Diary // 10 Monate Mama – ein Update

11.08.2015 Allgemein, Kolumne, Diary

„Gar nichts wird sich ändern, wenn wir groß sind“, habe ich damals behauptet, als ich den rosafarbenen Streifen auf dem Schwangerschaftstest vom Drogeriemarkt in den Händen hielt und dabei fast vom Toilettendeckel knallte, wäre mein Single-Badezimmer, in das gerade erst die Zahnbürste meines Freundes eingezogen war, nicht sowieso nur etwa eineinhalb Meter breit gewesen, ich sackte also bloß gegen die kühle Wand, an der eine Postkarte mit der Aufschrift „Stay young“ klebte. „Nein, gar nichts wird sich ändern“, flüsterte ich auch noch beim zweiten Test aus der Apotheke, den ich mir immer wieder ansehen musste, nachdem ich zum zehnten Mal den Beipackzettel gelesen hatte. Acht Monate später ein Dejavue wie ein Donnerwetter. In Raketengeschwindigkeit sollte ich mich plötzlich ausziehen und auf den Op-Tisch klettern, Not-Kaiserschnitt mitten im Dämmerzustand, kurz dachte ich darüber nach, ob das da neben mir wirklich noch die Hebamme oder schon ein Engel sei, bis ich kurz vor der Vollnarkose noch ein Kopfschütteln über mich brachte und „Gerade habt ihr noch gesagt, ich hätte ein Magengeschwür und jetzt soll ich schon Mutter werden“ Richtung Chefarzt jammerte.

 

Weil alles so unverhofft kam, blieb mir nie viel Zeit über die Dinge nachzudenken, mir den Kopf zu zerbrechen oder Angst zu haben und so geht das bis heute. Bloß was die Geburt betrifft, die mir am Ende erspart blieb – quasi Glück im Unglück – da hatte ich mir geschworen, mich heulend auf den Boden zu schmeißen und die Beine fest zusammen zu kneifen, sollte es denn tatsächlich irgendwann losgehen. Ich bin nämlich keine dieser beinharten Amazonen, die ich so sehr für ihren Mut bewundere. Ich bin eher Achilles und meine Ferse ist mein Unterleib.

„Alles wird sich ändern“, haben sie gesagt, als ich mein Baby zum ersten Mal im Arm hielt. „Glaub ich nicht“, dachte ich. Und trotzdem war da die Gewissheit, dass ich womöglich genau in diesem Moment, als Lio seine kleinen, fast durchsichtigen Finger um meinen riesengroßen Daumen legte, ein anderer Mensch geworden war, das schon, aber der Kern ist noch immer der gleiche, da bin ich mir sicher. Ich weiß jetzt bloß, was Löwenliebe ist. Dass vieles egal ist. Und anderes viel wichtiger als je zuvor.

„Schlaf schonmal vor, dein Leben ist jetzt vorbei“, haben sie gesagt. Vorschlafen, wie soll das gehen und fängt das Leben nicht gerade erst an? Es gibt viele Menschen da draußen, die tendieren zum Panikmachen, zum Überdramataisieren und -romantisieren. Wenn man aber versucht, ausschließlich auf sich selbst zu hören und auf den neuen Mitbewohner, statt sich an all die mitleidig gesäuselten Dystopien im Deckmantel des Gutgemeinten zu klammern, dann ist immer Sonne in Sicht. Ein Kind haben, das ist ein bisschen wie tätowiert werden. Immer dann, wenn es anfängt so richtig weh zu tun, herrscht plötzlich für einen kurzen Augenblick lang Ruhe und alles, was bleibt, ist Glück.

„Du wirst keine Zeit mehr für dich haben, mach nochmal was Schönes“, haben sie gesagt. Ich glaube, man muss sich die Momente einfach nehmen, das ist wichtig für alle. Ein Schaumbad zum Beispiel, trotz Rüsselohr, das sich ständig im Kinderbett verheddert. Tür zu, Musik an, nicht stören lassen. Ich brauchte ganz schnell wieder Abende für mich allein, mit meinen Freundinnen und Pizzastücken größer als der Teller. Es ist keine Schande, Milch abzupumpen, oder ab und an das Fläschchen zu geben, obwohl man noch stillt. Ein Papa, sofern es denn einen gibt, ist zumindest in meiner Welt doch ganz genau so verantwortlich für das Wohlbefinden der Kleinen, man braucht als Mutter nur ein bisschen Vertrauen, das stimmt. Oft meinen wir nämlich, viel bessere Antennen zu haben, wenn wir aber ständig nur einschreiten, sind beide Seiten irgendwann genervt. Lockermachen ist der Schlüssel zum Entspannungsglück. Freunde, Tanten und Opas sind nämlich auch nicht auf den Kopf gefallen und Kinder froh, nicht immer nur die gleichen Gesichter Grimassen ziehen zu sehen.

