings vergeblich. Richardson zieht sich während seiner Shootings zwar gerne aus, „um die Models locker zu machen“, wie er behauptet, alles was danach geschehe, liefe jedoch auf freiwilliger Basis ab. Niemand werde zum Sex gezwungen. Und genau hier wären wir in der Grauzone gelandet, die dem Fotografen bisher wohl den Allerwertesten rettete. Denn wo verläuft überhaupt die Grenze zwischen Zwang um freiem Willen? 

„They are too afraid to say no because their agency booked them on the job and are too young to stand up for themselves. What you do is completely degrading to women. I hope you know you only fuck girls because you have a camera, lots of fashion contacts and get your pictures in Vogue,“, konterte Topmodel Rie Rasmussen und wurde dafür ironischer Weise noch im selben Augenblick von ihrer Agentur zurechtgewiesen.

Jamie Peck ist eine der Wenigen, die ihre Erfahrungen öffentlich machten: „Ich sollte nach dem Shoot mit ihm rumspielen und ihn Onkel Terry nennen (…), und seinen terrifying penis anfassen“, schreibt das Model auf ihrem Blog thegloss.com. Und weiter: „“Before I could say ‚whoa, whoa, whoa!‘ dude was wearing only his tattoos and waggling the biggest dick I’d ever seen dangerously close to my unclothed person (granted, I hadn’t seen very many yet).“

Autorin Jenna Sauers hingegen sammelte bereits 2010 allerhand Zeugenberichte, die den harmlosen Onkel Terry als ziemlich perversen Onkel dastehen lassen. Aber auch hier will so gut wie niemand namentlich erwähnt werden. Zu groß ist der Einfluss des Fotografen und die Angst der Mädchen.

Und trotzdem gibt es eine, die das ganze Spiel nun beenden will: Die die englische Designerin Alice Ehrenfried fordert in einer aktuellen Petition auf change.org: „Vogue, H&M, Mango, Supreme und alle anderen Marken: Hört endlich auf, den mutmaßlichen Sexualstraftäter Terry Richardson als Fotografen zu buchen. Wer das tut, billigt sein Verhalten.“ 

In einem Interview mit Miriam Amro von stylemafiadaily.com erklärt sie, weshalb:

„I believe that potential sexual predators should not be glorified in the fashion industry, and that appropriate justice should be achieved for those involved. Secondly, my motivation is that I am a woman. These degrading pictures, especially those found on The Old Terry Tumblr, represent me as a person. I don’t want a man or even another woman to look at these pictures, notably the picture of the model in a trash can fellating Richardson, and think, this is okay. Those pictures normalise the degradation of women.“

Freunde bleiben allerdings Freunde. Nicht nur Chloe Sevigny hält eisern zu Terry, auch Model Charlotte Free äußerte sich auf ihrem Tumblr wie folgt:

„I love terry’s raw sexuality, it’s one of the things i really admire about him. Terry likes to do sexy stuff, that’s his shit. If you don’t wanna be part of it, make it clear in the beginning. Don’t willingly blow the man and get all mad and ashamed later…I hate when girls say ‘but he asked me to.’ you should have said no then, stupid bitch! there’s plenty of other girls waiting in line, so he’s not forcing you to do shit. When you make a choice you have to live with it — unless someone got you fucked up against your will. Thats how I feel about it.“

Diese doch etwas provokante Äußerung wurde allerdings sehr schnell wieder entfernt. 

Ich könnte jetzt einen Essay über meine eigenen Beweggründe für diesen Artikel verfassen, darüber schwadronieren, weshalb das von Terry Richardson propagierte Frauenbild mich zur Weißglut treibt oder weshalb die Modebranche ein bisschen mehr nachdenken statt konsumieren sollte. Aber ich muss euch nach all dem Gesagten sicher kein zweites Mal erklären, dass mein Gehirn sich gerade verknotet und vor Wut beinahe droht, seitlich aus den Ohren heraus zu kriechen, um diesen Schelm höchst persönlich zu kastrieren. „Im Zweifel unschuldig“, sagt man zwar, aber dieser Typ gehört gestoppt. Als Mensch uns als Frau bleibt mir kaum ein anderes Urteil übrig als jenes:

„This guy is the worst, this is so disgusting and wrong, him and Anna Wintour should close themselves somewhere and do porn sessions til they drop, makes me so sad & angry everytime i think about this frontrowing asslicking game and that people are playing it!!!! i mean, yeah, you can always say „It’s not your or our problem“, but it is! this dude is really the total figure in the showbiz defining so much of the popculture visualization nowadays and shit is just so fucked up. Word Annie Strand, „Girls, just say NO!“! That is the first thing one should do. Like, I mean, duh.“

Auch für sowas hat man schließlich Freunde. Damit sie einem aus der Seele sprechen und vor einem weiteren ausufernden Schlusswort bewahren. Danke, Denitza.

