Um eines Vorweg zu nehmen: Dieser Sweater wird die Modebranche sehr wahrscheinlich nicht ändern. Er wird Produktionsbedingungen nicht von Grund auf verbessern, noch unser aller Konsumverhalten radikal um 180 Grad drehen. Dieser Sweater schafft Diskussionen, unendlich lange Pro und Contra Listen und trägt zum Umdenken bei. Er schafft das, was in der Mode eher selten funktioniert. Woran sich meist kaum einer heran traut. Bobby Kolades Sweater in Zusammenarbeit mit dem Künstler Manu Washaus verbindet Mode mit Kunst, Mode mit einer politischen Aussage und Mode mit ethischen Ansprüchen – ist Mahnmal und plakativer Denkanstoß zugleich.
Nach anfänglichen Zweifeln der Tragbarkeit, der Skepsis, wie viel Selbstdarstellung ich dem Träger zusprechen würde und der Frage nach Bobby Kolades Position als „Gutmensch“, gibt’s für mich nur ein Ergebnis: Trittbrettfahrer dringend erwünscht – denn zu kaufen gibt’s dieses Kunstwerk erst gar nicht. Mode ist ein Spiegel unserer Zeit und dieses Sweatshirt ein Aufruf zum Handeln – das durchaus getragen werden sollte.
Zur Erinnerung: Im April diesen Jahres passierte das, was passieren musste: In Bangladesh, genauer gesagt im Rana Plaza Gebäude in Dhaka, stürzte eine Fabrik ein und riss an jenem Tag weit über 1000 Menschen in den Tod. Näherinnen und Arbeiter, die dort für unsere Kleidung zu Niedrigstlöhnen und unter widrigen Umständen bis zu 14 Stunden am Tag arbeiteten, starben in den Trümmer der eingestürzten Fabrik. Was dann passierte ist bekannt: die Bilder schockierten, es wurde wild mit dem Finger in die Runde gezeigt und ein paar Billigketten als Buh-Männer auserkoren. Eines aber ist seither anders als nach anderen Katastrophen: Statt die Unanehmlichkeit unter den Teppich zu kehren, ist die Diskussion um Nachhaltigkeit, um verbesserte Arbeitsbedingungen und die Mündigkeit der Konsumenten stärker denn je. Zumindest in ein paar Köpfen.
Nun will der Jungdesigner Bobby Kolade, der im Juni den ersten Preis im Design-Wettbewerb „Start your Fashion Business“ absahnte, dass das auch erst so bleibt. Fünf Sweater zieren plakativ eine Katastrophe, die heute und morgen genauso wieder passieren könnte und verhindert werden muss – durch Sensibilität, durch mehr Druck auf die Firmen und die Politik und durch eine nicht mehr verschwindende Diskussion.
Sein „Sweater – Study of the Impossible” zeigt in Kooperation mit dem Künstler Manu Washaus genau die Bilder der Katastrophe kurz nach Einsturz der Fabrik – so wie wir sie kennen, geschönt, wie wir sie gerade noch ertragen. Ein Kleidungsstück wird zum Spiegel seiner selbst – ein für uns alltägliches Anziehteil (eines von mindestens 10 im Schrank), zeigt das furchtbare Resultat eines Alltags in Bangladesh. Um das Ganze auf die Spitze zu treiben, ließen Kolade und Washaus in China produzieren – dort wo ebenso andere Alltagsgegenstände von uns produziert werden. Damit weiten die zwei Künstler ihre Botschaft ganz selbstverständlich auf unsere anderen Lebensbereiche aus. Denn diese Katastrophe passiert längst nicht nur in der Modebranche
„Produced in Shenzhen, Guangdong, they originate from the same production metropolis where iPhones, laptops, toys, oil-painted reproductions, and many of the other goods we use on a daily basis are fabricated.“ Manu Washaus
Provokativ, künstlerisch frei und plakativ – die beiden jungen Talente erfinden mit dem Sweater vielleicht nichts komplett Neues, es nimmt ihrer Aktion trotzdem nicht die Berechtigung. Mehr davon, wäre durchaus wünschenswert.
Es ist ein Mahnmal, eine Liaison zwischen Kunst und Mode und ein Weckruf – und lässt uns stundenlang diskutieren. Ob der Sweater irgendwann verkauft wird? Keine Ahnung. Ob ich diesen Print tragen möchte? Ich weiß es nicht. Ob das nötig ist? Nicht unbedingt. Bobby Kolade hat aus einer Art Ohnmacht für den Sommer 2014 keine Kollektion entworfen, sondern nur diese Sweater-Serie mit jenen Fotoprints der Katastrophe. Er setzt ein Zeichen, dem wir folgen sollten. Er sensibilisiert mit unschönen Realitäten. Und er knipst den Kopf erneut an – mit klugen Taten auf so banale Art und Weise.
Eines dürfen wir nicht vergessen: Der Austausch darüber ist ein erstes Zeichen und die Erinnerung an diese Realität soll es sich in unserem Unterbewusstsein ganz gemütlich machen – um zukünftige Kaufentscheidungen grundsätzlich zu verändern, um sensibler zu agieren. Wir dürfen nur bei all der Plapperei das Handeln nicht vergessen – denn darauf wird es schlussendlich ankommen, nicht wahr?
Fotos: Konstantin Laschkow