Ein Baby zu haben ist schön und nervig, überwältigend, strapaziös und total krass, krass toll, krass einschränkend, krasser Wahnsinn, pures Glück. Fragen, die man gestellt bekommt, wenn man ein Baby hat: Merkst du schon den Schlafentzug, wie ist das so, wie machst du das alles, wann wurde er noch gleich geboren und wie ist er denn so drauf? Weil ich meist wenig Lust habe, bis ins letzte Detail über Babykotze und Babykacka zu reden, antworte ich meist nur: Zwischen sechs und sieben Wochen alt, es ist nicht so schlimm wie alle sagen, das mit der Müdigkeit regeln auch irgendwie die Hormone und keine Ahnung was für ein Typ er ist, wir kennen uns noch nicht so lange und es lag auch keine Gebrauchsanweisung dabei.“ Meist kommt dann nur noch ein „hihihi, ok“ hinterher.
Das ist angenehm, denn viele viele Menschen, die einst einmal ganz locker unterwegs waren, mutieren angesichts eines Milchmäuschens zu unangenehmen Ratgebern, die in Wahrheit niemandem einen Rat geben sollten. Neulich zum Beispiel, als ich in der Feinkostabteilung des KaDeWes an der Kasse stand, um meinen Karamellkäse zu bezahlen, da knurrte mir meine Warteschlangennachbarin so etwas wie „Ja, erstickt das Kind denn nicht da drin?!“ entgegen. Ich konnte nicht anders als „Doch, doch, ich höre es schon schnappatmen“ zu erwidern, während „das Kind“ in seinem Tragesack wohlig angelehnt an meine Doppel-D-Still-Brust schlummerte und bester Dinge war.
Ein anderes Beispiel: Letzte Woche, eine Abendveranstaltung, auf der ein Stuhl präsentiert wurde, mit dem ich irgendetwas zu tun hatte, es war 19.30 Uhr und ich anwesend, bloß das Baby nicht. „Ist der jetzt alleine zuhause?“ – „Klar, er kann sich schon selbst das Abendbrot zubereiten und danach macht er meine Steuer“, hätte ich am liebsten gelogen, aber ich blieb bei der Wahrheit, was die Sache nicht nicht besser machte: „Lio ist auf dem Sofa beim Papa, er kriegt abends ein Fläschchen, damit ich auch mal länger raus kann.“ Mögliche Reaktionen: „Ach, super, ist ja praktisch“ (10%) / „Ja aber brauchen die Knirpse nicht noch Muttermilch? (30%) / „Echt? Aber man MUSS doch stillen, mindestens sechs Monate?!“ (30%) / „Ich könnte das ja nicht, mein Kind so früh alleine lassen“ (30%). Man kann sich also aussuchen, ob man sich entweder der Meinung der Minderheit annimmt, kurz durchatmet und sich selbst „wie schön, auch mal wieder allein unterwegs zu sein“ flüstert (auch zur Beruhigung, weil die Vermissung schon wieder so groß ist), oder ob man sich der Mehrheit anschließt, um daraufhin in Gewissensbissen zu versinken. Ich rate zu ersterem. Denn das Zauberwort heißt „Loslassen“, wenn auch nur ab und zu.
Eine ganze Handvoll Menschen fragt mich seit dem Erscheinen meines ersten Beitrags nach Lios Geburt nämlich regelmäßig, wieso ich denn eigentlich so entspannt sein könne und wie das denn bloß alles unter einen Hut zu kriegen sei, das Arbeiten, Unterwegssein, Mamasein. Um eins schonmal vorweg zu nehmen: An manchen Tagen ist überhaupt nichts unter einen Hut zu kriegen, auch nicht unter einen mordsgroßen und es gibt durchaus Stunden, in denen ich über Adoption oder einfach wegrennen nachdenke, bis zum nächsten Engelslächeln, dann ist plötzlich alles wieder gut. Ansonsten haben wir es hier zwar mit einer schwierigen Mission zu tun, keineswegs aber mit einer Mission Impossible – solange man Vertrauen hat.
In die eigenen Freunde zum Beispiel. Während Besuch da ist, kommt es deshalb nur ganz selten vor, dass ich „den Kanzler“, wie meine kleine Schönheit aufgrund seiner Wonneproppenwangen heimlich von seinen eigenen Eltern genannt wird, selbst durch die Gegend wippe. Nach zwei Stunden ohne dreieinhalb Kilo im Arm lässt es sich zuweilen noch ausgiebiger spielen und schmusen als zuvor und glaubt mir, es ist eine wahre Freude, dabei zuzuschauen, wie sich die lieben Tanten und Onkels ganz behutsam mit dem kleinen Knirps anfreunden. Und dann ist da ja im besten Fall noch der Vater des Kindes, ohne den mein Leben womöglich nicht mehr mein Leben wäre, sondern ein einziger Helikopter-Mutti-Alptraum, in dem alles, aber wirklich alles nur um den Familienzuwachs kreist.
Auch wenn man sich manchmal fragt, was zur Hölle der Mann, den man so liebt, da eigentlich mit dem Kind, das man genau so sehr liebt, anstellt – man muss stark bleiben, nicht immer, aber immer ein bisschen mehr. Bloß nicht ständig dazwischen funken, wenn mal ein „Mäh“ vom Knirps oder „öahh, scheiße, ihh“ vom Knirpspapa durch die Wohnung röhrt. Besser: Ins Schaumbad legen, mit geschlossener Badezimmertür – damit das „Rüsselohr“, das neuerdings 24/7 jeden minikleinen Pups vom Baby hört, auch mal Ruhe hat. Pausen sind alles, echt wahr.
