Wir erinnern uns wahrscheinlich alle nur zu gut, dass es wirklich nicht leicht war, ein Teenager zu sein. Überschäumende Hormone, all die kleinen und großen Veränderungen, die da mit dem eigenen Körper passieren und irgendwie reicht auf einmal auch die kleinste Kleinigkeit aus, um die Emotionen mit einem Schlag hochkochen zu lassen. Vor allem als Mädchen wird es spätestens dann auch noch einmal richtig unangenehm, wenn auf einmal die halbe Welt glaubt, sich in deine Sexualität einmischen zu müssen. Denn während unsere Gesellschaft Jungs seit Jahrzehnten weiß machen will, dass es völlig in Ordnung ist, Sex zu haben, und ein echter Kerl seine Jungfräulichkeit gar nicht schnell genug verlieren kann, wird von Mädchen verlangt enthaltsam zu sein, sich aufzusparen und sich bloß nicht auf den erstbesten Kerl einzulassen. Kurz gesagt, sobald Frauen und Mädchen praktisch dazu in der Lage sind, Kinder in die Welt zu setzen, stehen sie unter permanenter Beobachtung ihrer Mitmenschen. Schließlich muss das hilflose Geschlecht ja beschützt werden.
Der britische Indie-Film „The Diary of a Teenage Girl“ will damit jetzt endlich aufräumen. Geschrieben und produziert von Frauen wird uns die Pubertät mit all ihren chaotischen Gefühlszuständen aus Sicht eines Mädchen gezeigt. Schade nur, dass gerade das in England jetzt eine Kontroverse ausgelöst hat.
Minnie Goetze, gespielt von Bel Powley, ist 15, lebt im San Francisco der 1970er Jahre und sie will Sex. Was jetzt aber vielleicht wie der Beginn einer weiteren, unnötigen Teenager-Story klingt, entpuppt sich schnell als ziemlich realistische Coming-of-Age-Geschichte, die weniger mit Klischees spielt, sondern vielmehr das authentische Bild eines pubertierenden Mädchens zeichnet. Und, zumindest ich, nehme das dem Film nur zu gerne ab. Hätte Minnie schon während meiner Pubertät die Leinwand geentert, sie wäre wahrscheinlich zu meiner absoluten Heldin avanciert. Sie ist keine Superheldin, keine Highschool-Queen. Sie ist auch nicht das Nerd-Mädchen, dass sich am Ende den Traumprinzen angelt. Minnie kommt einfach als Average-Girl daher uns wirkt bereits im Trailer dank ihrer entwaffnenden Ehrlichkeit so herrlich erfrischend.
Während die Kritiker den Streifen genau deshalb als wahre Perle loben und „The Diary of a Teenage Girl“ auch auf der Berlinale zu den absoluten Lieblingen zählte, scheinen einige Damen und Herren die Sache aber eher kritisch zu sehen. In England kassierte der Film nämlich kurzerhand eine FSK 18. Die Begründung der vornehmlich männlichen Jury: Der Plot animiere junge Frauen zu Freizügigkeit und Sex. Das sehe man als äußerst kritisch. Dabei gibt es bis auf eine Szene, in der Minnie nackt vor dem Spiegel steht, nicht einmal wirklich etwas zu sehen, dass für Teenager-Augen bedenklich wäre. Außerdem sind nackte Brüste selbst schon im Blockbuster Titanic über die Leinwand geflimmert. Wer jetzt denkt, dass das Problem die Tatsache sei, dass Minnie im Verlauf er Handlung eine Affäre mit dem erwachsenen Freund der Mutter anfängt, der sollte vielleicht mal einen Blick ins tägliche TV-Programm werfen, da werden solche Themen nämlich schon mittags gezeigt.
Der Knackpunkt scheint vielmehr ein ganz anderer, nämlich der, dass ein paar ziemlich rückschrittliche Herren, wohl so gar nichts übrig haben für eine selbstbestimmte weibliche Sexualität. Denn mal ehrlich, wie kann es sonst sein, dass – glaubt man dieser lächerlichen Argumentation – Filme wie American Pie, in denen reihenweise junger Frauen in kurzen Röcken und mit nackten Brüsten plakativ zu Sexobjekten stilisiert werden, dagegen eine FSK 12 bekommen. Selbst bei „Fifty Shades of Grey“, in dem es zusätzlich auch noch um die sexuelle Dominierung von Frauen geht, durften Jugendliche völlig legal ins Kino. Ist es etwa weniger bedenklich jungen Mädchen so ein Ideal von Weiblichkeit zu vermitteln? Oder wissen männliche Regisseure und männliche Entscheidungsträger am Ende vielleicht doch einfach mehr über die weibliche Sexualität als weibliche Autorinnen und Produzentinnen? Die Antwort dürfte wohl auf der Hand liegen.
Dabei könnte es so einfach sein, wie I-D Regisseurin Marielle Heller so treffend zitiert:
„Als Mädchen wurden wir lange Zeit so trainiert, uns mit einem männlichen Protagonisten zu identifizieren, ihre Geschichten mitzufühlen und uns in sie hinein zu versetzen. Es gibt keinen Grund, wieso wir uns nicht auf dieselbe Art und Weise mit Protagonistinnen identifizieren sollten. Sexualität ist etwas, was Mädchen und Jungs betrifft, also sollten beide Seiten dargestellt werden. Die Geschichten von Frauen sollten genauso erkundet und gefeiert werden.“
Man kann es drehen und wenden, wie man will. Offensichtlich ist die weibliche Lust auf Sex leider immer noch ein ziemlich großes Tabu in unserer Gesellschaft. Vor allem in den Mainstream-Medien. Wehe der, die es wagt, aus der pink glitzernden Scheinwelt à la Sex and City auszubrechen, um einmal ohne Cosmopolitan und High Heels an den Füßen über ihre reellen Bedürfnisse zu sprechen. Wäre ja noch schöner, wenn Frauen wirklich etwas zu sagen hätten. Wohin denn dann mit all den starken Kerlen, die doch dazu da sind, uns zu erobern und zu beschützen. Hand aufs Herz, es gibt genug Männer, die diesem alten Verständnis von Männlichkeit längst keine Träne mehr nachweinen. Nur in Hollywood scheint die Welt nur dann wirklich in Ordnung und das Schicksal der Menschheit gerettet, wenn die Frau im Film das hübsch hergerichtete Beiwerk eines männlichen Helden bleibt.
Umso mehr sollten wir uns diesen Film unbedingt anschauen. Der deutsche Kinostart ist am 24. September.
von Laura Sodano
Laura Sodano ist 28 Jahre alt und lebt im verschlafenen Bankenstädtchen Frankfurt. Gerade steckt sie mit ihrer Freundin Lola mitten in der Planung für ihr eigenes Onlinemagazin HABITS. Davor hat sie für Supreme Mag geschrieben. Um ihrem Kopfchaos rund um Kultur und Mode sonst noch Ausdruck zu verleihen schreibt sie seit 2007 ihr Blog Nanatique, arbeitet als freie Journalistin und werkelt außerdem noch an einer feministischen Doktorarbeit über den weiblichen Körper in der Popkultur.