15 Kommentare

  1. Jette

    Ein sehr guter Artikel. ( Ein kurzer Kommentar, aber ich denke du hast alles Wichtige zu dem Thema bereits gesagt.)

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  2. Anne

    Mir gefällt die Richtung, in die es hier in letzter Zeit geht, sehr, liebe Nike. Genderstrukturen sind noch immer gesellschaftlich manifestiert und bestimmen maßgeblich die Realität in der wir leben … Dass eine Frau da zu einer anderen Frau öffentlich „stupid bitch“ sagt, bestätigt den riesigen Haufen an „brainwash“ dem wir täglich ausgesetzt sind. Es gibt einen sehr eindeutigen Unterschied zwischen sexueller Offenheit, die ich sehr begrüße, und der systematischen Degradierung (und Belästigung) von Frauen, die alle Mr. Richardsons und Mr. Thickes da draußen praktizieren – und alle klatschen Beifall.. und das im Jahre 2013. Gut dass ihr diese Themen aufgreift, ich bin jeden Tag mehr von eurer Qualität überzeugt, und man sieht ja auch mehr als eindeutig dass die Journelles und Co. versuchen, auf den Zug aufzuspringen.

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    1. Pia

      genau diese gedanken schossen mir auch durch den kopf: BRAVO JANES!
      fuer den mut, stellung zu beziehen, auch kontroverse themen zu behandeln,
      auf missstaende aufmerksam zu machen und zum denken anzuregen/diskussionen zu triggern.

      ich sehe mit gruseln, wie frauen und maedchen sich heutzutage immer mehr von solchen kritischen gedanken abwenden, weil feminismus und emanzipation so negativ belegt sind. es ist einfach nicht fresh und easy, degradierende terry richardson pics, american apparal werbung oder ein robin thicke/pharrel video kritisch zu hinterfragen….oder sich ueberhaupt mit (genderspezifischen) problemen auseinanderzusetzen.

      in vielen faellen ist der leidensdruck einfach nicht mehr gross genug: im gegensatz zu den generationen unserer (gross-)muetter fuehlen wir uns ja schon gleichberechtigt und haben einfach keinen bock mehr, staendig daran weiterzuarbeiten. im gegenteil wird vorreiterinnen in frauenfragen sogar oft vorgeworfen, die nicht mehr vorhandenen gender-gefaelle (durch maennerhass) zu verschlimmern. wtf?
      dass es sehrwohl noch viele baustellen in genderstrukturen gibt, sieht ein aufmerksamer mensch an jeder ecke, WENN man sich halt nicht von dem brainwash tool no. 1 verarschen laesst:
      der hier angesprochenen richardson hypenden pop/fashion medien-maschinerie, die die grenzen zwischen sexueller offenheit und degradierung echt stark verschwimmen laesst (nach dem motto: du bist dochn cooles chick, stell dich mal nicht so an).

      ich ziehe meinen hut davor, wie ihr es als bloggerinnen schafft, den spagat zwischen dieser hedonistischen (medien)-welt und euren eigenen kritischen gedanken zu machen und auch noch laessig aussehen zu lassen.
      auch wenn ich nicht immer 100% eurer meinung bin, bewundere ich diese authenzitaet sehr; und eure bereitschaft, sich durch kantige meinungen angreifbar zu machen.

      dass durch solche vorreiter-blogs wie eure jane ein funken ueberspringt, der in der (eher eskapistisch orientierten) blogosphaere denken wieder chic macht, sehe ich auch, und das ist TOLL!

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      1. Lisa

        Reihe mich in die Meinung der vorigen Kommentare ein. Phänomene wie dieses müssen hinterfragt werden und nicht einfach als gegeben hingenommen werden. Wenn ich mir Frees Meinung anschaue, wünsche ich mir, dass immer mehr Menschen ihren Kopf einschalten, anfangen über solche Problematiken zu diskutieren. Ihr macht das super!

