Meine Augen wandern über fleischig sprießende Hügellandschaften. Ich kralle mich in Juliettes Unterarm und fiepse ihr zu: „Ich sehe nackte Menschen“. All die Evas und Adams um uns lassen es mir dämmern: Die Door Policy hier im Vabali Spa ist nicht nur eine freundliche Empfehlung des Hauses, sondern knallhart Gesetz. „Unbehagen bloß nicht anmerken lassen, das riechen die“, denke ich, also wähle ich eine möglichst souveräne Pose in meinem Mikrohandtuch mitten auf der Wiese. An diesem 38 Grad heißen Sonntag würden meine liebe Freundin Juliette und ich alle clever austricksen und nämlich hier sein, hier im neuen größten Spa Europas unweit des Berliner Hauptbahnhofes, statt wie alle anderen am Baggersee.
Diese Spa-Idee hatten offensichtlich trotz alledem viele Freunde der Freikörperkultur auch. Die Liegensuche gestaltete sich entsprechend schwierig. Einem Wasserloch ähnlich, hatten es sich rund um den Pool bereits braun gebrutzelte Gazellenkörper und Buddhafiguren mit Aperol Spritz Krügen zum „für immer verweilen“ hübsch eingerichtet. Die Liegewiese ebenfalls rappelvoll, glich in meiner verschobenen Nacktstarre, in der ich mich offensichtlich befand, einem Spießrutenlauf. Jeder guckt mir doch in diesem Moment alle Nippel ab. „Hört auf damit!“
Außer Textilien sind auch Handys hier tunlichst verboten – das begrüße ich das allererste Mal im Leben sehr. Nicht auszudenken, würde hier jemand plötzlich anfangen neben mir einen zu snapchatten, instagramen oder sonst irgendwie Social Media aktiv zu werden. Und überhaupt: Hallo, wir befinden uns hier in Berlin – dem Dorf Berlin. Nicht gerade abwegig, dass hier gleich mein Postbote, meine ehemalige Mathelehrerin, mein Chef oder mein Ex und seine Neue aufschlagen. Womöglich alle zusammen – „Heureka“ – und dann stünden wir da – man begrüßt sich verlegen und ist dabei wirklich, wirklich angestrengt sich in die Augen zu gucken.
Ich stelle außerdem fest, einige Naturisten lassen es sich auf ihre Nacktheit ganz schön gut gehen. Meiner Meinung nach ein bisschen zu gut vielleicht? Ich sehe wie Seesterne ausgebreitete Gliedmaßen in der Sonne liegen und haarige Geschichten auf Frotteehandtüchern glimmern. Sehe munter wippende Silikonberge und Menschen, die im Adamskostüm PingPong Bällen nachjagen. Mein Händehandtuch wird zum rettenden Tarnumhang. Nach einer Runde durch die Saunalandschaft führt kein Weg mehr dran vorbei: Juliette zerfließt nämlich neben mir schon zu einer traurigen Pfütze – also, Augen zu und durch. In Tippelschritten tasten wir uns an den Abkühlung-versprechenden Nackidei-Pool heran. Denn auch hier herrscht die strenge und simple Vorschrift: Wer Textil trägt, fliegt.
Leute aber jetzt mal ehrlich: Obenrum, O KAY fein, da geh’ ich mit, da kommt Freude auf und hat was von Befreiung. Aber Untenrum auch splitterfasernackt? Achtung hier kommt meine innere Frau Dr. Verklemmt und die sagt: Nein, nein – nix für mich! Und auch bitte nicht für die Freischwinger um mich herum – muss das sein? Oder bin ich einfach nur wahnsinnig hinterm Mond? Ich meine, ich besuche das Berghain, in dem sich regelmäßig gegenseitig Leute vor aller Augen sehr viel Liebe schenken und dann ertrage ich aber keinen unschuldigen nackten Sonntag im Grünen? Dabei sagt man den Kindern der ehemaligen DDR doch helle Freude an Freikörperkultur nach. Was läuft da bei mir falsch? Diese Menschen hier scheinen alle doch ganz selig zu sein mit ihren mehr oder weniger baumelnden primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen.
Während Juliette quietschvergnügt wie eine kleine Nacktkatze bereits ihre zehnte Bahn durch den Nudelsuppen-Pool zieht, lehne ich noch angespannt armverschränkt und Wasser bis zum Kinn an der äußersten Ecke des Beckens im Schatten. Da verharre ich auch bockig beschämt bis mir die Bilder von dem Nackidei aus dem Kopf gehen, der sich gerade vor meinen Augen wirklich tief nach seinem heruntergefallenen Handtuch bücken musste.
Fazit: Dass mir die Augen für das ansonsten mit Sicherheit ganz hinreißende Vabali Spa anscheinend komplett verschlossen blieben, ärgert mich wie wild, zeigt aber auch: Ich kann mich weder meiner Schamgefühle noch Textilien komplett in der Öffentlichkeit entledigen – vielleicht aber doch das nächste Mal? Nacktheit braucht vielleicht einfach eine gewisse Stimmung und verdient zumindest immer eine zweite Chance.
Popobild by: Juliette Mainx & Fanny Böhme alias Eyecandy