Natürlich gehe ich nicht wirklich davon aus, dass mein Account namens @nikejane der Welt Online Autorin Laura Ewert tatsächlich als Vorlage für ihren brillanten Kommentar „Instagram macht uns alle zu Psychopathen“ diente, möglich wäre es aber durchaus, vielleicht sogar wahrscheinlich, mindestens aber denkbar. Vollkommen sicher bin ich mir ehrlich gesagt noch immer nicht, denn wenn an so will, dann bin ich das ultimative Paradebeispiel eines bloggenden Users der „kaputtesten App der Welt“. Womöglich bin ich aber auch bloß ein Klon, denn das, was ich da tagtäglich betreibe, zieht sich durch die Instagram-Landschaft wie ein lang gezogenes Kaugummi. Was heute Morgen wiederum dazu führte, dass ich beim mobilen Lesen jeder einzelnen Laura-Zeile so schallend lachen musste, dass sich mein weißes iPhone beinahe in das ordentlich drapierte Egg Benedict Eigelb vor blauem Wandhintergrund verabschiedet hätte. Dabei hätte ich ebenso gut heulen können (oder sollen) während dieser Achterbahnfahrt der erfüllten Klischees.
„(…)bis man sich über einen Kommentar einer weiteren Person in ein anderes fremdes Leben klickt. In eine andere fremde Wohnung, in einer anderen Stadt, wo ein hübscher Kelim unter einem Sofa von Bolia liegt, neben dem ein Couchtisch von Hay steht.“, heißt es zum Beispiel. Volltreffer.
„Am Montag wird ein Bild aus dem Office gesendet, am Mittwoch das OOTD („Outfit of the Day“!) gezeigt, am Dienstag der grüne Smoothie, am Wochenende die Schnittblumen. Manchmal auch in anderer Reihenfolge, nur ein festes Datum gibt es in der Woche: den „Throwback Thursday“ (TBT) (…).“
Gruselig. „Es sind die immer gleichen Marken, die von den meist weiblichen Instagram-Nutzern in die Kamera gehalten werden, weil es die immer gleichen PR-Agenturen sind, die ihnen diese Produkte in hübschen Päckchen mit handgeschriebenen Karten nach Hause schicken, die dann mit der Überschrift „happygirl“, „surprise“ oder „new in“ geposted werden können.“
“ Blaue Wände, pastellfarbenes Geschirr, Sinnspruch-Prints an den Wänden. Kaffeetassen mit Buchstaben darauf, die entweder auf die Fensterbank neben eine Blumenvase gestellt werden oder neben die Tastatur, wenn Montag ist. Die Zeit von sauteuren Duftkerzen scheint vorüber. Dafür kommt man an einem Foto mit dem Buch von Lena Dunham nicht vorbei. Der von ihr formulierte Feminismus lässt sich ebenso hübsch tragen wie ein Trenchcoat von A.P.C.“
Der Höhepunkt: „Man ertappt sich dabei, die neue Vase so auf den Tisch zu stellen, dass der Designer-Kerzenständer im richtigen Winkel steht, um auch noch den Print an der Wand richtig aufs Bild zu bekommen.“
Dass der Artikel aber noch viel mehr sein will als ein geschriebenes Spiegelbild seiner Protagonisten, mehr noch als ein Aufruf zur Selbstreflexion, sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Denn laut Verfasserin ist Instagram „(..)die schädlichste, die böseste und die kaputteste App, denn sie macht süchtig nach einer Lightversion des Stalkings. Und sie zerstört das Glück durch seine permanente Verbildlichung.“ Ein Satz, der sitzt. Aber darf die Quintessenz der Kritik hier wirklich schon enden? Keineswegs. Die Realität sieht nämlich noch ein bisschen schlimmer aus.
