Festgefahrene Angewohnheiten und eingepaukte Lebensweisheiten bringt man schwieriger weg als ein Kaugummi, der an der Schuhsohle klebt, das haben wir hier schon an diversen Stellen angemerkt. Und obwohl wir Schönheitsideale, Geschlechterstereotypen und gesellschaftliche Normen kritisch hinterfragen, skippe ich zum Beispiel ganz automatisch den spontanen Freibadbesuch, wenn ich vergessen habe mich zu rasieren, fühle mich peinlich berührt sobald ich eine Oma oben-ohne sonnen sehe und bin überrascht, wenn ich den Elektriker bestelle und dann einer Frau die Türe öffne.
Scheinbar fast ganz automatisch werden wir tagtäglich in Schranken gewiesen und beurteilen andere Menschen nach ihrem Lebensstil und Aussehen. Dadurch nehmen wir uns eine große Portion Lebensqualität und diskriminieren oder verletzen im schlimmsten Fall unser Gegenüber ohne es überhaupt zu bemerken.
Genau jenen gesellschaftlichen Gepflogenheiten widmet sich die Brasilianische Grafikdesignerin Carol Rossetti, welche queerfeministische Bilder von starken Frauen auf ihrer Facebook-Seite „WOMEN“ postet. Die Charaktere auf den Illustrationen basieren auf eigenen Erfahrungen, Erlebnissen von Freunden oder sind zusammengetragene Berichte von Menschen im Netz und treffen mitten ins Herz.
„I see those situations I portray every day. I lived some of them myself.“
Carol Rossetti bedient sich einem breiten Spektrum an gewichtigen Themen und beschäftigt sich unter anderem mit den Themen Körper, Sexualität, Abtreibung, Rassismus, Liebe und Gesellschaft. Sie hinterfragt bestehende Geschlechterbilder und gesellschaftliche Normen und akzeptiert jene nicht einfach als natürlich gegeben. Die Künstlerin greift das wichtige Thema der Intersektionalität auf und hebt hervor, dass viele Menschen von mehreren Diskriminierungsfaktoren betroffen sind – eine Frau im Rollstuhl wird hierbei beispielsweise nicht nur als „Frau“ sondern auch als „behinderte Frau“ benachteiligt.
„I can’t change the world by myself. But I’d love to know that my work made people review their privileges and be more open to understanding and respecting one another.“
Die Message ist klar: Lass dir nichts vorschreiben. Und: Du bist schön so wie du bist. Besonders gefällt mir Rossettis durchweg positive, bestärkende und solidarische Botschaft in ihren Illustrationen. Sie erinnert uns daran, dass wir ein für allemal damit aufhören sollten andere zu be- und verurteilen, dass jeder sein Leben genau nach seinem Geschmack führen darf und dass nicht immer alles hellrosa oder babyblau sein muss. Rossetti geht ganz nach dem Motto „zusammen ist man weniger allein“, Veränderungen lassen sich im Kollektiv einfacher erreichen und gegenseitiges Bashing bringt doch schlussendlich wirklich niemandem etwas. Und um an dieser Stelle ein wenig oberflächlich sein zu dürfen: die pointierten und schlauen Illustrationen sind zu alledem auch noch wunderhübsch anzuschauen!
Ursprünglich war die feministische Bilderserie nur in Portugiesisch gehalten, durch die weltweit positive Resonanz war jedoch eine Übersetzung ins Englische eine logische Konsequenz. Damit ist das Projekt aber noch lange nicht abgeschlossen, es befinden sich sage und schreibe 24 weitere Sprachen in der Pipeline. Die fleissige Künstlerin werkelt ausserdem an einem Online Shop, in welchem die Illustrationen als Prints und Postkarten erhältlich sein werden. Oh, darauf freuen wir uns!
Alle Illustrationen seht ihr hier.