Vor ein paar Wochen lud das H&M Starting House zu einer Gesprächsrunde im kleinen Kreis, eigentlich sollte sich alles um die Entwicklung von innovativen Designkonzepten drehen, am Ende zerpflückten Donald Schneider, Global Creative Director von H&M, Hien Le, Berliner Modedesigner und Dirk Staudinger, Gründer der Kreativ-Agentur Cc, die unter anderem Marken wie Nike, Apple oder Chanel zu ihren Kunden zählt, aber das Glatteis-Thema der möglicherweise schwindenden Trends. Gibt es überhaupt noch Trends im Jahr 2015 und wenn ja, wie findet man sie, wie sehen wie aus? Unentschlossenheit. Zum allerersten Mal stand ich selbst so sehr auf dem Schlauch, das mir irgendwann das Hirn rauchte. Erst zustimmendes Nicken, dann verzweifeltes Schielen. Stellt doch meine Welt jetzt nicht auf den Kopf. Ein paar Mal wollte ich widersprechen, was ich dann aus Respekt und Realismus allerdings doch nicht tat, schließlich mischen Donald, Dirk und Hien ganz vorne mit.
Abspecken
Zunächst einmal schien alles ganz logisch. Wir leben in einer Gesellschaft des Überflusses, da ist es nur folgerichtig, dass man sich irgendwann Luft machen muss. Sich von Ballast befreien und auf das Wesentliche zurück besinnen, aufräumen. Es geht vor allem um Reduktion, um Minimalismus als Lebenskonzept. Detox, nicht nur im Smoothie, sondern überall. Soziale Medien dienen als Spiegel der schneeweißen Bewegung: Viel Raum, wenig Klimbim, ein paar drapierte Bücher im ordentlich kuratierten Regal, kein Knüngel, nur Ordnung. Kleiderstangen als Accessoire, geschmückt mit gleichfarbigen Hemden, daneben Sneaker in unaufdringlichen Eierschalen-Tönen. Die Geburt von Normcore, einem Stil, der von Basics, statt Individualität genährt wird. Man könnte fast meinen, wir seien dem Spaß am Konsum über und lebten schlussendlich in einem Zustand der Befreiung. Das anzunehmen wäre allerdings fatal; wahrscheinlicher ist, dass das Wettrüsten der makellosen Ästhetik gerade erst begonnen hat. In unserer und eurer Welt, versteht sich. Die restlichen 95% der Menschheit werden vorerst ausgeklammert. Ganz sicher nicht aus böser Absicht, aber an diesem Abend sprechen Opinion Leader über Opinion Leader. Auch ein paar Early Adopters haben hin und wieder noch was zu melden, dabei „ist es eigentlich längst zu spät, sobald man einen Trend auf irgendeinem Foto erkennt.“ Na, was denn jetzt, frage ich mich. Werden wir nicht seit Jahren vom Minimalem erschlagen, in allen Bereichen? Kleidung, Musik, Lebensräume – der gemeine Internet-Juppie kleckert doch nur noch statt zu klotzen.
Der Spieß dreht sich um
Ich halte also inne, schlucke, schaue fragend zu meinem Sitznachbar rüber, in der Hoffnung ein paar Fragezeichen über seinem Kopf dampfen zu sehen, aber nein, eifriges Nicken. Mir dämmert, dass ich nichts kapiert habe. Dass ich das, was hier passiert, immer weniger verstehe, dass ich dem Status Quo keine Nasenlänge mehr voraus zu sein und in einem Paralleluniversum zu existieren scheine. Hätte man mich nämlich nach dem gerade aufbrodelnden Mega-Trend gefragt, ich hätte das Gegenteil von vielem Vorangegangen behauptet. Schlichtheit ist zwar präsent wie nie zu vor, aber fangen wir nicht langsam an, uns zu langweilen? Ich schon und ihr bestimmt auch. Wobei Langeweile im besten Fall auch die Abwesenheit von Stress bedeutet. Es könnte also schlimmer sein.
In Gedanken gelange ich zu der 70er-Jahre Übersättigung, die gerade auf sämtlichen Blogs und in jedem zweiten Advertorial durchgepeitscht wird. Zu Recht – aus Gründen, die ich hier bereits erwähnte und dieser kitzeligen Sehnsucht nach weniger Geradlinigkeit und mehr optischem Spaß. Ich finde übrigens nicht, dass es hierbei um Personalisierung geht, man muss wirklich nicht unbedingt einzigartig sein, was dank der Globalisierung und Digitalisierung ohnehin ein nahezu unmögliches Unterfangen ist und allzu oft im Schein-Individualismus mündet – aber mehr Mut wäre gut. Und mehr Gemütlichkeit fernab von Turnschuhen.
Mehr sein
Was ich derzeit beobachte, ist außerdem Spiritualität. Natürlich auch wieder eine logische Weiterentwicklung des Körper- und Ernährungsbewusstseins, aber eine, die sich nicht nur in Yogastunden äußerst, sondern auch in Makramees, Indianerschmuck und Traumfängern. Da ist ganz viel Fernweh, Marrakesch dient als Inspirationsquell schechthin und der Kaktus steht längst nicht mehr auf Marmorplatten, sondern auf bunten Kelim-Teppichen. Das ist nur eine Seite der Medaille, aber immerhin jene, die bezeugt, dass wir vielleicht doch lieber heimelig werden, statt in leeren Räumen, Minimal-House-hörend zu vertrocknen. Nicht umsonst erlebt Psychedelic Rock seit einigen Saisons ein Come Back. Es scheint, als hinge die Sau, die endlich raus gelassen werden muss, schon etwas länger in der Pipeline fest. In allen Bereichen. Mehr Kunst an Wänden, mehr Klimbim in Schränken, mehr Sein in der eigenen Wohnung und am Körper, mehr Pizza, mehr Echtheit, mehr Fehler, mehr Makel, mehr Durchdrehen.
Vielleicht sind echte Trends wirklich tot, weil die Menschen verschieden sein dürfen und sollen und wollen. Vielleicht sind tendenzielle Trends so lebendig wie nie, weil die Menschen überall Gleichgesinnte finden können, und weil ähnliche Geschmäcker jeden Tage neue Trend-Cliquen formen.
Hien Lie findet: „Trends haben immer weniger Bedeutung, viel wichtiger ist es, seinen eigenen Stil zu finden und weiter zu entwickeln.“ Womöglich wird dem Begriff „Trend“ aber auch einfach zu viel Gewicht unter gejubelt, wahrscheinlich ist er längt überholt, vielleicht passt die Definition nicht mehr zum Ist-Zustand, denn ohne Trends im weitesten Sinne keine Marktforschung, kein Verstehen der Konsumenten, keine Weiterentwicklung, kein Zusammengehörigkeitsgefühl, nur Stillstand. Einigen wir uns also vorerst darauf, dass es ist in jedem Fall ziemlich zeitgeistlich ist, sich überdurchschnittlich intensiv mit allen Bereichen der eigenen Existenz zu beschäftigen, dass Eitelkeit zur Norm avanciert. Ich verurteile das keineswegs. Ist es nicht richtig, für maximale Schönheit zu sorgen, wenn man doch nur dieses eine Leben hat?