Das Thema „White Trash“ scheint spätestens mit der Erfolgsgeschichte von „Spring Breakers“ wieder auf den Radar stilprägender Modemacher gerutscht zu sein – Neben Chanel zelebriert derzeit auch das französische Brand A.P.C. den unverkennbaren Stil des durchschnittlichen amerikanischen Trailerpark Bewohners. Stell sich nur die Frage: Wiesoweshalbwarum. Und: Sollte man die optische Manta-Manta-Tendenz ernst nehmen und gar fürchten? Vermutlich nicht. Denn hierzu fehlt wohl selbst den hemmungslosesten Fashionistas der Mut.
Sich gänzlich in optisch makellose Designerkleidung zu hüllen, das liegt gutbetuchten Mademoiselles schließlich viel eher als das selbstbewusste Einhüllen in Lumpen und auch ein vermeintlich extrovertierter Look à la London Fashion Week Streetstyle Posing ist einfacher nachgestylt als gedacht. In Logos investiert es sich zudem besonders leicht, geht die Masse doch konsequent davon aus, so etwas wie Stil sei mit Geld herbei zu beschwören. Und wer aus Einkommensgründen nicht ganz oben mitspielen kann, der greift alternativ auf Kopien von Asos & Co. zurück – fällt im Trubel ohnehin nicht auf. Hauptsache knallbunter Einheitsbrei. Woran also erkennt man noch die wahren Kenner der schönsten Nebensache der Welt, die echten Modegötter? Die wirklich Mutigen? Wenn doch alles, was als „modisch“ gilt, so ratzfatz zu kaufen oder faken ist?
Selbiges scheinen sich auch die neuen White Trash Anhänger wie Louis W, der zum gefühlt hundertsten Mal mit A.P.C. kollaboriert, und König Karl zu fragen. Was ist wirklich neu und welche Ausgeburt der Absonderheit würde es noch vermögen auch die buntesten Vögel der Branche, Anna dello Russo zum Beispiel, modisch herauszufordern? Ja sogar an Grenzen zu treiben? Suchen Filme- und Modemacher inzwischen nach Wegen, sich ganz subtil über die Elite lustig zu machen, ist denn Herrn Designern langweilig geworden ob all der Gleichschaltung oder sind sie in Begriff die Branche gar heimlich zu testen? Wollen sie ausprobieren, wie weit Modenarren im Wahn des Nacheiferns gehen? Ob sie überhaupt noch selber denken können?
Verwirren könnte uns oder die Damen der obersten Mode-Front wohl kein Prunk der Welt mehr, kein noch so hoher Hochhausschuh oder wild bedruckter Seidenmantel samt Perlenapplikation. Vielleicht schießt man jetzt genau deshalb in genau die entgegengesetzte Richtung. Propagiert den Gegenpol zur aktuell herrschenden Mode-Etiquette und setzt dem Kleiderwahnsinn die letzte Krone auf. Ab sofort gelten andere Spielregeln, man dreht den Spieß ganz einfach um: Flughafen-taugliche Zweiteiler im Stil von Juicy Couture, Bauchnabel-Ketten und weiße Sneaker-Boots – Geschmacklosigkeiten erobern den Laufsteg.
Wer unbezahlbar aussieht, der macht es sich nämlich viel zu leicht, der outet sich ganz automatisch, der muss nicht viel tun, um anerkannt oder bewundert zu werden. Nur das Außen zählt, das Innen ist egal. Im zerlöcherten Trainingsanzug dreht sich plötzlich alles um. Innere Werte werden wichtig, genau wie Ausstrahlung und angeborene Eleganz, Können und Charakter! Wirklich? Und wer wagt es und wer schafft es, in grenzwertigen Chanel-Looks, die nach amerikanischer Armut aussehen, noch Würde zu bewahren?
Selbst wer sich der von Lagerfeld aufgetragenen Aufgabe nicht unterziehen mag, könnte künftig auf die Probe gestellt werden: Würden wir Erscheinungen wie der A.P.C-Sippe im echten Leben begegnen, würden wir ihnen gute Jobs, ein wahnsinniges Einkommen oder einen astreinen Charakter zumuten? Überall Fragezeichen.
Ob es überhaupt ok ist, den „White Trash“ als Stilinspiration zu benutzen, fragt jedenfalls niemand. Weil in der Kunst alles erlaubt, oder die Verbreitung dieses Trends so gut wie ausgeschlossen ist?
Ganz so unwahrscheinlich wie zunächst angenommen ist dieser Wandel, der uns zum Umdenken zwingen könnte, am Ende aber doch nicht. Ich erinnere mich noch gut an eine Hugo Boss Show, bei der ich mit Air Force One Turnschuhen an den Füßen in der ersten Reihe saß – Giftpfeile von allen Seiten, denn die feinen Damen konnten’s kaum glauben. Jetzt, zwei Jahre später hätte wohl niemand mehr gestarrt oder gar die Augen verdreht – denn wenn selbst die ganz großen Designer flaches Schuhwerk erlauben, dann kann’s ja nicht so verkehrt sein. Besser noch: Es wird gefeiert!
Brainwahsing nennt man das – Eine ziemlich gängige Methode im Kleiderkosmos. Und ich schwöre hoch und heilig, dass ich mir ins Fäustchen lachen werde, sollten die piekfeinen Redakteurinnen der Welt, die ob des Pöblels so gern ihre Näschen rümpfen, irgendwann im Nicky-Zweiteiler die Frontrow besetzen. Jogginghosen haben’s schließlich auch schon auf den Modeolymp geschafft.
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