Das Mysterium des weiblichen Orgasmus, der Höhepunkt weiblicher Lust – ein ewig besprochenes, beschriebenes und sogar besungenes Thema. Die Einen wollen ihn haben. Die Anderen wollen ihn bescheren. Und allen bleibt er dann oftmals doch ein völliges Rätsel. Denn so präsent das Thema der weiblichen Lust medial auch ist, so leicht haben wir es mit ihr und ihren Höhepunkten, wenn’s drauf ankommt, dann doch nicht immer. Nur in der Pornografie ist die Welt noch in Ordnung. Frau hat sie und zwar rund um die Uhr, in jeder Stellung und jeder Location; zu zweit, zu dritt oder im Gangbang. Ein Schelm, wer da von verzerrten Darstellungen, Erniedrigung und rein männlichen Blickwinkeln spricht.
Die Verfilmung des Millionenbestsellers 50 Shades of Grey, die gerade heftig die Gemüter erhitzt, meint aber selbst darauf eine Antwort zu wissen. Ausgestattet mit dreifacher Weiblichkeit: Regisseurin, Buch- und Drehbuchautorin – ein absolutes Novum in der Hollywood Traumfabrik – gibt sie sich als stilvollen Erotik-Film von Frauen für Frauen über Frau(en). Und dabei will sie nicht weniger als uns von entgrenzter Lust, kinky BDSM und vor allem weiblichem Begehren jenseits pornografischer Klischees erzählen. Klingt gut, dachte ich mir, und wagte den Schritt ins Kino:
Um die Katze gleich aus den Sack zu lassen: Wer mit dieser Erwartung in ins Kino geht, kann nur enttäuscht werden. Und so erging es auch mir, denn der Film, den ich da sah, funktionierte ganz anders. Anstelle eines popweltlich-weiblichen Gegenentwurfes zu pornografischen Männerfantasien, erwarteten mich gleich mehrere popweltliche Pornofantasien und die waren eher unsexy:
Als erstes sprang mir ein Geld-Porno ins Auge, in dem keine Gelegenheit ausgelassen wurde mit Christian Greys unermesslichen Reichtum zu protzen. Neben Bildern von fancy Wein, Champagner und Austern durfte ich auf nahezu satirische Weise Greys gigantische Manneskraft metaphorisch genießen: riesige Büros, antiquare Buchgeschenke, einen eigenen Hubschrauber, Segelflieger und – ja, der Klassiker – Autos, Autos, Autos, am Ende sogar eine ganze Halle voller Autos. Was für ein Mann!, dachte ich mir schmunzelnd und bekam gleich das nächste libidinöse Szenario auf die Augen und Ohren.
Der zweite Porno, den 50 Shades of Grey für mich bereithielt, könnte Machtporno heißen. Hier erfuhr ich keine hitzig-heiße Einführung ins BDSM-Einmaleins. Nein, mit Ausnahme der erotisch aufgeladenen, knisternden Vertrags-Szene in Greys Büro wurden im Folgenden BDSM und sexuelle Spannung mehr angedeutet als praktiziert. Die Macht- und Dominierungsfantasien, die sich der Film auf seine Banner schreibt, sollten aber dennoch nicht zu kurz kommen.
Denn jenseits aufregender BDSM-Utopien sparte 50 Shades nicht mit der Zuspitzung von sozialen Machtverhältnissen. So ist Christian nicht nur unangenehm reich und damit mächtig. Fast noch unangenehmer zelebriert er seine Rolle als Alpha-Männchen. Gleich in der ersten Szene, in der Ana und er sich kennenlernen, prahlt er mit seinem Dominazverhalten als Schlüssel zur Macht auf allen Ebenen: Job, Freunde, Beziehung, Sex. Unkommentiert aber nicht unübersehbar bleiben dagegen seine sozialen Privilegien – wie männlich, weiß und reich – die auch im wirklichen Leben nicht zufällig Erfolg und Macht vorrausgehen.
Die kontrastive Figur Anastasia – nicht reich, weiblich und ohne Selbstwertgefühl – lässt sich von Greys Geld-Macht-Gefüge leicht verführen. Uns als Belohnung für treue Untergebenheit bekommt sie abwechselnd ein Auto, neue Kleider, antiquare Schätze oder nen demonstrativen Klaps auf den Po. Als Ausdruck von Christians Macht – oder nein, seiner Zuneigung – reißt er dann auch noch ihr Leben an sich. Er überwacht vertraglich geregelt ihre Ernährung, ihren Schlaf und Kleidungsstil. Er hackt ihr Handy, kontrolliert ihren Computer, holt sie überväterlich von Partys ab und hilft letztendlich sogar beim Anschnallen im Auto aus. Jaja, sie dürfen’s sich rausnehmen, Mr. Grey!, raunzte ich halblaut und empfand eher Frust als Lust.
Denn auf diese Weise stilisiert der Film, jenseits von Sex-Spielen zwischen lustvoller Dominanz und selbstgewählter Unterwerfung, gesellschaftlich vorgegebene Machtverhältnisse und tischt sie als romantisch-erotisch auf. Naja, wem’s schmeckt.
Zu guter Letzt gibt’s da noch den unangenehmsten von allen, den Gewaltporno. Zu dem tippen sich Feminist*innen auf dem ganzen Globus gerade die Finger wund. Sie entlarven die romantisierte Beziehung als ‚abusive’, missbräuchlich, und warnen zu Recht vor der Normalisierungs- und Vorbildfunktion des Films in diesem Zusammenhang.