Ab und zu bleibt anschließend sogar noch ein kleines Zeitfenster zum Trocknen und Tun-Und-Sein-Lassen-Was-Auch-Immer-Man-Mag. Ich zum Beispiel mag es, ein bisschen zu arbeiten. Vielleicht mag ich es auch ein bisschen, zu arbeiten. Was schon einige Zeitgenossen fuchsteufelswild gemacht hat. Ins Gesicht sagen es einem ja nur die ganz harten Kaliber, alle anderen gehen den hinterlistigen Weg: „Haste gesehen, die TIPPT JA SCHON WIEDER, sollte sich vielleicht besser mal um ihr Neugeborenes kümmern.“ Ich sage euch jetzt mal was, ihr kleinen Besserwissertrolle da draußen: Ein Neugeborenes schläft viele, viele Stunden am Tag. Und während dieser Stunden kann man alles Mögliche anstellen. Augenbrauen zupfen, Staubmäuse zählen, auch schlafen. Hauptsache, es macht Spaß. Mir macht arbeiten Spaß, meistens. Ganz wirklich. Nun hab‘ ich aber natürlich auch gut reden, mit meinem Homeoffice und den Arbeitgebern, die mir Mails schicken, statt nebenan am Tisch zu sitzen.Aber jedes Lebensmodell hat logischerweise ebenso viele Vor- wie Nachteile. Wie oft habe ich das Freelancertum schon verflucht, meine Arbeit nicht mehr gemocht, sondern gehasst (passiert immer wieder) und mir einen Chef gewünscht, der mich ein ganzes langes Jahr in Ruhe lässt, während ich ganz im Muttersein erblühe und nette Bekanntschaften in sämtlichen Krabbelgruppen der Stadt knüpfe. Wo wir auch schon beim nächsten Punkt angelangt wären: Es ist nicht immer alles Friedefreudeeierkuchen, wenn man ein Baby hat. Krabbelgruppen schon gar nicht, aber dazu später mehr.
Babys schreien manchmal vor Bauchweh, aber nie einfach so, Babys wollen häufig wach bleiben, obwohl man selbst schon halb schläft, Babys sind keine Maschinen, die einfach so funktionieren, sondern winzige Menschen, mit kleinen Wehwehchen und großem Willen. Zur Schonung meiner eigenen Nerven und vor allem der meiner Mitmenschen, verabrede ich mich deshalb nur noch zwischen „Vier und Fünf“, statt um 16.30, man weiß ja nie, was noch passiert: Spontan-Aa, Spontan-Hunger, Spontan-Aua. Es kann mitunter also ziemlich nervenaufreibend sein, mit Baby vor die Tür zu gehen. Bei mir dauert das Fertigmachen oft eine halbe Stunde. Nochmal Windeln wechseln, Mütze suchen, Mütze wieder absetzen, weil falsche Mütze, richtige Mütze verschlampen, Mütze wiederfinden, Mütze wieder aufsetzen, Rucksack suchen, Rucksack packen, den Schnulli nicht vergessen und dann das Heckmeck, wenn das Kind schon vor dem Bauch hängt und man merkt, dass man selbst noch keine Schuhe trägt. Ist aber alles egal, Hauptsache man kommt raus, sonst droht der Budenkoller. Frische Luft ist Gold wert, genau wie Schnatternachmittage mit Schnatterliesen. Ich bin da ganz schmerzfrei und schleppe Lio wirklich überall mit hin, auch auf Geburtstage, abends, sofern es sich um gemütliche Muckelrunden bei Kerzenschein und Kuchen handelt. Stillen geht überall, da müssen sich die Leute dran gewöhnen, wenn Frauen Frauen und Mütter und Freundinnen und Partner und Business-Tanten gleichzeitig sein sollen (und wollen). Mit sämtlichen Jobs halte ich es übrigens ähnlich: Mich gibt’s jetzt nur noch im Doppelpack. Während langer Skype-Meetings schaukle ich Lio in den Schlaf und ab und zu muss ich das wichtige Gerede über Zahlen und Fakten und Trends und Tendenzen auch unterbrechen, weil die Nummer Eins in meinem Leben ganz anderes im Kopf hat. Ich habe wohl ziemlich großes Glück mit meinen, sagen wir mal „Arbeitgebern“, wohl wahr. Mehr von dieser Sorte, die verstanden haben, dass die totale Gleichschaltung zwischen Mann und Frau schon aufgrund unserer Biologie nicht möglich ist, dass wir statt Eizellen einzufrieren endlich an Modellen werkeln müssen, die das Kinderkriegen UND Karriere machen ermöglichen, wären wünschenswert.
Und trotz all dieser günstigen Faktoren in meinem Leben, fragte eine Freundin mich neulich, ob ich denn eigentlich keine Angst hätte und ob ich mich denn wirklich niemals überfordert fühlen würde. „Jeden Tag“, war meine Antwort. Aber nur für einen kurzen Augenblick. Weil ich weiß, dass die richtige Einstellung und ein bisschen positive Energie vielleicht viel wichtiger sind als der perfekte Plan.