Manchmal möchte ich mein Handy in ein Glas Weißwein tunken, vor allem dann, wenn es unter einem meiner Instagram-Bilder wieder rund geht, wenn dort vor lauter qualifizierter Meinung und guter Manieren die Funken und Emoticons fliegen. Das sieht dann zum Beispiel so aus: Xy: Eames Chair Overkill. Leider sieht’s bei sehr vielen genau so aus. Was regt die sich denn so auf, fragt ihr euch jetzt, nicht etwa xy, sondern ich, ist doch halb so wild, fast niedlich nett. Und recht hat sie ja! Nein, das ist nicht nett, wirklich nicht. Das ist zunächst einmal sehr nervig. Weil es nämlich immer wieder passiert. Die Frage ist doch: Was will diese fremde Person uns und mir mit ihrer von digitaler Anonymität produzierten Unverfrorenheit mitteilen? Was wollen uns überhaupt all diese snobistischen Naserümpfer mitteilen, die immer lauter gegen den ultimativen Kassenschlager von Hermann Miller und dem Design-Duo Eames vorgehen?
Nicht viel. „Ihr seid Wohn-Klone“ zum Beispiel. „Ihr doofen Mitläufer.“ Oder „Ihr seid so cool wie ein heißer Hagebuttentee.“ Was sie uns außerdem wissen lassen: Sie regen sich furchtbar gern über Dinge auf, die sich außerhalb ihrer Zuständigkeitsbereiche befinden und wissen dabei mit großer Wahrscheinlichkeit nicht einmal, weshalb. Man könnte jetzt natürlich Vermutungen anstellen. Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass die jeweils verärgerte Person selbst überaus gern einen Plastic Chair von Charles und Ray Eames neben ihrem Teak-Sideboard platzieren würde. Wäre da nicht das Ego samt Credo „Masse hat wenig klasse“ (Siehe auch: Ich darf was, was du nicht darfst, ein Phänomen emotional aufreibender Besitzansprüche, die jeder kennt, der einen Exfreund hat oder die Ramones auf H&M-T-Shirts hat zugrunde gehen sehen). Dass man besagtes Sitzobjekt unter den gegebenen Umständen gar selbst noch schön finden könnte – ausgeschlossen. Und wir, das Internet, unsere Sozialisierung und die Normung der Geschmäcker sind selbstverständlich Schuld daran, denn Gleich und gleich gesinnt sich gern, wer in ähnlichen sozialen Milieus fischt, weist meist einen ähnlichen Geschmack vor, behauptet die Psychologie. Bingo. Und das soll jetzt schlimm sein?
Ich verehre den Kabarettisten und Musiker Rainald Grebe noch immer für seine ehrliche Antwort auf die BrandEins-Frage, wie es sich anfühle, wenn man überall Leute sieht, die das gleiche machen wollen wie man selbst: „Ja, scheiße. Man will ja der Einzige sein. Das ist wie auf Safari. Man würde jetzt gerne das einzigartige Naturerlebnis haben, aber dann stehen schon acht Jeeps da, und alle fotografieren die gleichen Antilopen.“ Es ist also kein Zufall, dass auch der Eames Stuhl vier Beine hat.
Personen wie XY fühlen sich auch deshalb erhaben, weil sie nicht Eames, sondern Arne Jacobsen, Ikea, Thonet oder Eiermann verehren, weil sie „Vintage“ shoppen, statt Katalogware zu erstehen. Viel mehr als ein arrogantes Lächeln für sämtliche Eames-Jünger dieses Planeten haben sie ohnehin nicht übrig, der Individualitätsverlust selbiger scheint mit dem Erstehen eines organisch geformten Stücks Design-Historie schließlich so gut wie besiegelt. Ohnehin lachen sie sich beim Betrachten ver-Eamster Wohnungen nur abwertend in ihre Anti-Hipster-Fäustchen und vergessen dabei einmal mehr, dass sie überaus gut daran täten, Gelassenheit in ihr Leben einkehren zu lassen. Vor allem dem eigenen Seelenfrieden zuliebe. Gaffende Nachbarn sind nicht umsonst tendenziell unbeliebt.
Was zur Folge hat, dass ich diesen Leuten gern sanft den Kopf tätscheln und ihnen überfreundlich „Das wird schon wieder“ ins Ohr säuseln würde. Ich möchte ihnen gerne sagen, dass sie Freunde von Freunden wirklich und wahrhaftig aus ihrer Leseleiste streichen können, sollten all die AD-tauglichen Wohnungen tatsächlich für erhitzte Gemüter sorgen. Das kann ja nicht gesund sein, immer wieder mit hochrotem Kopf vor dem Bildschirm zu kleben. Ich möchte ihnen sagen, dass auch ein Leben ohne Instagram lebenswert ist, dass ein Tag ohne Blogbeiträge kein verlorener Tag ist. Das Risiko morgen schon wieder über einen dieser unerträglichen Arm Chairs zu stolpern, ist einfach zu groß.
Richtig ist, dass ein Eames Plastic Chair spätestens seit seinem Revival gewiss kein Ausdruck mehr von Avantgarde oder Design-Elitismus ist. Wer sich trotzdem dazu entschließt, mit diesem bestechend schönen, universellen Stuhl, der wie viele andere Entwürfe etwa 60 Jahre brauchen sollte, bis er den Weg von einem zeitgenössisch ambitionierten Stück, über eine Phase großen Erfolgs, den Abstieg ins Altmodische, bis hin zu einem Revival als unantastbarer Klassiker zurückgelegt hatte, zusammen zu wohnen, der hat aber immerhin die Gewissheit, dass für ihn ein großartiger Entwurf nicht bloß deshalb an Wert verliert, weil ihn auch andere schätzen. Danke, Markus Frenzel. Auf dass wir uns alle Ihre weisen Worte zu Herzen nehmen mögen.