„Wir sehen dich dann bestimmt erstmal ein paar Monate nicht“, haben sie gesagt. Warum denn, fragte ich mich, ich bin doch nicht krank, sondern Mutter und mein Baby ist nicht aus Zucker. Im Tragebeutel gemeinsam die Stadt erkunden, Kuchen essen und Geburtstage feiern, ohne Lärm und Rauch, na klar, aber ganz am Anfang, da stand Lio in seiner Wippe selig schlafend neben meinem Stuhl, wann immer in kleiner Runde Käsefondue gerührt wurde und Pappkronen samt Plastikedelsteinen im Einsatz waren. Alle waren zufrieden, nicht nur das Baby, sondern auch Mama und anders herum. Manchmal, wenn ich heute bis zum Morgengrauen tanzen will, mit seinem Papa, dann schläft Lio bei Tante Sarah Jane im Reisebett. „Ist das nicht zu früh?“ haben viele gefragt, ich sage: „Je früher desto besser.“ Wegen der Gewöhnung. Aber nur dann, wenn sich alle wohl damit fühlen.

„Wie ist das so, ein Kind zu haben?“, haben sie gefragt. Nicht so schlimm, wie alle sagen, habe ich geantwortet. Nicht, weil ich kein Zombie war, das war ich, sogar einer mit tiefen Augenringen und halbem Hirn, sondern weil all das zu schaffen ist. Weil es stimmt, dass es nichts Besseres gibt – solange man sich nicht selbst vergisst. Mein Traum war es immer, ein Kind zu haben und trotzdem selbst Kind zu bleiben. Gut möglich, dass das mein einziges Geheimnis ist.

Alles hat sich verändert, seit ich groß bin. Von den meisten Dingen habe ich jetzt nämlich ein bisschen weniger: Ich kaufe weniger Quatsch, habe weniger Sorgen, weniger Möpse, weniger Geld, weniger Haar, weniger Komplexe, weniger Zweifel, weniger Angst, weniger Zeit. Obwohl – vielleicht habe ich in Wahrheit sogar viel mehr Zeit als vorher. Weil alles Unwichtige irgendwann hinten rüber fällt und Platz macht für das, was wir wirklich vom Leben wollen.

23 Kommentare

  1. Felici7as


    Bei mir wird sich sicher gnaz viel ändern. Aber für mich darf das sein. Kind bleib ich in jedem Falle auch. Und Zeti für mich werde ich mir auch einfordern. Ganz wenig Druck mach ich mir. Das find ich am besten.

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  2. Sandra

    Liebe Nike, ich bin gerade zum zweiten Mal Mama geworden… Das hast du ganz toll geschrieben… ich hatte Tränen in den Augen beim lesen. Danke!!

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  3. ohwego

    Liebe Nike, welch wunderbarer Text <3 Danke für die Worte, die mich als Mama einer 9 Monate alten Tochter ein zu Tränen rühren.

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  4. Lea

    Liebe Nike,
    Vielen Dank für diesen Artikel und deine ehrlichen Worte.
    Ich bin froh, dass du dich nicht davor scheust, deine ‚Freiheitsliebe‘ wie ich es jetzt mal nennen mag, kund zu tun.
    Für uns war es von Anfang an wichtig unseren Sohn weitestgehend in alles einzubeziehen was wir machen. Sei das Abendessen oder in den Park gehen, Kaffee trinken oder mit Freunden treffen. Kilian macht das auch überhaupt gar nichts aus, er geht förmlich darin auf neue Leute kennenzulernen und mit den Tanten und Onkels zu spielen, und umgekehrt. Manchmal hagelt es Kritik in unserem Umfeld, weil wir unser Leben nicht 100% an das Kind anpassen, nicht schon um 18Uhr ins Bett bringen, und ab und an einen ‚Babysitter‘ ( einen unserer Freunde ) engagieren wenn die Nächte mal lang und feuchtfröhlich werden. Aber so sind wir eben, und Kilian könnte glücklicher nicht sein. Ich kann ‚Helikopter-Eltern‘ nicht verstehen, aber ich akzeptiere es. Ebenso akzeptiere ich ändere Erziehungsformen und wünsche mir einfach, dass das umgekehrt genauso ist.
    Solange alle glücklich sind, gibt’s doch wirklich nichts zu meckern!

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  5. Isabel

    äh Smileys gehen wohl nicht! Was noch fehlt: great minds…. und: sehr schöne Worte hast du da gefunden! Und: fühl dich umarmt!!! xxx

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  6. Kim

    Big Up für den Mut ehrlich zu berichten & Ja zu all dem was du geschrieben hast! wir machen das mit unserem kleinen Kerl fast genauso und für uns 3 ist es das Glücksrezept! Vertraut den Papas, die können das – und gute Freundinnen auch 🙂

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  7. jen

    Ich freue mich über deinen Text und wie gut du das alles machst. Ich bin auch neidisch, denn ich helikoptere definitiv zu viel und vertraue zu wenig – in mich, in andere, in das große Ganze. Beneidenswert auch, dass du eine Freundin wie Sarah an deiner Seite hast – dafür allein (aber für den Rest auch, allen voran deine coole Einstellung) kannst du täglich fünfmal laut Hallelujah! brüllen 😉

