„Aha, ihr führt also ne offene Beziehung?! Und das funktioniert?“
Hachja, die ewige Frage und der Beginn eines Partygesprächs. Bis eben lahmte es hier im Nichtraucher-Bereich noch gehörig. Lange Gesichter starrten im Raum rum. Halbleere Weingläser wurden hin und her geschwenkt. Der ewig gleiche Small Talk zwischen Couch und Plattensammlung, nur kurz unterbrochen durch gelegentliches Gähnen. Und am Ende wehten sogar noch zwei Heubüschel begleitet von Westerntönen durch den Raum. Kein Witz! Achja, aber dann folgte meine ehrliche Antwort auf die Frage nach dem Beziehungsstatus: offene Beziehung – und selbst die Gähnenden wurden wieder hellhörig.
Warum offene Beziehung? Was heißt das eigentlich?
So lautete die nächste Frage, die nun auch noch die letzten Gelangweilten auf unser Gespräch aufmerksam machte. Meine Antwort: Was eine offene Beziehung ist, lässt sich nicht allgemeingültig definieren. Für mich bedeutet es aber: Beziehungen müssen nicht zwangsläufig dem gesellschaftlich vorgegebenen Muster entsprechen. Sie können genauso gut in ihrer Gestaltung, die Wünsche und Bedürfnisse derer widerspiegeln, die sie tatsächlich führen. Also in meinem Fall von mir und meinem Freund. Eigentlich finde ich, dass das schon Grund genug ist. Wahrscheinlich hängt es aber auch damit zusammen, dass ich generell ein Mensch bin, der gesellschaftliche Strukturen gerne hinterfragt und Lust hat, eigene Alternativen zu probieren. Außerdem bin ich jung und ohne Kinder und kann so wahrscheinlich viel einfacher mal etwas anders machen.
Achso, also ist das jetzt nur so eine Phase bei dir? Ist ja auch gerade nen Trend – also wenn ich mir Leipzig und Berlin so angucke….
(Einvernehmliches Nicken von allen Seiten im Raum.)
Und ja, na klar, alternative Konzepte erfreuen sich gerade auf allen Gebieten großer Beliebtheit, sei es vegane Ernährung, Alltagsgespräche über Feminismus oder gesellschaftliche Beziehungskonzepte infrage zu stellen. Nur weil es aber mehr Menschen als vorher tun, macht es das noch lange nicht schlecht. Und was mich angeht, halte ich das für keine kurze Sturm-und-Drang-Phase, sondern einfach für ein Prinzip in meiner Lebensgestaltung, in der ich mich intensiv mit mir, meinen Bedürfnissen und denen meines Partners auseinandersetze. Dabei kann ich auch irgendwann bzw. immer mal wieder zu der Entscheidung kommen, jetzt mal alles klassisch-monogam laufen zu lassen, aber auch das bleibt Teil dieser Auseinandersetzung und…
Ah, sorry, dass ich dich unterbreche, aber wie ist denn das mit der Monogamie oder eher Polyamorie? Wie läuft das denn bei euch so? Kann einfach jede/r machen was er/sie will?
(Ab jetzt hätte ich Eintritt verlangen können. Niemand tat mehr so als würde er/sie nicht zuhören.)
Hm, naja, das fing bei uns so an: Als mein Freund und ich nach drei Monaten loser Affäre den Schritt in Richtung ‚richtige’ Beziehung wagen wollten, beschlossen wir uns sexuell, aber nicht emotional, weiterhin offen für andere Menschen zu halten. Der Deal lautet also in etwa: unverbindliches Flirten, Knutschen und Sex mit Anderen sind kein Problem. Der Rest der Beziehung ist exklusiv für uns zwei – also keine gleichzeitigen Beziehungen mit Anderen und keine länger laufenden Affären. Der dritte Absprachepunkt hieß: Empathie und Ehrlichkeit. Jeder Partyspaß, der in mehr als Antanzen endet, wird dem anderen kommuniziert. Dabei checken wir ab, ob wir beide uns weiterhin wohlfühlen oder etwas ändern sollen. Gerade der/dieser Punkt ist uns wichtig. Schließlich haben wir den Anspruch, unseren Wünschen nachzugehen und dabei den Anderen in seinen Vorstellungen und Bedürfnissen ernst zu nehmen. Und bevor die Frage dazu kommt: Das Einhalten unserer Regeln und das Wachbleiben für das Befinden meines Freundes würde ich als Treue bezeichnen. Und die fordere ich im Gegenzug auch von ihm. Ein Treuebruch verletzt mich entsprechend sehr.
