Lese-Tipps //
Konfetti im Kopf – Buchmessen-Schnipsel

19.03.2015 Buch, box1

buch tipps muchmesse„Bei dem lieblosen Wort Buchmesse denkt man sofort an überfüllte Hallen, Gedrängel, Klugscheißer und stickige Luft. In Leipzig gab es davon am Wochenende zwar auch genug, aber inmitten all der Aufregung haben Wörter, Blicke und Gedanken von großen und kleinen Autoren es geschafft, dass es innendrin auf einmal ganz ruhig wurde. Mit der Zeit wurden dann die großen Fragen im Kopf mit Konfetti, und die Zweifel mit Beifall befeuert.“

Unsere Gast-Autorin Caroline Schmitt hat für uns mehr als nur eine Handvoll heißer Lese-Tipps auf Lager und nimmt uns mit in ihren Kopf:

IMG_5792

Selbsportrait eines Flusspferds

Arno Geiger hat eindeutig den Buchmessenvogel abgeschossen mit einem leisen, aber umso flammenderen Plädoyer für eine Dosis wohl verdiente Unsicherheit. Ein Zwergflusspferd, Protagonist seines neuen Romans, ist durchweg unbrauchbar in unserer “durchökonomisierten Welt”, Julian kann es noch nicht mal richtig knuddeln. Überhaupt, diese zielstrebige Welt, in der Kindergartenkindern schon beigebracht wird, man müsse sich schleunigst vom Rest abheben, die kritisiert Geiger mal zwischen den Zeilen, mal aggressiv. Julian, die menschliche Hauptfigur, ist Anfang 20 und zweifelt viel. Über die Liebe, den Tod und Katastrophen. Als er mit seiner Freundin Schluss macht, ist er “wild entschlossen, sich in Gefahr zu geben,” vermisst sie dann aber irgendwie trotzdem manchmal. Er beneidet seine Freunde, die immer genau wissen was sie wollen oder zumindest so tun, sieht sich ständig um – und findet seinen Weg trotzdem nicht so recht. Geiger huldigt diesem Mut zur Orientierungslosigkeit, denn im Jahr 2015 ist das ja fast gleichbedeutend mit Schwäche.

Ich fühle mich meistens nicht so mutig wenn der Lebensschuh mal wieder so richtig drückt und abends eine dicke Blase oder Wunde hinterlässt. Aber vielleicht es gar kein notwendiges Übel, sondern ein Privileg, ständig auf der Suche zu sein, formbar zu bleiben und sich seiner Sache nie allzu sicher zu sein. Mit Anfang 20 sei nämlich alles so “massiv”, erzählt Geiger. Katastrophen, Liebes- und Lebenskummer packen uns noch so richtig, reißen uns mit und aus der Bahn – manchmal mitten rein in die Verzweiflung.

Ich habe das alles stoisch mitgekritzelt um mich dran zu klammern, wenn das Handy nächstes Mal wegen zehn Pushnachrichten dauervibriert, wenn in Peshawar 132 Schulkinder ermordert, oder im Libanon gerade eine ganze Stadt von Terroristen erobert wird. Wenn mir binnen Sekunden Wasser in die Augen schießt, während die große Masse gefühlterweise in Verständnislosigkeit und in dieser ekelhaften Abgestumpfheit badet, aber vielleicht kommt das auch wegen der Masse an Horror, vielleicht kann man ihnen keinen Vorwurf machen.

Der Tag, als meine Frau einen Mann fand

Ein paar Schritte weiter, vorbei an Cosplayspielern, großen Kameras, Regieanweisungen, orientierungslosen Omis und Opis, und aufgerissenen Augen, sitzt dann Sibylle Berg auf der Couch. Im Gepäck hat sie schwarze Plastikschuhe (in ihrer Wahlheimat, der Schweiz, ist nämlich alles so teuer, deshalb hat es heute nur für die gereicht), hochgesteckten Haaren und dem Schalk im Nacken. Als sie beginnt zu sprechen, interessiert mich ihr neues Buch herzlich wenig, auch wenn das bestimmt sehr dufte sein soll. Berg beherrscht diese künstlerische Zwanglosigkeit, mit der entweder perfekt gespielten oder sehr tief verinnerlichten Nonchalance, die ich mir in beiden Fällen auch mal angewöhnen sollte.