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  8. Sophie

    Schön! So ähnlich wie du habe ich es auch gehalten (und ich glaube, wir und unsere Söhne sind auch ähnlich alt). Nur einen wichtigen Unterschied gibt es in unseren Erfahrungen: Ich denke nämlich, dass eine natürliche Geburt eines der großartigsten Erlebnisse im Leben einer Frau sein kann – und dazu muss man nicht mal mutig oder eine Amazone sein (das weiß ich zufällig, weil ich nämlich einer der größten Angsthasen der Welt bin und sehr sehr weit entfernt von mutig). Es reicht völlig, auf seine Instinkte und das „Gebären können“ zu vertrauen – und natürlich, eine Fachfrau an seiner Seite zu haben. Ich habe meinen Sohn (ungeplant) mit meinen Beleghebammen Zuhause geboren und es war einer der schönsten Momente meines Lebens. Geburten sind natürlich verschieden und Frauen und Babys auch. Nicht jede Geburt ist super und es ist gut, dass es die Möglichkeit zum Kaiserschnitt gibt, wenn er wirklich Not tut. Aber Angst haben sollte man nicht vor einer natürlichen Geburt. Mit der richtigen Begleitung (kompetente Hebamme, die einen am besten schon aus der Vorsorge kennt), kann jede Frau es schaffen. Wir können das! Wir können alles!

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  9. Chrissi

    Deine Texte machen Lust aufs Mama-Sein!!! Ihr seid eine tolle kleine Familie, meinen allergrößten Respekt und ich hoffe, ich werde auch mal so eine coole Mama wie du …

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  10. sha sha

    Ich bin im Netz anonyme Mutter und habe so gelacht! Du hast das ganz toll geschrieben! Und ich merke dann doch, dass ich nicht so außerirdisch bin, weil ich mein Kind sehr gern abgebe & immer regelmäßig Zeit für mich einfordere ;D Cool!

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  11. Jo

    Liebe Nike,
    nun liest sicher niemand mehr meinen Kommentar, weil der Text ja schon ein paar Tage alt ist, aber irgendwie brauchte der Gedanke eine Weile, um durchzusickern. Ich bin eine glühende Verehrerin deiner Lebensart und bewundere es, wie du dein Leben mit Kind angehst. Vor allem, und das musste sich tatsächlich erstmal zu Worten formulieren, bin ich beeindruckt, dass offenbar alles/viel so klappt, wie du es dir vorgestellt hast bzw. planst. Denn das empfinde ich eigentlich als das Anstrengendste im Leben mit Kindern: dass die Zwerge offenbar dafür da sind, uns einen Strich durch die Rechnung zu machen. Ich hatte mir das auch so gedacht: Nach sieben Monaten gehe ich wieder voll arbeiten, das Kind wird so oft wie möglich von lieben Freunden fremdbetreut, und stillen kann Papa mit dem Fläschchen auch. Tja. Das Kind wollte kein Fläschchen, die Nächte waren nach Tagen, an denen wir das Baby überall mit hin schleppten, der pure Horror, und ich war abends sowieso viel zu fertig, um noch tanzen zu gehen (das machst du wirklich? WOW!). Und das lag, ich schwöre es, nicht an uns – sondern einfach am Kind und seinen sehr deutlichen Bedürfnissen. Auch bei Nummer zwei, die etwas genügsamer ist als ihre Schwester, tun sich neue Probleme auf. Ich wüsste darum wirklich ehrlich gern, ob es nur so toll klingt („bei Tante Sarah Jane im Reisebett“, „selig schlafend neben meinem Stuhl“), oder ob du auch an Punkten warst, an denen deine Erwartungen mit den Bedürfnissen des Kindes kollidierten oder es immer noch tun. Das kam mir in deinem Text ein bisschen zu kurz: Dass es nicht nur die Mütter sind, die sich selbst in ihrem Vergnügungs-/Arbeitsbedürfnis drosseln, sondern eben oft die Kinder, die einfach immer eine andere Vorstellung haben als wir.
    Viele Grüße! Jo.

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    1. Wiebke

      Ich bin da ganz bei Dir! Meine Tochter ist nun ein Jahr alt und obwohl wir von Anfang an darauf geachtet haben, dass es auch viel Papa-Zeit gibt, weigert sie sich, sich von einer anderen Person als von mir ins Bett bringen zu lassen. Wir probieren es immer wieder auf ganz unterschiedliche Arten und Weisen. Aber sie schreit sich in Rage. Einmal hat es geklappt. Zeit für mich? Fehlanzeige. Wie oft kam der Ein- oder gar Vorwurf, ich solle meinen Freund doch mal machen lassen, mich frei machen. Das tu ich! Ich bin mir sicher, er würde es ganz toll machen. Das ist nicht nur für mich, sondern besonders für ihn als Vater wahnsinnig frustrierend.

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  12. Julia-Maria

    Liebe Wiebke, liebe Jo,

    das kann ich ganz doll nachvollziehen. Den größten Respekt dem Herzmann gegenüber habe ich, der sich auch heute noch gelegentlich „Papa nein, meine Mama“ anhören muss. Aber: Es wird besser!

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