Liebe Grazia,
um eins vorweg zu nehmen: Eigentlich bin ich heimlich ein bisschen verliebt in dich und verpasse kaum eine Ausgabe, obwohl ich das lange niemandem erzählt hab, schließlich liest man für’s Ego lieber Sleek oder Brand Eins. Ihr seid sozusagen meine total mädchenmäßige Schwachstelle und dafür wollte ich schon immer mal „danke“ sagen, vor allem Fräulein Amro und Susanne Kaloff. Aber heute Morgen hat’s mich glatt vom Frühstückstischstuhl gehauen. Die drei Seiten über die „Crazy Schlankheitstricks der Stars“ ließen mich mein Müsli während des Durchlesens nämlich beinahe rückwärts essen. Das kann doch wirklich nicht dein Ernst sein.
Ich verstehe ja, dass keine Frauenzeitschrift mehr ohne Diät-Tipps auskommt, manchmal klatscht man auch noch Fitness oben drauf und wenn beides dann auch noch auf dem Cover prangt, wird vermutlich fünffach ge- und verkauft. Kein Thema, da stehen wir alle drüber. Aber was um alles in der Welt sollen wir mit diesen 13 kranken Tipps, nein Sekunde, „ausgefallen Methoden“ für einen dünneren Hintern inklusive Spinnenkörper, bloß anfangen? Das riecht tatsächlich schon beim Lesen nach Essstörung mit Reiswaffeln oben drauf.
Ihr schreibt dort: „Von wegen viel Work-Out und gesundes Essen: Rihanna, Miranda & Co greifen zu viel ausgefalleneren Methoden, um sich knackig zu halten. Wir haben ihre Geheimnisse gelüftet…“
Und weiter: „(…) und obwohl manche von denen wirklich total verrückt klingen, scheinen sie ja zu wirken – angesichts dieser Hammerbodys….“ Ja, hakt’s denn? Was ist hier denn schief gelaufen? Wo bleibt zumindest die minikleine Kritik, die auch dem geistig etwas einfacher strukturierten Grazia-Leser klar macht, dass man diese hirnverbrannte Geißelei auf keinen Fall gutheißen oder gar nachmachen sollte, wo ist der Funken Ironie, der harmlosen Alltags-Klatsch von mitunter gefährlichen Schlankheits-Tipps abgrenzen könnte? Nirgendwo. Autsch. Stattdessen gibt’s Bewunderung.
Viel besser wäre dieser Oberklopper mit einem etwas entschärfenden Beisatz zwar auch nicht gelungen, aber so grenzt dieser Beitrag ehrlich gesagt an eine mittelschwere Frechheit. Und zwar jeder Frau gegenüber, die es sich nicht zum Ziel gesetzt hat, den eigenen Körper an fremden Körpern zu messen und schon gar nicht an Körpern von Stars & Sternchen, die ihr Geld nunmal mit scheinbarer Makellosigkeit verdienen und sich den halben Tag lang um nichts anderes kümmern. Weil es eben (leider) zu deren Job dazu gehört, in eine optische Schublade zu passen.
Ich persönliche finde es jedenfalls ein bisschen traurig, dass Rihanna morgens bloß „das weiße vom Ei, Ananas und heißes Wasser mit Zitrone“ schlürft. Aber gut, das muss jeder selbst entscheiden. Wenig erstrebenswert erscheint mit hingegen Kelly Osbournes Credo: „Statt zu Kohlenhydraten zu greifen, beißt die Moderatorin in saure Gurken – denn was ihr ohne Brot & Co. am meisten fehlt, ist der knackige Biss, „und den kann man sich auch bei Gurken holen“. Reese Witherspoon ersetzt Frühstück und Lunch durch Babybrei? Adriana Lima „ernährt sich vor Schauen neun Tage lang ausschließlich von Flüssigkeiten – und hört zwölf Stunden vorher sogar auf zu trinken?“ Freunde, jetzt mal Hand auf’s Herz. Das ist doch kacke. Das kann man doch nicht schreiben, einfach so, und ohne erhobenen Zeigefinger. Das klingt nach „13 Wegen in die Magersucht“.
Für derartige Schlagzeilen-Spielereien ist euere Verantwortung dann doch zu groß, meint ihr nicht? Denn nicht jeder eurer Leser ist wie ihr. Nicht jeder eurer Leser kann differenzieren, reflektieren, selbst entscheiden, nicht jeder Leser verfügt über eine gesunde Portion Selbstbewusstsein und die dazugehörige Lässigkeit, diese drei Seiten lachend beiseite legen zu können. Nein, da draußen sitzen jede Menge Zweifler, die selten absurde Tipps wie diese tatsächlich ernst nehmen und nachahmen, und seien sie noch so niederträchtig – Immer in der Hoffnung, irgendwann vielleicht doch ein bisschen mehr wie Miranda Kerr auszuschauen.
Natürlich weiß ich, dass man es nie allen recht machen kann, dass man nicht auf jeden Deppen achten muss, der sich nicht im Griff hat, und nein, man kann auch nicht für jeden zweiten komischen Kautz die Verantwortung übernehmen, das stimmt und da bin ich ganz bei euch. Aber es gibt sie, diese Hunds-sensiblen Themen, von denen wir Schreiberlinge wissen und die wir mit besonderer Vorsicht behandeln sollten. Wenn man mich fragt, gehört der derzeit herrschende Schönheits – und Schlankheitswahn zweifelsohne dazu. Aber mich fragt niemand. Deshalb dieser Brief.
In aufrichtiger Ver- und Bewunderung mit ein einer großen Portion Unverständnis oben drauf,
Nike.