Hierbei geht es vor allem um psychische Gewalt, die im Film dort auftritt, wo das selbstgewählte Liebesspiel überschritten wird und Dominanz und Kontrolle aufgezwungen werden. Bei Ana und Christian passiert das in gefühlt jeder zweiten Szene: nämlich immer dann, wenn Anas Entscheidungen und Bedürfnisse von Christian nicht respektiert und mit seinen besitzergreifenden Wutausbrüchen, Ignoranz und ungewollten Strafen vergolten werden. Also, wenn zum Beispiel Anas Bedürfnisse und Wünsche beim Sex einfach kein Gehöhr finden. Es passiert auch, wenn er in ihr Leben eingreift, sie überwacht und damit unter Druck setzt – also immer dann, wenn aus der gesellschaftlichen Unterdrückung des Machtpornos psycho-dynamische Gewalt wird.
Bei all dem schlechten Pop-Porn’ fragte ich mich – zwischen Popcorn-Exzessen und verschütteter Limo – dann aber doch, wo die versprochene weibliche Lust als Gegenentwurf zu männlicher Pornografie und sexuellen Ausverkauf bleibt. Wann kommen wir, Erotik-Pilger*innen in unseren Kinosesseln, endlich auf unsere Kosten? Oder ist 50 Shades of Grey etwa klamm heimlich eine gelungene Gesellschafts- und Pornosatire? Will er uns daran erinnern, wie ungerecht die Welt ist und wie wenig Platz in ihr Lust und Begehren jenseits privilegierter Machtpositionen haben? Nein, ich glaube nicht – auch wenn ich das für beinahe geglückt halte.
Versteckt zwischen psycho-sozialen Machfantasien und kulinarisch-materiellen Ausschweifungen hält der Film doch noch einen solchen Gegenentwurf bereit. Aber auch der fällt etwas anders aus als von mir erwartet:
50 Shades stellt seine Heldin Anastasia zwar nicht in klassischer Porno-Manier dar: enthemmt, sexuell erfahren und unersättlich auf jede sich bietende Gelegenheit lauernd, männliche Fantasien zu erfüllen. Nein, was wir über Ana lernen, hat tatsächlich sehr wenig mit Porno, aber leider genauso wenig mit Erotik und Lust zu tun: Sie liest gern, vor allem britische Klassiker. Sie ist eine gute Studentin, eine hilfsbereite Freundin, doch ohne Selbstwertgefühl und kaut gern auf ihrer Unterlippe. Zudem lässt sie sich, im völligen Widerspruch zu dem, was sie eigentlich will – eine ‚normale’ Beziehung, wie sie hartnäckig betont – auf eine vertraglich geregelte, Sex-Beziehung mit BDSM-Content ein. Das lässt sich auch als aufgeschlossen oder mutig interpretieren und hätte der Anfang eines erotischen Abenteuers für beide werden können. Aber genau das bleibt des Films leere Versprechung. Was 50 Shades uns zeigt, ist viel von Christians Begehren und noch mehr von seiner Unnachgiebigkeit mit der es auslebt – Machtporno, Gewaltporno, da seid ihr wieder. Gleichzeitig verweigert er uns aber einen Blick auf Anas Begehren, ihre Wünsche und deren Einlösung. Für sie ist im filmisch-erotisierten Machtgefüge, das uns von alpha-männlicher Dominanz erzählt, nämlich gar kein Platz. Und genau das ist das Problem. 50 Shades of Grey erfindet die Welt nicht neu. Er serviert uns einen zugespitzten Ausschnitt von ihr. Und in dieser, unserer Welt kommen wir nicht umhin bestehende Machtgefüge, die letztendlich weibliche Lust einer rein männlichen Schaulust unterordnen, kritisch zu hinterfragen. Nur dort, wo solche Machtstrukturen aufgebrochen werden und alle Beteiligten gleichberechtigt eine Stimme haben, kann es auch einen Raum oder eine Leinwand für weibliche Lust geben. Einfach nur eine ent-sexte Gegenrolle zu pornografisierten Frauen zu formulieren, hilft entsprechend wenig.
Nein, 50 Shades ich möchte Ana auch nicht als promiskuitive, enthemmte Wunscherfüllerin für Christian sehen. Aber, ich möchte sie sich ihre sexuellen Wünsche erfüllen sehen – und das auch gern enthemmt und promiskuitiv. Schließlich beschreibst du dich selbst als weiblichen Erotikfilm. Gute, selbstbestimmte Frauen-Charaktäre und erotisch-pornografischer Sex müssen sich nicht ausschließen, auch wenn das wieder mal die filmische Botschaft sein könnte. Stattdessen gilt es weibliche Lust ernst zu nehmen und in einen Rahmen einzubinden, in welchem auch ihre Stimme gehört werden kann. Dann klappt es auch mit der Lust und den weiblichen Orgasmen, die nach dem Film weiterhin Vielen ein Rätsel bleiben werden.
Von Katharina Warda
Katharina ist 30 Jahre jung, lebt in nicht mehr in Schweden, sondern mittlerweile wieder in Leipzig und hat nicht nur einen Magister in Soziologie und Literaturwissenschaften in der Tasche, sondern auch einen Master in African Studies. Katharina engagiert sich im Bereich Menschenrechtsbildung, leitete bis vor kurzem eine eigene Kino- und Diskussionsreihe und werkelte außerdem an einem feministischen Performance Projekt. Mittlerweile hat sie außerdem ihre Finger bei einer Arbeitsgruppe zum Thema “Rassismus und soziale Kämpfe” im Spiel und so ganz nebenbei schafft die niemals still stehende Rakete es auch noch, eine wissenschaftliche Publikation über “Tagebuch-Blogs – zwischen Identitätsarbeit und Popkultur” zu tippen und gemeinsam mit Freund_innen ein Blog aus dem Boden zu stampfen, der sich mit Filmen, Serien und TV aus soziologisch-kritischer Perspektive auseinandersetzt. Haben wir was vergessen? Bestimmt.