Lasst mich euch von meinen Erfahrungen mit einem der letzten Tabuthemen unserer Gegenwart erzählen. Und denkt nicht, ich werde euch jetzt mit angenehmen Unannehmlichkeiten à la Feuchtgebiete überschütten. Das „No-Go“, von dem ich spreche, dreht sich um den Tatbestand des „alleine durch die Welt gehens“, in diesem Fall: Allein Verreisen.
Mit sich selbst in den Urlaub fahren ist gesellschaftlich ungefähr so akzeptiert wie als Mittzwanziger in Berlin jedes Wochenende zu Hause auf der Couch zu verbringen, nämlich gar nicht. Schnell bist du die sonderbare Alleinreise-Frau. Wenn du Glück hast, kannst du noch als wilde, freiheitsliebende Abenteurerin davon kommen – ohne dass du schief angeguckt wirst oder Mitleidsaugen erntest.
Meine Mutter jedenfalls, die fing fast an zu weinen als ich ihr verkündete, dass ich ein paar Tage allein in den italienischen Bergen abhängen werde. Weil ja alles eigentlich ganz anders geplant war. Meine Umwelt schien perplex und stocksteif – Unverständnis machte sich breit – gefühlsmäßig war da alles dabei und reichte von: „Bist du sicher, dass es dir gut geht, Sarah?“ bis „ALLEIN, ohne irrrgendjemanden??!“ „WARUM?“.
Ich ließ jedenfalls all das hinter mir und stieg entschlossen mit Hut und einer Portion Stolz in den Zug – gut auch mit ein bisschen Angst: Was ist, wenn ich den ganzen Tag nur im Bett liege und mich einsam fühle? Blödsinn. Denn schon während ich mich auf dem Weg in ein fünf Sterne Wellnesshotel in Südtirol machte, hatte meine Reise gleich gehörig was von Eat, Pray, Love, ich schwöre es euch.
Hallo Berge, da bin ich! Ja, nur ich, ich allein. Echo? Echo!
Wisst ihr, Berge am Morgen haben die selbe reinigende Kühle, wie die Winterluft am 1. Januar – und so war der erste Tag im wunderschönen Hotel Mirabell im kleinen Örtchen Olang Valdaora in Italien, inmitten der Dolomiten, dann auch eine Art Neubeginn für mich und das Tor in meine allerersten eigenen Ferien.
Ich befand mich in einem der schönsten, urigsten Hotels ganz Südtirols mit viel Liebe zur gemütlichen Tradition, duftendem Holz, knisternden Kaminen und einer Aussicht, von der wir Stadtkids sonst nur träumen. Uhren wie nur zur Dekoration aufgehängt, lief alles ein bisschen entschleunigter als im Rest der Welt. Ein herzensfreundlicher familiärer Betrieb sorgte dafür, dass ich mich die ganze Zeit über fühlte wie die geliebte Nichte Heidi, die zu Besuch in die Alpen gekommen ist. Jeden Morgen begrüßte mich ein warmer Pool und ich zog meine Bahnen durch die hohe Luft während meine Stadtsorgen davonplätscherten und ich auf dem Rücken schwimmend die Wolken einatmete.
Eine unwirklich schöne Spa-Landschaft, die mich dazu verführte, den ganzen Tag lang von einer warmen Höhle in die nächste zu fließen. Mit jedem Tropfen Schweiß fiel dann auch der Alltag und das komplett überflüssige Gefühl, dass man sowas ja eigentlich immer zu zweit macht. Mit der Ayurveda Analyse und den passend auf mich abgestimmten Behandlungen durchzog mich zuletzt eine Leichtigkeit, die ich zu Hause so nie erreichen konnte. „Es geht mir gut“.
Auf dem hauseigenen Golfplatz ließ ich mich dann vom wohl coolsten Golflehrer aller Zeiten ordentlich zurecht biegen – Joe nahm da kein Blatt vor den Mund, er war echt streng und das war echt nötig.
Gegessen habe ich am Abend wie meine eigene Königin und zwar mit allen Sinnen. Das Handy durfte nur ein Mal mit runter mein Begleiter sein. Wie glücklich Essen machen konnte, erfuhr ich mit jedem der 4 köstlichen Gänge, dabei trank ich meinen Lieblingswein und beobachtete die Familien und Pärchen, die sich manchmal gar nichts zu sagen hatten. Irgendwann fand ich gefallen an meiner Rolle: Das Mädchen mit dem Kleid, was immer alleine isst. Gar nicht schlecht.
Ein einziges Mal nur, am Lago de Braies, unweit des Hotels am wohl schönsten Ort, den ich jemals gesehen habe, hätte ich mir eine Hand gewünscht, die ich drücken kann um zu fühlen, dass das alles echt ist. Die restliche Zeit hat mir der Ausflug aus der Stadt genau das gegeben, was ich brauchte und irgendwie ja noch viel mehr. Ich habe gegessen, gelesen, bin gewandert, habe Sport getrieben, entspannt, nachgedacht, losgelassen uund mich dabei wieder ein klitzekleines bisschen mehr in mich selbst verliebt.
1000 Dank. liebes Hotel Mirabell. Wie schön es war!
Und für alle die noch Zweifeln, kommt hier meine ultimative Pro „Alleinreisen“-Liste
- Steh mal zu dir: Hast du einmal den Punkt überwunden, an dem es dich stört wie dich die anderen Gäste vermeintlich zweifelnd wundernd und mitleidig mustern, gehört die Welt dir. Du bist jetzt der freie Piepmatz im Revier, lehn dich zurück und saug alles auf!
- Nichts mit ChingChangChong: Zu viele Sehenswürdigkeiten, zu wenige Tage im Paradies? Am Ende entscheidest du allein, welche kleinen Wunder du sehen wirst
- Finde dich neu: Du wirst den Leuten auf deiner Reise ganz anders begegnen, wenn du nicht deine Minigäng im Schlepptau hast – so lernst du dich dann auch mal ganz neu kennen. Wer bist du eigentlich? Die eine oder andere bisher nicht bekannte Seite kommt zum Vorschein, versprochen! Oder denk‘ dich mal neu aus – morgen bist du einfach Agathe aus Wuppertal
- Allein sein, allein bleiben? Und wer sagt eigentlich, dass die ganze Angelegenheit allein bleiben muss? Die schönsten Romanzen sind doch die Urlaubsromanzen und Urlaubsfreundschaften sind ebenfalls eine ganz tolle Sache
- Auf der To-Do Liste: Du: Du entwickelst ein Gehör für die „Ich-Stimme“ und horchst plötzlich auf deinen eigenen Rhythmus, dein eigenes Gefühl – alles was du tust, tust du nämlich für dich. Wann konntest du das das letzte Mal?
- Challenge you: Jeden Tag eine Aufgabe an dich selbst, lässt dich wachsen – auch im Urlaub. Jemand wildfremdes zu bitten ein Foto von dir zu machen, könnte so eine Aufgabe sein
- Ausprobieren: Den Ganzen Tag durchlaufen, sich im Bett den ganzen Tag Ayurveda-Theorie reinziehen und fernsehen, den Golfschein machen, nur ein einziges Getränk konsumieren (Amaretto auf Eis), dem Gras beim wachsen zuschauen, Bergsteigen – kein Problem, du bist der Chef.