Egal, in Der Tag, als meine Frau einen Mann fand hat jedenfalls das Vorzeigepärchen, das wohl doch keins ist, schon lange keinen Sex mehr gehabt. Oh Schreck. Aber stop, nicht so schnell, die beiden sind deshalb nicht zwingend frustriert oder unglücklich. Zumindest nicht am Anfang, das ist Berg ganz wichtig. Als die punktuelle Langeweile der Beziehung mal kurz ins Publikum überspringt und irgendwelche Knalltüten gehen wollen, reißt Berg die Hände in die Luft und schreit: “Stop! Der Sex kommt jetzt! Bleibt sitzen! Sein Penis war sooooo groß und er drang mitten…” Gelächter. Die Knalltüten bleiben und ihrem kollektiven Grinsen nach zu urteilen bereut es niemand.

Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen

Mit tanzen allein sind die diplomatischen und persönlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel zwar nicht zu kitten, aber es ist ein symbolträchtiger Anfang. Ein Teil der Autoren des Erzählbandes, Amichai Shalev, Eva Menasse und Norbert Kron erzählen gerade davon, wie sie persönlich mit dem oft zu schweren Erbe der Vergangenheit umgehen. Irgendwie ist die Bewältigung doch Teil der Identität und Hauptbestandteil der Fragen, die schon ein ganzes Leben im Kopf herumschwirren und ohne die man sich selbst vielleicht auch verlieren würde. Menasse erzählt auf eine schwindel erregend offene Art von der Zerissenheit, die sich einem unweigerlich fühlt, wenn die Eltern aus zwei verschiedenen Ländern (Israel und Österreich) kommen, man in einem wieder anderen (Deutschland) lebt. Die Kälte der Menschen kriegt sie stellenweise immer wieder zu spüren, ebenso wie die Erkenntnis, dass keines der drei Länder ein richtiges Zuhause ist. Und so wiegt die Vergangenheit auch nach Jahrzehnten manchmal noch schwer, aber zum Glück lässt sich ja zumindest ein Teil beim Tanzen abwerfen. Und mit dem Rest kann man Menschen von Gefühlen und Ängsten erzählen, die in keinem Geschichtsbuch der Welt stehen und die Realität aber umso besser erklären.

Who the fuck is Kafka?

Bei Lizzie Doron gehts auch um Israel, das ist nämlich der Schwerpunkt der Messe. Eigentlich spricht sie aber mehr über Kunst, Eifersucht und wie es sich anfühlt, als israelische Schriftstellerin mit dem Palästinenser Nadim in Jerusalem herumzutänzeln – und an einem gemeinsamen Projekt zu arbeiten. Langweilig, einfach und so ganz ungefährlich war das nie. Doron plaudert fröhlich aus dem Nähkästchen, offenbart, dass sie mal ziemlich eifersüchtig war als Nadim mit einer Anderen flirtete, obwohl der eigentlich sowieso verheiratet ist, und sie temporär links liegen ließ. An dem Abend war sie kurz davor, alles hinzuschmeißen. Autsch. Diese Dosis Verletzlichkeit steht der Dame ganz hervorragend und ist irgendwas zwischen leichtsinnig, erwachsen, beneidenswert und mutig. 

Bei der Buchpremiere von André Herrmanns Klassenkampf hab ich mich schlapp gelacht, so richtig mit Bauchweh und Tränen in den Augen, das tat gut bei all dem Ernst; bei Harald Martenstein und seinen vermeintlichen Tipps für erfolgreiche Kolumnisten vehement den Kopf geschüttelt. Irgendwann musste das ja passieren.

Am Schauspiel Leipzig lief abends Enrico Lübbes Inszenierung von Richard Yates’ Zeiten des Aufruhrs. Der Saal gefüllt mit schönen Menschen, der Kopf mit Fragezeichen, geht der Vorhang hoch und eine große Tafel mit “Live in the Suburbs, train fares are so cheap!” leuchtet auf. Es wird viel geschwiegen, getobt, und sich auf das Wesentliche konzentriert: Die hoffnungslose Leere der Bewohner der Revolutionary Road. Zwei volle Eimer aus Rhabarberschorle, salzigen Tränen und aufsteigender Panik irgendwann aus Versehen das Leben von April und Frank Wheeler zu führen, spülen vier Stunden später das ganze Konfetti wieder aus meinem Kopf. Alles, aber bitte nie den Idealismus verlieren, dass ein kleiner Mensch mit zwei Armen und zwei Beinen und zu vielen Flausen im Kopf die Welt verändern kann; oder den Willen, Flugtickets ans andere Ende der Welt zu kaufen wenn man in einer Sackgasse angekommen ist; oder auch mal zu gehen wenn man vor lauter Gleichgültigkeit nicht mehr atmen kann. Alles, aber bitte nie am eigenen Leben ersticken. Hallöchen klare Sicht, schön, dich nach 22 Jahren auch mal zu treffen. 