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  3. Sarah

    Liebe Nike, vielen Dank für diesen Text. Ich habe schon lange ein ziemlich ambivalentes Verhältnis zu Terry. Alles was du oben schreibst, finde ich genauso unglaublich zum kotzen. Dieses übersexualisierte Frauenbild das er produziert ist gänzlich unter aller Sau. Und trotzdem denke ich manchmal: „Irgendwie ist der doch ne coole Socke. Ey, der verarscht doch die ganze Branche nach Strich und Faden und die sind zu doof das zu kapieren.“
    Wie dem auch sei, es wird höchste Zeit dass ihn mal jemand stoppt.

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  4. Stefanie

    Ich bin jedes Mal froh wenn sich Industry-Insider öffentlich von Richardson distanzieren aber er scheint tatsächlich unangreifbar geworden zu sein (*hust*Jimmy Saville*hust*). Es geht auch gar nicht so sehr um seine Obsession mit Sexualität (sieht man besser und klüger z.B. bei Nan Goldin oder auch Jürgen Teller), sondern um die reine Masse an Zeugenaussagen und seinen eigenen verstörenden Zitaten. Noch dazu machen sich diverse Celebrities offensichtlich sein Bad Boy-Image zu nutze, wenn sie sich pseudo-provokant von ihm in Szene setzen lassen. Ich bin überzeugt davon, dass eine Charlotte Free und ganz besonders z.B. eine Miley Cyrus einen anderen Richardson kennenlernen als ein noch unbekanntes minderjähriges Model aus Osteuropa.

    Nichtsdestotrotz sind es bisher nur Gerüchte und Mobs sind niemals eine gute Sache. Das grundsätzliche Problem scheint mir vor allem die schlechte Position und der fehlende Schutz von Fotomodellen allgemein zu sein.

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  5. Mia

    Und was ist dann mit den anderen aus seinem Duntkreis, die sich nicht anders aufführen? Olivier Zahm und Konsorten? Die sind ja ganz dicke mit der Vogue Paris, Carine Roitfeld und dementsprechend überall in den Modekonzernen.

    Ich finde es widerlich wieviele Typen in der Modebranche dazu stehen sexistisch zu sein und damit auch noch Kohle machen. Man braucht sich aber auch nur Juroren von GNTM mit ihren zweideutigen Witzchen ansehen, wenn sie dann noch eine 15jährige anflirten oder meinen „sei doch mal sexy! zeig mir was du drauf hast! mach mich an!“. Was passiert wenn die TV-Kamera aus ist?

    Bezüglich Richardson: Es wird schon seinen Grund haben warum auch Coco Rocha erst vor ein paar Monaten gesagt hat, dass sie nie wieder mit ihm arbeiten wird. Sie kann es sich aber auch als eine der wenigen leisten, soetwas öffentlich kund zu tun und sich auszusuchen mit wem sie arbeitet. Das Privileg haben nicht viele in einem Biz, das sofort das nächste Model im Vorzimmer hat, die alles macht, was man ihr sagt.

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  6. Sandra

    Applaus, Applaus! Weiter so. Ihr seid so eine Erfrischung in der inzwischen „gleichgeschaltet“ und gefallsüchtig anmutenden Blogosphäre und ich freue mich immer wieder so doll, wie ihr hier ambivalente Positionen bezieht. Ich lese besonders gern eure längeren Texte. Denn ich brauche mir nicht am laufenden Bande gesponsorte Tagesoutfits anzugucken! Aber auch die wirken bei euch erfrischend im Vergleich zu anderen Blogs, denn bei euch wirkt das Ganze noch authentisch und im eigenen Look interpretiert – von daher sind die Bilder inspirierend!. Auch fein, wie ihr euch angesichts bestimmter „Werbekampagnen“ selbstironisch reflektiert. Top!

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  7. Nicole

    Guter Artikel und ich schließ mich der Meinung komplett an! Ich frag mich schon eine ganze Weile, warum Terry Richardson eine solche Frau wie Audrey Gelman, politische Sprecherin eines US-Demokraten, an seiner Seite hat und – was mich tausend Mal mehr überrascht – warum sich ausgerechnet Gloria Steinem mit ihm fotografieren lässt! Manchmal versteh ich die AmerikanerInnen einfach nicht…

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