Das sexuelle Nebenbei dagegen empfinde ich einfach als nicht schlimm. Dafür genieße ich die dazu gewonnene Freiheit und das gemeinsame Bastelprojekt Beziehung viel zu sehr. Also, Treue gibt’s auch bei uns, ihre Grenzen haben sich bloß etwas verschoben.
Ja, aber wo ist denn da die Sicherheit?
Gerade weil so wenig selbstverständlich ist und wir so viel kommunizierten, austauschten und individuell für uns festlegten, empfinde ich, ganz ehrlich, mehr Sicherheit in der Beziehung als in manch anderen. Das führe ich schon darauf zurück, dass wir unsere Beziehung im Prozess halten. Also, dass wir unser gegenseitiges Befinden immer wieder abchecken. So empfinde ich Gewissheit darüber: Egal, was ist, wird es ernst genommen und kann unserer Beziehungsführung verändern. Auch, ob wir uns irgendwann entschließen monogam zu leben, ist nicht ausgeschlossen. Ich genieße also Freiheit mit Sicherheitsgurt. Das mag für Manche nach ner Mogelpackung klingen, aber auch die Freiheit nehmen wir uns raus. Es entspricht so genau meinen und seinen Bedürfnissen – darauf kommt es an.
Das Gefühl von mehr Sicherheit mag aber auch einfach mit uns als Individuen zusammenhängen. Vielleicht geben wir uns einfach mehr Sicherheit als das in anderen Konstellationen möglich war. Oder es liegt an der Tatsache, dass ich älter und in vielen Dingen gelassener geworden bin. Früher war ich allgemein viel verunsicherter – auch in romantischen Beziehungen. Im Endeffekt muss das also gar nicht vorrangig mit der offenen Beziehung zusammenhängen. Wer weiß. Sicherheit hat einfach viel mit Vertrauen zu tun und ich sehe keinen Grund ihm nicht zu vertrauen.
Hast du keine Angst, dass er sich in eine andere verliebt?
Das kann natürlich passieren. Kann das aber nicht in jeder Beziehung passieren? Wie gesagt, ich fühle mich sicher. Und das bedeutet, dass er mir einfach nicht das Gefühl vermittelt, ständig auf der Hut sein zu müssen. Ich genieße einfach das Beste aus beiden Welten: typische Pärchenabende, aber auch unverbindliche Partyabenteuer. Und manchmal kommt auch beides zusammen: Pärchenabende, an denen wir uns unsere Abenteuergeschichten der letzten Partys erzählten. Manchmal ist das richtig unterhaltsam. Diese voyeuristische Neugier gehört zu mir und ich pflege sie solange genüsslich bis sich dann doch mal die gute, alte Eifersucht zu Wort meldet.
Achja, die gibt’s also doch? Die Eifersucht…
Klar, bin ich eifersüchtig – er auch. Obwohl er eher Angst hat, dass bei mir mehr nebenbei geht als bei ihm und er sich in seinem Ego gekränkt fühlt. Mit Egoscheiß haben sexuelle Abenteuer schließlich auch viel zu tun. Mir ist das wiederum eher egal. So hat jede/r seins. Ich war aber auch in anderen Beziehungen eifersüchtig und finde das ist manchmal und in einem gewissen Maß auch ganz gut so. Das hat also wenig mit der Beziehungsform zu tun. Noch mehr Fragen, oder wollen wir jetzt mal über deine Beziehung sprechen?