Laura Ewert spricht außerdem von einem privatem Wettrüsten, vom gefährlichen Seiltanz mit der eigenen (inszenierten) Privatsphäre, von vorgeformten Lebenswirklichkeiten, die kein Scheitern mehr erlauben, von dem grausamen Umstand, dass ein einziges Bild darüber entscheiden kann, ob ein Moment gelungen oder missglückt ist, von einem Marketing Tool, das vor allem eins schürt: Neid. Und mit jeder weiteren Zeile wird nur klarer, wie richtig sie damit liegt. Eigentlich. Plötzlich fühle ich mich zurück versetzt in eine Situation am Mittagstisch, als ich händefuchtelnd vor meinen Eltern saß, um ihnen zu erklären, dass Instagram nicht der Teufel sei. Dass nicht nur Absender, sondern auch Adressaten im Umgang mit Social Media Vorsicht walten lassen sollten, dass man in keiner Sekunde die Verantwortung über sein Handeln und Denken abgeben sollte, egal auf welcher Seite man nun steht. Platt gesagt: Dass jeder von uns selbst für sein Glück oder Unglück verantwortlich ist. Schließlich wäre ich ja selbst überaus aktiv auf diversen einschlägigen Kanälen und das mit großer Freude. Wäre dem nicht so, ich könnte doch mir nichts dir nichts „Adieu Instagram“ sagen.
Man müsste jetzt gewiss noch etwas tiefer bohren und könnte mir mit nicht wenigen Gegenargumente den Garaus machen, schließlich wäre da ja noch der nicht zu unterschätzende Druck und die Sucht, die manch einem User das Fernbleiben unmöglich machen. Ich bleibe aber trotzdem dabei, zu sagen: Weg mit dem Ballast. Geht, wenn es euch nicht gut tut. Ein paar meiner Freunde haben genau das getan und vermissen das ständige Checken ihrer inzwischen brach gelegter Feeds nicht die Bohne. Ganz im Gegenteil.
„Manche Menschen leben sehr gut davon, dass sie versuchen, andere Menschen mit ihrem Leben neidisch zu machen,“ schreibt Laura weiter. Ist das so? Wollen wir mit unseren Posts denn wirklich sämtliche Follower zur Weißglut und Verzweiflung bringen, zeigen, was für furchtbar tolle Hechte wir sind? Der ein oder andere mit Sicherheit. In meinem eigenen Umfeld sehe ich allerdings nichts dergleichen. Was zum Beispiel ist aus dem schrecklich durchgenudelten Begriff „Inspiration“ geworden? Für mich ist mein Feed nämlich genau das. Und auch anders herum teile ich gerne die Baumarkt-Kisten in meinem Wohnzimmer, die das nicht vorhandene Sideboard wunderbar ersetzen. Die Folge: 17 Mails vollgestopft mit feschen Fotos von wunderbar geglückten Nachbau-Aktionen.
Wenn ich meine blaue Wand poste, meine Céline Handtasche, meine neue Ace&Tate Sonnenbrille – dann mache ich das ganz bestimmt aufgrund des enormen Mitteilungsbedürfnisses, das mir nicht nur in die Wiege gelegt, sondern auch vom Zeitgeist beigebracht wurde, aber eben auch einfach deshalb, weil ich ein Mensch und damit automatisch dazu in der Lage bin, Glücksgefühle zu empfinden, mir ein Loch in den Bauch zu freuen und auch stolz zu sein. Ich will schreien: „Hier, Freunde, ist das nicht verrückt, ist das nicht schön, ist das nicht der totale Wahnsinn? Wenn es euch gefällt, super, vielleicht sucht ihr sowas ja auch gerade, wenn nicht, dann nicht und weiter gehts“. Im Zweifel hoffe ich also, dass man sich mit mir freut. Und nicht, dass man mich hasst oder verflucht, weil ich etwas besitze oder erlebe, das nicht zwangsläufig für den Rest der Welt, sondern für mich ganz allein von Bedeutung ist, sei sie noch so klein.
Vielleicht müssen wir also gar nicht mit dem Teilen von Fotos aufhören, sondern endlich das mühselige Vergleichen unseres realen Seins mit virtuellen Accounts an den Nagel hängen.
Denn „(…) andere vergessen dadurch manchmal, dass ihr Leben total gut ist, auch wenn bei ihnen Zuhause kein Ikea-Schafsfell auf einem Egon-Eiermann-Stuhl liegt.“ Wenn Instagram also wirklich der Teufel ist, dann einer, der erst durch unser verqueres Denken so richtig gefährlich wird.