Die Berliner Modewoche kannibalisiere sich selbst, heißt es oft und vielleicht liegt sogar ein bisschen Wahrheit in all den polemischen Worten, die durch Feuilletons geschmettert werden, sobald auf dem letzten Laufsteg das Licht aus geht. Womöglich wäre es sogar gut, würde sie sich selbst verspeisen, die acht Jahre junge Fashion Week. Um nochmal ganz von vorn anfangen zu können, als frisch geschlüpftes Küken, das sein heimeliges Ei noch kennt und liebt, statt ständig vergebens gen London, Paris und Mailand zu straucheln. Wie Baby-Phoenix aus der Asche – ohne Guido Maria Kretschmar und Lampenschirme von Michalsky. Möglich auch, dass sich die Berliner Fashion Week ganz einfach selbst vertilgt, weil sich sonst niemand da draußen für die Designdelikatessen aus Deutschlands Hauptstadt interessiert. Wie auch, wo sich die Modewoche doch ständig mit allerhand Geschmacklosigkeiten und Trash-Gästen vollstopft oder fremdfüttern lässt, von deren Existenz gerade einmal der findigste aller In Touch-Redakteure weiß. Jetzt droht sie schließlich, am Cocktail der Irrelevanz zu ersticken. Und wen wundert’s? Wahrscheinlich am meisten die Designer selbst. Mit denen ist nämlich kaum jemand ehrlich.
Oder wie kann es sein, dass nach 95% aller Schauen nur eine einzige große Frage mehr oder weniger laut im Raum steht: Warum? Warum nur glaubst ausgerechnet du, dass die Welt auf deine Kreationen gewartet hat? Am Ende liest man trotzdem wieder wenig von ungenierter Aufrichtigkeit und konstruktiver Kritik, sondern fast ausschließlich über „wundervoll fließende Seidenkleider“. Dass COS dem Ganzen längst drei Jahre voraus ist, wird aus Höflichkeit verschwiegen. Genau wie die Tatsache, dass man als Designer_in nunmal auch wirtschaftlich denken muss. Kann man das selbst nicht, muss man sich in versierte Hände begeben, aber auch das scheint in vielen Fällen nach hinten los zu gehen. Nach echter Kompetenz muss man in Berlin schon etwas graben. Stattdessen trifft man auf Angeber, die ganz groß darin sind, sich irgendwie durchzumogeln. Mit Halbherzigkeit verhält es sich aber wie mit Lügen: Auf kurzen Beinen gelangt man nur äußerst selten nach ganz oben. Die Halbwertszeit unserer Designer ist dementsprechend gering, viele hissen irgendwann die weiß Fahne, machen Schmuck oder lassen sich auf fragwürdige Kooperationen ein, um die Atelier-Miete zahlen zu können.
Eine PR-Dame, deren Name ich hier aus Respekt nicht nennen werde, fragte mich jüngst, wie man es als Journalistin aushält, ständig mit Scheuklappen zu schreiben. Was sie meinte war der große Leerraum zwischen internationaler und nationaler Qualität. „Ist es richtig, Lobhudeleien an Designer zu verteilen, die im Vergleich zum Rest der Welt doch nur ein tristes Leben zwischen schlecht verarbeiteten Kleidungsstücken fristen, bloß weil sie für „die Deutschen“ ganz gute Arbeit leisten? Schwierige Frage. Muss man nicht auch fördern, ab und an ein Auge zudrücken, wohlgesonnen bleiben? Ja. Bloß läuft irgendwann der Welpenschutz aus. Da kommt schonmal die Vermutung auf, dass echtes Talent sich auf lange Sicht sowieso vom Berliner Acker macht. Adieu, Achtland. Auch Vladimir Karaleev zeigt seine Kollektion für den kommenden Sommer ausschließlich im Berliner Modesalon. Alles andere lohne sich nicht mehr, die international wichtigen Stimmen lungerten sowieso bei den Haute Couture Schauen rum und die meisten Einkäufer ordern bekanntlich lieber in Paris. Dennoch ist nicht alles hier von schlechten Eltern:
Marina Hoermannseder
Marina Hoermannseder bleibt der Stadt, die ihr eine Chance gegeben hat, treu, Hien Le auch, Lala Berlin sowieso. Dorothee Schumacher kann sich plötzlich mit großen Designhäusern messen, jedenfalls ist das Potential da. Locations fernab des Zelt-Teppichbodens zeugen von Respekt gegenüber der Protagonisten und der Materie, der Kronprinzenpalais zum Beispiel oder die Sophiensäle. Die ZEITmagazin Konferenz diskutiert wichtige Impulse der Branche und lädt Modekritiker Tim Blanks zum Gespräch. Der oben bereits erwähnte Modesalon präsentiert die spannendsten deutschen Nachwuchstalente, darunter Tim Labenda oder Perret Schaad, sorgt für persönlichen Austausch und eine familiäre Atmosphäre, hier geht es darum, die Mode zu sehen, nicht darum, selbst gesehen zu werden. Reicht das nicht? Muss es immer ein Runway sein, ein Zelt plus Maniküre-Ecke, in dem sich ohnehin niemand gern aufhält, der nicht regelmäßig auf RTL II zu sehen ist? VOGUE-Mama und Chefredakteurin Christiane Arp hat im letzten Jahr eine Lobby für die deutsche Mode gegründet – das German Fashion Council, das immerhin zwei unserer größten Talente fördert: Das besagte Wunderkind Marina und Nobi Talai. Manch ein Schwarzmaler der Branche pöbelt auch hier wieder „Nur Imagepflege!“ in die Champagnerrunden der Aftershowparties. Ist mir aber lieber als Verwahrlosung.
Nobi Talai
Wenn man meckert, wird zwangsläufig nach Verbesserungsvorschlägen gebohrt. Die Antworten fallen unterschiedlich aus: Mehr Geld in Talente stecken, statt in den VIP-Lounge-Ausblick auf das Brandenburger Tor, hört man da, jemand sollte endlich ein ernstes Wörtchen mit Mercedes-Benz reden, sonst hat es sich irgendwann ohnehin aus-gezeltet. Weniger Pink und Protz, mehr Charme und Melone. Kein Blingbling, dafür Hinterhöfe und Kunst. In einem Punkt ist man sich aber zumindest intern einig: „Schuster, bleib bei deinen Leisten“, lautet das Mantra. Oder: „Berlin, bitte sei doch einfach wieder du selbst.“