„Gar nichts wird sich ändern, wenn wir groß sind“, habe ich damals behauptet, als ich den rosafarbenen Streifen auf dem Schwangerschaftstest vom Drogeriemarkt in den Händen hielt und dabei fast vom Toilettendeckel knallte, wäre mein Single-Badezimmer, in das gerade erst die Zahnbürste meines Freundes eingezogen war, nicht sowieso nur etwa eineinhalb Meter breit gewesen, ich sackte also bloß gegen die kühle Wand, an der eine Postkarte mit der Aufschrift „Stay young“ klebte. „Nein, gar nichts wird sich ändern“, flüsterte ich auch noch beim zweiten Test aus der Apotheke, den ich mir immer wieder ansehen musste, nachdem ich zum zehnten Mal den Beipackzettel gelesen hatte. Acht Monate später ein Dejavue wie ein Donnerwetter. In Raketengeschwindigkeit sollte ich mich plötzlich ausziehen und auf den Op-Tisch klettern, Not-Kaiserschnitt mitten im Dämmerzustand, kurz dachte ich darüber nach, ob das da neben mir wirklich noch die Hebamme oder schon ein Engel sei, bis ich kurz vor der Vollnarkose noch ein Kopfschütteln über mich brachte und „Gerade habt ihr noch gesagt, ich hätte ein Magengeschwür und jetzt soll ich schon Mutter werden“ Richtung Chefarzt jammerte.
Weil alles so unverhofft kam, blieb mir nie viel Zeit über die Dinge nachzudenken, mir den Kopf zu zerbrechen oder Angst zu haben und so geht das bis heute. Bloß was die Geburt betrifft, die mir am Ende erspart blieb – quasi Glück im Unglück – da hatte ich mir geschworen, mich heulend auf den Boden zu schmeißen und die Beine fest zusammen zu kneifen, sollte es denn tatsächlich irgendwann losgehen. Ich bin nämlich keine dieser beinharten Amazonen, die ich so sehr für ihren Mut bewundere. Ich bin eher Achilles und meine Ferse ist mein Unterleib.
„Alles wird sich ändern“, haben sie gesagt, als ich mein Baby zum ersten Mal im Arm hielt. „Glaub ich nicht“, dachte ich. Und trotzdem war da die Gewissheit, dass ich womöglich genau in diesem Moment, als Lio seine kleinen, fast durchsichtigen Finger um meinen riesengroßen Daumen legte, ein anderer Mensch geworden war, das schon, aber der Kern ist noch immer der gleiche, da bin ich mir sicher. Ich weiß jetzt bloß, was Löwenliebe ist. Dass vieles egal ist. Und anderes viel wichtiger als je zuvor.
„Schlaf schonmal vor, dein Leben ist jetzt vorbei“, haben sie gesagt. Vorschlafen, wie soll das gehen und fängt das Leben nicht gerade erst an? Es gibt viele Menschen da draußen, die tendieren zum Panikmachen, zum Überdramataisieren und -romantisieren. Wenn man aber versucht, ausschließlich auf sich selbst zu hören und auf den neuen Mitbewohner, statt sich an all die mitleidig gesäuselten Dystopien im Deckmantel des Gutgemeinten zu klammern, dann ist immer Sonne in Sicht. Ein Kind haben, das ist ein bisschen wie tätowiert werden. Immer dann, wenn es anfängt so richtig weh zu tun, herrscht plötzlich für einen kurzen Augenblick lang Ruhe und alles, was bleibt, ist Glück.
„Du wirst keine Zeit mehr für dich haben, mach nochmal was Schönes“, haben sie gesagt. Ich glaube, man muss sich die Momente einfach nehmen, das ist wichtig für alle. Ein Schaumbad zum Beispiel, trotz Rüsselohr, das sich ständig im Kinderbett verheddert. Tür zu, Musik an, nicht stören lassen. Ich brauchte ganz schnell wieder Abende für mich allein, mit meinen Freundinnen und Pizzastücken größer als der Teller. Es ist keine Schande, Milch abzupumpen, oder ab und an das Fläschchen zu geben, obwohl man noch stillt. Ein Papa, sofern es denn einen gibt, ist zumindest in meiner Welt doch ganz genau so verantwortlich für das Wohlbefinden der Kleinen, man braucht als Mutter nur ein bisschen Vertrauen, das stimmt. Oft meinen wir nämlich, viel bessere Antennen zu haben, wenn wir aber ständig nur einschreiten, sind beide Seiten irgendwann genervt. Lockermachen ist der Schlüssel zum Entspannungsglück. Freunde, Tanten und Opas sind nämlich auch nicht auf den Kopf gefallen und Kinder froh, nicht immer nur die gleichen Gesichter Grimassen ziehen zu sehen.
„Wir sehen dich dann bestimmt erstmal ein paar Monate nicht“, haben sie gesagt. Warum denn, fragte ich mich, ich bin doch nicht krank, sondern Mutter und mein Baby ist nicht aus Zucker. Im Tragebeutel gemeinsam die Stadt erkunden, Kuchen essen und Geburtstage feiern, ohne Lärm und Rauch, na klar, aber ganz am Anfang, da stand Lio in seiner Wippe selig schlafend neben meinem Stuhl, wann immer in kleiner Runde Käsefondue gerührt wurde und Pappkronen samt Plastikedelsteinen im Einsatz waren. Alle waren zufrieden, nicht nur das Baby, sondern auch Mama und anders herum. Manchmal, wenn ich heute bis zum Morgengrauen tanzen will, mit seinem Papa, dann schläft Lio bei Tante Sarah Jane im Reisebett. „Ist das nicht zu früh?“ haben viele gefragt, ich sage: „Je früher desto besser.“ Wegen der Gewöhnung. Aber nur dann, wenn sich alle wohl damit fühlen.
„Wie ist das so, ein Kind zu haben?“, haben sie gefragt. Nicht so schlimm, wie alle sagen, habe ich geantwortet. Nicht, weil ich kein Zombie war, das war ich, sogar einer mit tiefen Augenringen und halbem Hirn, sondern weil all das zu schaffen ist. Weil es stimmt, dass es nichts Besseres gibt – solange man sich nicht selbst vergisst. Mein Traum war es immer, ein Kind zu haben und trotzdem selbst Kind zu bleiben. Gut möglich, dass das mein einziges Geheimnis ist.
Alles hat sich verändert, seit ich groß bin. Von den meisten Dingen habe ich jetzt nämlich ein bisschen weniger: Ich kaufe weniger Quatsch, habe weniger Sorgen, weniger Möpse, weniger Geld, weniger Haar, weniger Komplexe, weniger Zweifel, weniger Angst, weniger Zeit. Obwohl – vielleicht habe ich in Wahrheit sogar viel mehr Zeit als vorher. Weil alles Unwichtige irgendwann hinten rüber fällt und Platz macht für das, was wir wirklich vom Leben wollen.