Den Kloß im Hals, der es sich mal wieder die ganze Nacht bequem gemacht und mich gekonnt von zu viel Luftmatratzenschlaf am Stück abhielt, haben Mario und Bourquet (oder so) am Morgen danach dann entfernt. Mario unterhielt sich in der Tram eigentlich angeregt mit einem betrunkenen Franzosen über Pfandflaschen und sein Zuhause (irgendwo im Zentrum, ist übrigens ganz schön da). Als ich mich aus Versehen in die geistreiche Unterhaltung („Trinkst du da Pisse?“) einmische, kommt Bourquet zu mir geeilt, kniet sich wackelnd hin, und drückt einen feuchten Liebesbeweis aus Sabber und Wodka auf meinen Handrücken. So viel Zuneigung vor 8 Uhr, ich dreh durch! Und weil es nur noch drei Stationen bis zum Hauptbahnhof sind, quetschen wir drei so viel wildes Gestikulieren, Dönerphilosophien und aneinander Voreinanderreihen in unsere Sätze wie möglich. Mario ist Langzeitstudent, das Fach weiß er gerade aber nicht so genau. Wir einigen uns jedenfalls auf sein nächstes Forschungsprojekt: Leben. Wird nicht besonders ästhetisch, aber spannend. Er sieht gut aus mit seinem glänzenden, weißen Sacko und etwas buntem, das einer Lillifee Schultüte sehr ähnlich sieht. Die Schultüte wird die ganze Fahrt über mit beiden Händen beschützt, wenn er mehr hätte, würde er die auch noch nehmen, aus Angst der betrunkene Schlawiner neben ihm könnte reinbeißen oder reinkotzen. „Wird das noch mit Konfetti gefüllt oder was?“ „Nee, da kommen gleich Bücher rein.“ Vielleicht sind Buchstaben auf lange Sicht ein bisschen gehaltvoller als Konfetti. Schlauer Mann.

Während ich ihm das Neue von Arno Geiger aufschwatze, wenn verknallt, dann doch bitte richtig, pinselt mir Mario Puder auf die Wangen, das zählt nämlich nicht zu meinen Stärken, und diagnostiziert – nach ausführlichen Schilderungen nächtlicher Schlaflosigkeit auf der Luftmatratze meinerseits und einem juckenden Hals, den er hopps dazu erfand – Flöhe. Medizin hat er wohl auch mal studiert. Können Sie meine Augenringe auch schnell überpinseln, Herr Doktor? Auf einmal tut Mario das mit den Flöhen ganz schrecklich leid, ich pruste das ganze Abteil zusammen während die Sprecherin, die in Leipzig zum Glück nicht Veronica Ferres oder Katja Riemann ist, den Hauptbahnhof ankündigt. Hier gefällts mir nicht so gut. “Sorry Caro, manchmal kommt das Arschloch so durch! Und neurotisch bin ich irgendwie auch.” Tschüssi du Süßer, war schön mit dir! Und Leipzig, mit dir sowieso. 

Jetzt noch schnell 12 Bücher, die entweder schon neben meinem Bett, auf dem Kindle, oder mit rotem Filzstift auf der “Wichtiger als Brot, ab in den Buchladen! Sofort!” Liste stehen:

Julia Wolf: Alles ist jetzt
Charles Chadwick: Die Frau, die zu viel fühlte
Nickolas Butler: Shotgun Lovesongs
Ulla Lenze: Die endlose Stadt

André Herrmann: Klassenkampf

Norbert Kron, Amichai Shalev, Barbara Linner: Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen
Arno Geiger: Selbstporträt mit Flusspferd
Sibylle Berg: Vielen Dank für das Leben
Eva Menasse: Quasikristalle
Bodo Kirchhoff: Die Liebe in groben Zügen

Lizzie Doron: Who the fuck is Kafka?

Juli Sand: Immer wenn es regnet


Von Caroline Schmitt.

Caroline Schmitt

Caro ist 22, freie Journalistin und nach drei Jahren Achterbahnfahren in London erst aus Versehen, dann aber mit Vollkaracho und Konfetti in Berlin gestrandet. Manchmal wacht sie morgens auf und es regnet Fragezeichen, manchmal hört die Welt mitten in der U8 auf Sinn zu machen, manchmal schmeckt auch der beste Döner Weddings eher ungut, aber an diesen Tagen klappt das mit der Inspiration umso besser. Immer krassgeilcrazy ist ja öde. Caro schreibt über Sozial-, Reise- und Herzthemen, gern auf Kassenzettel, manchmal in Magazine und oft ins Internet. Die Wörter enthalten dann alle mindestens drei Prisen zuviel Idealismus. Hupsi. Hier lang geht’s zu ihrer Website. Und hier zu Instagram. 

Mehr von

Related