Jetzt sitze ich hier also in meiner Küche, in der linken Hand brennt eine Parisienne. Ich rauche manchmal, weil die Zeit nur mir gehört, solange es qualmt. Der Basilikum auf der Fensterbank lässt die Blätter hängen, aber im Vergleich zu dem, was draußen geschieht, wirkt er überaus lebendig. Vielleicht sind wir uns sogar ähnlich. Wir beide schaffen es, im direkten Vergleich mit der Gesamtscheiße noch ziemlich frisch zu wirken. Und immer dann, wenn die endgültige Dürre droht, kommt jemand und kippt uns kaltes Wasser in die trockenen Kehlen. Hallo, wach. Hauptsache noch ein bisschen lebendig fühlen, auch wenn es weh tut. Alles ist doch besser als braune Stellen vom Liegenbleiben. Ich muss es wissen, denn ein paar Monate lang bin ich nur aufgestanden, um einen Fuß vor den nächsten zu setzen, der Routine zuliebe, man funktioniert dann wie ein Duracell-Affe, der gelernt hat, mit lauten Becken gegen die Tristesse anzuschlagen. Nur erträgt man irgendwann den eigenen Lärm nicht mehr, man sehnt sich nach Ruhe. Oder danach, in Ruhe gelassen zu werden, von Gedanken und Sorgen und denen, die es immer besser wissen wollen.
Es muss ein Samstag gewesen sein, als ich am selben Ort saß wie jetzt gerade, auf dem gleichen Stuhl, der schon lange wackelt, bloß hielt ich keine Zigarette fest, sondern die Hand einer Freundin. Du bist schön. Du bist schlau. Du bist wichtig. Weißt du noch? Es ist leicht, jemand anderem dazu zu raten, Träume loszulassen, die längst außer Reichweite geraten sind. Wenn man liebt und nur das Beste will für diesen Freund, der nicht genug eigene Kraft zu haben scheint, sich zu befreien. Oder an sich zu glauben. Daran, dass immer alles gut wird, solange man nur den Willen nicht verliert. Bloß liebt man sich selbst oft nicht genug, um Veränderungen im eigenen Leben ebenso furchtlos durchzusetzen; auch die Gewissheit, dass alles anders werden muss, um besser sein zu können, reicht da nicht aus. Vielleicht muss es erstmal schlimmer werden. Denn auch ich verbrachte noch viele Abende mit weisen Worten, die ich eigentlich hätte an mich selbst richten sollen.
Basilikum-Menschen, solche, die ziemlich lange vor sich hin vegetieren können, ohne wirklich schlapp zu machen, haben ein Problem: Es geht ihnen zu gut. Irgendwo tief in ihnen schlummert wohl ein derart unbändiger Selbsterhaltungstrieb, dass das Ausmaß der Vernachlässigung eigener Ansprüche stets erst dann sichtbar wird, wenn Sorgen-Käfer fransige Löcher ins sonst so saftige Fleisch gefressen haben. Aber selbst dann noch bleibt das Pflänzchen stark, es steht dort einfach in seinem Topf herum und wird immer weniger – bis nichts mehr von ihm übrig ist.
Ich tätschelte gerade schuldbewusst an zwei vertrockneten Blättern herum und fragte mich, ob es ok ist, mehr zu wollen, wenn man doch eigentlich alles hat, als ich schließlich an jemanden denken musste, der offenbar schon viel früher kapiert hatte, dass wir am Ende nur uns haben. Und dass wir deshalb gut zu diesem einen Ich, zu diesem einen Leben und Körper sein sollten. Sehr gut sogar.
Dieser Jemand jedenfalls verbringt die Wochen zwischen den Jahren regelmäßig in einem Schweigekloster. Lange nahm ich an, Traurigkeit sei der Grund dafür – sowas würden schließlich nur Leute praktizieren, die sich hundeelend fühlten oder mindestens nach dem Sinn des Lebens suchten. Auf besorgtes Nachfragen folgte aber stets eine ziemlich nüchterne Erklärung, ein einfacher wie schlauer Gedanke, der kurz nachdem er zum ersten Mal ausgesprochen war durch mein Hirn jagte wie eine Abrissbirne: Die Leute meinen immer, man müsse nur etwas ändern, wenn alles beschissen ist. Die Allermeisten sind aber „in Ordnung“, sie sehen keinen Grund für Veränderung. Ich will nicht in Ordnung sein. Sondern scheißeverdammtglücklich.
Ich bin jetzt glücklich ohne scheißeverdammt davor, Steigerung möglich, aber dazu braucht es vor allem Zeit und sogar Routine. Selbst ausgesuchte Routine wohlgemerkt, mit mehr Freiheit, mehr Lio, mehr Abenteuer und weniger Stillstand. Ich wohne jetzt nur noch mit einem Jungen zusammen und bin wohl das, was man gemeinhin Single Mom nennt, aber trotzdem nicht alleinerziehend. Lios Vater und ich haben es geschafft, uns in Freundschaft zu trennen, weil wir perfekte Eltern sind, aber kein gutes Paar waren. Seit wir das wissen, werden die braunen Stellen langsam wieder grün. Und manchmal legen wir uns sogar gegenseitig frisches Basilikum auf die Pasta, in der Gewissheit, dass unser Sohn ein Kind der Liebe ist. Wir lieben uns jetzt bloß anders.