Recap // Fashion Week
– Berlin, sei doch einfach mal du selbst

13.07.2015 Mode, box1

11363625_1457672044529639_64804768_nDie Berliner Modewoche kannibalisiere sich selbst, heißt es oft und vielleicht liegt sogar ein bisschen Wahrheit in all den polemischen Worten, die durch Feuilletons geschmettert werden, sobald auf dem letzten Laufsteg das Licht aus geht. Womöglich wäre es sogar gut, würde sie sich selbst verspeisen, die acht Jahre junge Fashion Week. Um nochmal ganz von vorn anfangen zu können, als frisch geschlüpftes Küken, das sein heimeliges Ei noch kennt und liebt, statt ständig vergebens gen London, Paris und Mailand zu straucheln. Wie Baby-Phoenix aus der Asche  – ohne Guido Maria Kretschmar und Lampenschirme von Michalsky. Möglich auch, dass sich die Berliner Fashion Week ganz einfach selbst vertilgt, weil sich sonst niemand da draußen für die Designdelikatessen aus Deutschlands Hauptstadt interessiert. Wie auch, wo sich die Modewoche doch ständig mit allerhand Geschmacklosigkeiten und Trash-Gästen vollstopft oder fremdfüttern lässt, von deren Existenz gerade einmal der findigste aller In Touch-Redakteure weiß. Jetzt droht sie schließlich, am Cocktail der Irrelevanz zu ersticken. Und wen wundert’s? Wahrscheinlich am meisten die Designer selbst. Mit denen ist nämlich kaum jemand ehrlich.

Oder wie kann es sein, dass nach 95% aller Schauen nur eine einzige große Frage mehr oder weniger laut im Raum steht: Warum? Warum nur glaubst ausgerechnet du, dass die Welt auf deine Kreationen gewartet hat? Am Ende liest man trotzdem wieder wenig von ungenierter Aufrichtigkeit und konstruktiver Kritik, sondern fast ausschließlich über „wundervoll fließende Seidenkleider“. Dass COS dem Ganzen längst drei Jahre voraus ist, wird aus Höflichkeit verschwiegen. Genau wie die Tatsache, dass man als Designer_in nunmal auch wirtschaftlich denken muss. Kann man das selbst nicht, muss man sich in versierte Hände begeben, aber auch das scheint in vielen Fällen nach hinten los zu gehen. Nach echter Kompetenz muss man in Berlin schon etwas graben. Stattdessen trifft man auf Angeber, die ganz groß darin sind, sich irgendwie durchzumogeln. Mit Halbherzigkeit verhält es sich aber wie mit Lügen: Auf kurzen Beinen gelangt man nur äußerst selten nach ganz oben. Die Halbwertszeit unserer Designer ist dementsprechend gering, viele hissen irgendwann die weiß Fahne, machen Schmuck oder lassen sich auf fragwürdige Kooperationen ein, um die Atelier-Miete zahlen zu können.

Eine PR-Dame, deren Name ich hier aus Respekt nicht nennen werde, fragte mich jüngst, wie man es als Journalistin aushält, ständig mit Scheuklappen zu schreiben. Was sie meinte war der große Leerraum zwischen internationaler und nationaler Qualität. „Ist es richtig, Lobhudeleien an Designer zu verteilen, die im Vergleich zum Rest der Welt doch nur ein tristes Leben zwischen schlecht verarbeiteten Kleidungsstücken fristen, bloß weil sie für „die Deutschen“ ganz gute Arbeit leisten? Schwierige Frage. Muss man nicht auch fördern, ab und an ein Auge zudrücken, wohlgesonnen bleiben? Ja. Bloß läuft irgendwann der Welpenschutz aus. Da kommt schonmal die Vermutung auf, dass echtes Talent sich auf lange Sicht sowieso vom Berliner Acker macht. Adieu, Achtland. Auch Vladimir Karaleev zeigt seine Kollektion für den kommenden Sommer ausschließlich im Berliner Modesalon. Alles andere lohne sich nicht mehr, die international wichtigen Stimmen lungerten sowieso bei den Haute Couture Schauen rum und die meisten Einkäufer ordern bekanntlich lieber in Paris. Dennoch ist nicht alles hier von schlechten Eltern:

marina hoermanssederMarina Hoermannseder 

Marina Hoermannseder bleibt der Stadt, die ihr eine Chance gegeben hat, treu, Hien Le auch, Lala Berlin sowieso. Dorothee Schumacher kann sich plötzlich mit großen Designhäusern messen, jedenfalls ist das Potential da. Locations fernab des Zelt-Teppichbodens zeugen von Respekt gegenüber der Protagonisten und der Materie, der Kronprinzenpalais zum Beispiel oder die Sophiensäle. Die ZEITmagazin Konferenz diskutiert wichtige Impulse der Branche und lädt Modekritiker Tim Blanks zum Gespräch. Der oben bereits erwähnte Modesalon präsentiert die spannendsten deutschen Nachwuchstalente, darunter Tim Labenda oder Perret Schaad, sorgt für persönlichen Austausch und eine familiäre Atmosphäre, hier geht es darum, die Mode zu sehen, nicht darum, selbst gesehen zu werden. Reicht das nicht? Muss es immer ein Runway sein, ein Zelt plus Maniküre-Ecke, in dem sich ohnehin niemand gern aufhält, der nicht regelmäßig auf RTL II zu sehen ist? VOGUE-Mama und Chefredakteurin Christiane Arp hat im letzten Jahr eine Lobby für die deutsche Mode gegründet – das German Fashion Council, das immerhin zwei unserer größten Talente fördert: Das besagte Wunderkind Marina und Nobi Talai. Manch ein Schwarzmaler der Branche pöbelt auch hier wieder „Nur Imagepflege!“ in die Champagnerrunden der Aftershowparties. Ist mir aber lieber als Verwahrlosung.

Nobi TalaiNobi Talai 

Wenn man meckert, wird zwangsläufig nach Verbesserungsvorschlägen gebohrt. Die Antworten fallen unterschiedlich aus: Mehr Geld in Talente stecken, statt in den VIP-Lounge-Ausblick auf das Brandenburger Tor, hört man da, jemand sollte endlich ein ernstes Wörtchen mit Mercedes-Benz reden, sonst hat es sich irgendwann ohnehin aus-gezeltet. Weniger Pink und Protz, mehr Charme und Melone. Kein Blingbling, dafür Hinterhöfe und Kunst. In einem Punkt ist man sich aber zumindest intern einig: „Schuster, bleib bei deinen Leisten“, lautet das Mantra. Oder: „Berlin, bitte sei doch einfach wieder du selbst.“

8 Kommentare

  1. Marieke

    Ein sehr gelungener Text, wie ich finde. Ich selbst interessiere mich sehr für Mode und verfolge jede Modewoche mit Begeisterung (ob nun national oder international, Haute Couture oder Prêt-à-porter). Und ich muss sagen, mir fehlt es sehr, dass nur so wenig davon berichtet wird. Neben eurem Blog gibt es kaum jemanden, der sich wirklich mit der Mode auseinandersetzt. Mich interessiert die Mode, die möchte ich gerne sehen, über die möchte ich lesen. Und keine Sektflöte bei Instagram in deren Hintergrund man die Location und eventuell ein Outfit erahnen kann, mit den Worten geschmückt „awesome collection“. Und eben das sehe ich als großes Problem an. Eine Modenschau wird als Event angesehen um sich selbst darzustellen. Die Arbeit der Designer gerät in den Hintergrund, wird fast lachhaft uninteressant. Berlin hat viel Potential, nur muss man der Stadt und den Designern auch den nötigen Respekt entgegen bringen. Ich bin eigentlich eine stille Leserin, aber nun wollte ich doch mal schreiben: Bitte bleibt so ehrlich, wie ihr seid. Denn deshalb komme ich täglich wieder und lese eure Beiträge. Alles Liebe, Marieke

