Ich war fast ein bisschen stolz auf mich, als ich im vergangenen Jahr im Asos Showroom stehend von meinen Gefühlen übermannt wurde und Hühneraugen-große Tränen der Freude vergoss. Das Modemädchen in mir war selten zuvor so präsent gewesen, aber jetzt, im Angesicht der zotteligen Kreuzung aus Vogelstrauß, Königspudel und Chewbacca, jauchzte es vor Vergnügen und streckte seine Finger paralysiert wie E.T. gen Patchwork-Puschel aus und hätte dieser Moment der Innigkeit noch etwas angedauert, meine innere Juke Box hätte ein lautes „Halleluja“ für uns gespielt. Ich muss dich mitnehmen, dachte ich noch kurz bevor mir eine Blondine mit zwei Meter fünfunddreißig hohen Hacken ihren Absatz durch den Zeh bohrte.
Von Primitivität durchtrieben, grabschte sie erst nach meinem Traum, blieb dann mit ihren in Dip Dye-Lack getauchten Fingernägeln am schwarzen Kunstpelzfleck hängen, rollte mit den Augen und ignorierte mich und meinen Schmerz, um dann wie behämmert und mit den Armen schlackernd zu ihrer noch blonderen Kollegin rüber zu rennen. Ich sah das rosa Maunzi nie wieder – bis der DHL-Mann schließlich drei Mal bei mir klingelte. Seither fühle ich mich wie ein Sozialexperiment auf zwei Beinen.
Ich hatte gerade die erst eingeweichten und dann getrockneten Cornflakes meines Sohnes vom Küchentisch gekratzt, als ich mich heute Morgen überpünktlich in meinen neuen Mantel schmiss. Beflügelt von dem Gedanken, mein Kind ausnahmsweise nicht als letzte Mutter an die Kindergärtnerin zu übergeben, hörte ich es plötzlich aus der anderen Ecke der Wohnung prusten. Lio saß da, wackelnd vor Glück, zeigte mit dem Finger auf mich und schob ein lautes „Gackgack“ hinterher. Was er damit meinte war: Mama ist heute ein Huhn, hurra.
Zehn Minuten später stieg ich aus meinem Auto, das in der zweiten Reihe parkte, um Lio aus seinem Sitz zu hiefen und übersah dabei den Pöller links neben mir. Als mein Knie vom Metall geküsst wurde, machte mein Mantel, dass ich mich doppelt dämlich und mit deutlich weniger Hirnzellen als für gewöhnlich ausgestattet fühlte. So ein Tag als Oberhuhn hat seine Tücken. Die zwei in Funktionsjacken gekleideten Männer, die gerade am Späti gegenüber ihren ersten Kaffee des Tages schlürften, starrten mich nur ungläubig an, oder besser: Durch mich durch. Als würde mein Mantel ganz ohne Trägerin wie ein Hovercraft über den Asphalt gleiten. Es muss die reinste Wonne gewesen zu sein, das unsichtbare Huhn vor Pein gackern zu hören.
Mit eigenem Kaffee betrat ich endlich den Fahrstuhl unseres Büro-Gebäudes, sieben muntere Leute begleiteten mich. Als jeder schließlich seine Position gefunden hatte und der Lift sich in Bewegung setzte, wurde es schlagartig so still, als hätte man uns den Sauerstoff abgedreht. Alle versuchten, bloß nicht hinzuschauen, scheiterten aber kläglich. Wie wenn jemand schon ein Krönchen auf seinem Pickel trägt. Die einzige Frau im Plüsch-Gefängnis kugelte sich fast die Augäpfel aus, behielt ihr Gesicht aber drei Stockwerke lang angeödet-gleichgültig unter Kontrolle. Nur einer wagte es – Trance-artig bewegte der Unbekannte seine Hand langsam Richtung Mantel bis die Fingerspitzen das fliederfarbene Patchwork berührten. Eine Streichelbewegung später erkannte ich in seinem Gesicht so etwas wie ein seliges Lächeln. „Voll weich“, sagte er noch, bevor er wieder wortlos von dannen zog. Ich glaube, mein Mantel macht glücklich. Aber auch dumm. Jedenfalls in der Vorstellung anderer.
Womöglich war mein Haar Schuld. Ich trug es offen wie eigentlich immer, mit aalglattem Mittelscheitel bestückt. Zu viel Ernsthaftigkeit vielleicht, denn wer nimmt schon jemanden für voll, der Chewbacca ohne Augenzwinkern trägt. Nachdem ich mir aufgrund einer kleinen Filzsträhne im Nacken irgendwann einen verpeilten Dutt gebunden hatte, trat man meinem Fake Fur Freund und mir unverhofft offen gegenüber. Vorher war es, als würde ich eine Art Haifisch-Alien mit mir herum schleppen, das jeden Moment zubeißen könnte, dem man nicht in die Augen sehen darf, weil ihm sonst der Bluthunger in den Kiefer zu steigen drohe. Jetzt war es, als trüge ich einen rosa Delphin mit Federn aus dem Amazonas auf meinem Kopf, die Menschen freuten sich offenbar über meine eigene Freude, konnten zwar nicht fassen, was sie da sahen, aber verstehen. Meine Lieblings-Bäckereifachverkäuferin lachte sogar laut, als ich mein Käsebrötchen entgegen nahm. Nicht auf die fiese Art, sondern wie jemand, der am grauen Himmel einen Regenbogen entdeckt. Meine Nachbarin nahm mich zur Begrüßung im Treppenhaus zum ersten Mal in den Arm, eine Mutter aus Lios Gruppe redete ausnahmsweise nicht mit mir als sei ich gerade eingeschult worden, sondern doch recht amüsant und eventuell sogar nett, der Kassierer bei Rewe regte ein kleines Pläuschchen an und meine eigene Laune wurde nur noch von der alten Dame aus der Wohnung gegenüber getoppt, die mir beim Betrachten und Betatschen des bunt eingefärbten Plastik-Haars von ihrer Jugend erzählte. „Damals“, sagte sie, „da hab ik mich sowas auch noch getraut. Ich sag Ihnen, Fräulein, lassen se sich det bloß nicht vermiesen, wo kämen wa denn hin, wenns nur noch Raben statt bunte Hühner gäbe.“ In diesem Sinne: Stay chicken, forever.
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