Eine noch: Wenn es so toll ist in deiner offenen Beziehung, warum läuft dann bei dir hier auf der Party nichts? Du hast doch alle Freiheiten. Oder ist’s am Ende dann doch nicht alles so offen wie du tust?
Das war tatsächlich die letzte Frage an dem Abend, da mir das Gespräch an dem Punkt zu blöd wurde. Ich habe kein Problem damit, in einem solchen Rahmen aus dem Nähkästchen zu plaudern, auch nicht vor Fremden. Im Gegenteil, ich finde eine gewissen Neugier anderen Beziehungsformen gegenüber total gut und quatsche selbst gern darüber. Aber wie kam er bitte darauf, dass ich mich deshalb vor ihm beweisen müsse. Hätte ich Anmerkungen der Art nicht schon oft bekommen, hätte ich es für eine blöde Anmache gehalten. Wie ich meine Beziehung gestalte, ist immer noch meine Sache. Nur weil es Teil unserer Beziehung war, nicht-monogam zu leben, heißt das nicht, mit jedem, der mir vor die Nase läuft schlafen zu müssen – schon gar nicht um meine Unabhängigkeit unter Beweis zu stellen.
So kam ich auch gar nicht mehr dazu seine eigentliche Frage zu beantworten: Funktionieren offene Beziehung?
Wer kann darauf bitte allgemeinverbindlich antworten? Ich kann’s nicht. Ich kann aber sagen, dass meine Beziehung funktioniert hat. Was auch immer „funktionieren“ bedeutet. Für mich heißt es, dass es gut lief – ziemlich gut sogar. Zumindest solange, bis wir merkten, dass wir zu viele Differenzen einfach nicht unter einen Hut bringen können und die Beziehung beendeten. Das hat aber nicht automatisch etwas mit der offenen Struktur unseres Liebeslebens zu tun. Auch monogame Beziehungen halten nicht zwingend für immer und ewig, bis dass der Tod sie scheidet. Müssen sie für mich auch gar nicht unbedingt.
Auch für meine nächste Beziehung würde ich mich in der Gestaltung offen halten. Offene Beziehung bedeutet für mich nämlich, einfach die Regeln selbstständig und im Austausch miteinander festzulegen. Wie das dann aussieht, entscheidet die jeweilige Beziehung immer ganz für sich – und da ist für mich von monogam bis polyamorös alles drin.
Ganz im Ernst: Unsere Kleiderschränke, Wohnzimmer und Filofaxes sind so individuell wie möglich. Warum dann nicht auch unser Liebesleben. Das heißt überhaupt nicht, dass alle poly leben sollen. Ein bisschen mehr Aufgeschlossenheit und Toleranz anderen Beziehungsformen gegenüber würde ich mir aber schon wünschen. Außerdem können wir uns auch ab und an mal selbst fragen, was wir wirklich wollen. Und wenn das monogam ist – ok, super. Und wenn es nicht-monogam ist, warum es dann nicht einfach mal wagen…
Von Katharina Warda
Katharina ist 30 Jahre jung, lebt in nicht mehr in Schweden, sondern mittlerweile wieder in Leipzig und hat nicht nur einen Magister in Soziologie und Literaturwissenschaften in der Tasche, sondern auch einen Master in African Studies. Katharina engagiert sich im Bereich Menschenrechtsbildung, leitete bis vor kurzem eine eigene Kino- und Diskussionsreihe und werkelte außerdem an einem feministischen Performance Projekt. Mittlerweile hat sie außerdem ihre Finger bei einer Arbeitsgruppe zum Thema “Rassismus und soziale Kämpfe” im Spiel und so ganz nebenbei schafft die niemals still stehende Rakete es auch noch, eine wissenschaftliche Publikation über “Tagebuch-Blogs – zwischen Identitätsarbeit und Popkultur” zu tippen und gemeinsam mit Freund_innen ein Blog aus dem Boden zu stampfen, der sich mit Filmen, Serien und TV aus soziologisch-kritischer Perspektive auseinandersetzt. Haben wir was vergessen? Bestimmt.