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  2. j

    danke, nike! ich schreibe in dieses kommentarfeld nie nie nie was rein, aber nun muss ich. ich arbeite selbst in der mode und verstehe die existenz der berliner modewoche nicht. das ist aber gar nicht böse gemeint, wie manch einer direkt denken möchte. „schuster bleib bei deinen leisten“ – du hast so recht. berlin ist nicht paris oder mailand, aber das muss es doch auch gar nicht! und das ist doch auch nicht schlimm! berlin ist doch nicht minderwertiger deswegen! diese ständigen vergleiche und bewertungen.. ich fand einige kollektionen der designer auf der berliner fashion week toll, diese hätten aber auch das potenzial woanders erfolgreich zu werden. wozu immer nur dieses „support your local heroes“, wenn´s nunmal keine helden gibt?! das beispiel achtland finde ich da sehr interessant. die haben „zu hause“ angefangen, wie man das halt so macht. aber dann geht man halt irgendwo hin, wo man in seinem bereich erfolgreicher sein kann. london ist mehr fashion als berlin, das silicon valley mehr tech und so weiter. ich finde vieles auf der berlin fashion week ist verschwendung von ressourcen, um ehrlich zu sein. berlin ist eben keine klassische modestadt, wie paris. berlin ist halt was anderes, kann sich in ihrer noch so jungen geschichte doch ein eigenes ich aufbauen, anstatt immer nach rechts und links zu schauen. ich könnte noch ewig ausholen. eine sache, an die ich bei dieser diskussion ist auch immer, dass ich die welt gerne mehr als ganzes sehen möchte. paris und nyc meinetwegen für mode, das erwähnte silicon valley und tel aviv für start ups und techis, usw. alles nur beispiele. professionalisierung und spezialisierung spielt da eine große rolle. ich weiß, ich weiß – böse globalisierung, gute globalisierung. ich schweife aus, aber wollte doch nur kurz sagen, dass ich den artikel ganz groß finde. danke für deine konstruktive kritik.

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  3. j

    sorry fehlerchen: eine sache, an die ich bei dieser diskussion auch immer denken muss, ist, dass ich die welt gerne mehr als ganzes sehen möchte. SO soll´s sein.

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  4. Marisa

    Vielen Dank für diese wie immer wunderbar geschriebene Sicht auf die Fashion Week in Berlin! Genauso wirkt es auch auf mich als Mode-begeisterte Außenstehende auch. Kasperle-Theater… Ihr habt auf jeden Fall das intelligenteste und anspruchsvollste (Mode-) Blog Deutschlands. Ganz viel Liebe aus Hamburg, Maria

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  5. Julia-Maria

    Toller Beitrag! Der COS Einwand gegen so manch „Neues“ – so wahr. In diesem Jahr nicht dabei, habe ich mich beim öffnen so mancher Pressemitteilung ganz nüchtern gefragt, ob ich diesen und jenen Look nicht schon „in schön“ bei einer High Street Marke in diesem Sommer gesehen habe. Dabei müssen mich neue Trends (was ist das schon?!) nicht unbedingt offensiv anspringen, auch erwarte ich keine Couture auf den Berliner Schauen. Doch interessanter und in jedem Fall hochwertiger, als die aktuelle Saisonware des Schwedens sollte es schon sein.

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    1. Julia

      Finde ich auch. Wenn man sich als Journalistin über Halbherzigkeit in anderen Bereichen aufregt, sollte man in seinem eigenen Metier umso korrekter sein. Ansonsten ein sehr schön geschriebener Artikel.

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  6. Merle

    Ja, du genderst! 😀 Ich hätte euch zwar auch ohne Gendern weiterhin geliebt, jetzt tue ich es aber umso mehr. Weil ich es einfach für sehr wichtig halte und toll finde, dass ihr Kritik so ernst nehmt und euch offensichtlich damit auseinandersetzt. Danke dafür! <3

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